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Leonardo da Vincis "Codex Leicester" 1994
Als die teuerste Handschrift aller Zeiten versteigert wurde

Leonardo da Vinci hatte sich nicht nur der Kunst, sondern auch der Wissenschaft verschrieben. Nach seinem Tod tauchte eine ungeordnete Sammlung von Notizen auf, auf denen sich da Vinci mit Geologie und Astronomie beschäftigt hatte. Die Versteigerung vor 25 Jahren ging in die Geschichte ein.

Von Henning Klüver | 11.11.2019
    Zwei Seiten aus dem Codex Leicester von Leonardo da Vinci: Darauf beschäftigt er sich mit dem Verhältnis von Erde und Mond zur Sonne.
    Zwei Seiten aus der Notizsammlung "Codex Leicester" von Leonardo da Vinci: Darauf beschäftigte sich das Universalgenie mit dem Verhältnis von Erde und Mond zur Sonne. (picture-alliance / akg)
    In den 90er-Jahren des 15. Jahrhunderts erkundete Leonardo da Vinci die Umgebung der Stadt Mailand, wo er in Diensten des Herzogs Ludovico Sforza stand. Touren führten ihn auch zum 4000 Meter hohen Monte Rosa. Hier wollte er dem blauen Himmel so nahe wie möglich kommen. Denn, so fragte er sich, warum ist der Himmel eigentlich hellblau?
    "Ich sage, das Blau, in dem sich die Luft zeigt, ist nicht ihre eigene Farbe, sondern es kommt von der warmen Feuchtigkeit, die in winzigen, nicht wahrnehmbaren Teilchen verdampft; diese werden von Sonnenstrahlen getroffen und werden dann hell. Und das kann jeder sehen, der wie ich auf den Monte Rosa steigt."
    Künstler und Privatforscher
    Diese heute noch gültige Beobachtung kann man auf Seiten einer Notizsammlung von Leonardo lesen, die unter dem Namen Codex Leicester zusammengefasst werden. Leonardo da Vinci, geboren 1452, gestorben 1519, hatte mit seinen malerischen Arbeiten neue Wege in der bildenden Kunst begangen und daneben gleichsam als Privatforscher mit unstillbarer Neugier Naturphänomene aller Art zu ergründen versucht. Doch hinterließ er keine geordneten Abhandlungen, sondern eine riesige Loseblattsammlung mit vielen hundert Seiten.
    "Leonardo arbeitete mit Blättern, die er einmal faltete, und so die vier Seiten für unterschiedliche Notizen und Zeichnungen nutzte – und sie dann ablegte."
    Der Kunsthistoriker Pietro C. Marani erklärt, wie Leonardo mit seinen Schriften dabei von einem Thema zum anderen sprang.
    "Er hatte einfach keine Geduld. Das Denken von Leonardo konzentrierte sich fast immer auf eine Sache. Und dann wechselte er den Gegenstand."
    Nach seinem Tod wurde die lose Blattsammlung in viele einzelne Teile getrennt und verkauft. Heute kennt man ein rundes Dutzend solcher sogenannter Codices. Der "Codex Leicester" hat seinen Namen nach Thomas Coke, dem ersten Earl of Leicester, der das Manuskript 1717 für seine Bibliothek im Holkham Castle erworben hatte. Mit 18 zweifach gefalteten Blättern, also 72 Seiten, gehört dieser Codex zu den kleineren Manuskriptsammlungen Leonardos. Er ist aber etwas Besonderes, weil hier ein Thema wie die Natur des Wassers über mehrere Seiten hinweg gleichsam in einem "Buch des Wassers" behandelt wird.
    "Skizzen ordnen sich eindeutig dem Hauptthema zu, was Wasser überhaupt ist, welche Funktion es im Meer, im See, im Fluss hat. Leonardo versucht, seinen wissenschaftlichen Interessen eine literarische Form zu geben."
    Er beschäftigte sich mit Maschinen, die durch Wasserkraft betrieben wurden oder dachte darüber nach, warum Fossilien von Meerestieren auch im Gebirge zu finden sind. Daneben geht es in den Notizen auch um astronomische Probleme, etwa um den Erdschein des Mondes.
    Da Vincis Gedanken als Inspiration für Goethes Naturkundestudien
    Abschriften machten die Gedanken Leonardos in ganz Europa bekannt und regten zum Beispiel Goethe bei seinen Naturkundestudien an. Über 250 Jahre lang blieben die Blätter im Besitz der Grafen Leicester. Der amerikanische Ölmagnat Armand Hammer konnte sie dann 1980 bei einer Versteigerung erwerben und ließ sie in Codex Hammer umbenennen. Nach Hammers Tod gaben seine Erben das Manuskript erneut zur Versteigerung frei. Verhandelt wurde bei Christie`s in London am 11. November 1994.
    Ausgangspunkt ist ein Mindestgebot von 5,5 Millionen US-Dollar, das aber schnell übertroffen wird. sechs Millionen, sieben Millionen, plötzlich ein Sprung auf 18 Millionen. Bieter im Saal und am Telefon treiben den Preis weiter hoch. Dann kommt das Angebot per Telefon: 28 Millionen.
    Der Käufer: Bill Gates. 28 Millionen plus Aufgeld und Gebühren – mit einer Gesamtsumme von fast 31 Millionen US-Dollar wurden die 18 beidseitig in Spiegelschrift beschriebenen und mit Skizzen versehenen Blätter Leonardo da Vincis zur teuersten Handschrift aller Zeiten. Nach dem Willen seines neuen Besitzers erhielt das Manuskript seinen alten Namen Codex Leicester zurück und wird nun in der "Bill and Melinda Gates Foundation" in Seattle im US-Bundesstaat Washington aufbewahrt.