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Lernen nach dem Bürgerkrieg

Nach Schätzungen der UNO besuchen rund 40 Prozent der Kinder in Somalia eine Schule. Diese befinden sich meist in der Hand privater Träger, die von Hilfsorganisationen oder religiösen Vereinigungen unterstützt werden. Über die Lehrpläne stimmen die Eltern ab.

Von Bettina Rühl | 03.08.2013
    Eine Schule in Mogadischu, der somalischen Hauptstadt. Auf den Stufen, die zu den Klassenzimmern führen, liegt trockenes Laub. Die Blätter hat schon lange niemand mehr weggefegt, weil die Schule im Bürgerkrieg schwer beschädigt wurde. Seit 2011 hat in diesen Räumen niemand mehr unterrichtet, nur in einigen Zimmern im benachbarten Gebäuderiegel fand noch Unterricht statt.

    Jetzt führt Direktor Hassan Adawe Ahmed seine Besucher über das Gelände, auf dem mehrere Gebäuderiegel mit Klassenräumen stehen. Weil derzeit in Somalia Schulferien sind, ist bis auf die Arbeiter alles verwaist.

    "Hier sehen Sie eins von fünf Klassenzimmern, die wir gerade reparieren. Im letzten Jahr haben wir auch schon sieben instand gesetzt. Das Geld kommt von der somalischen Hilfsorganisation DBG, die uns in den letzten Jahren schon öfter geholfen hat, wenn die Schule wieder mal zerstört war. Nach dem letzten Angriff 2011 waren alle Dächer kaputt, die Fensterläden und Türen geklaut. Aber sehen Sie? Dieser Klassenraum hat schon wieder ein Dach, die Schulbänke und Pulte sind frisch gestrichen. In den anderen kommen die Arbeiten auch gut voran. Bald können hier wieder Schüler unterrichtet werden."

    Die Schule ist auf Initiative von Eltern entstanden, nachdem der somalische Staat 1991 mit dem Sturz Siad Barres kollabierte. Denn damit war auch das staatliche Bildungssystem am Ende. In den folgenden Jahren wurden in Mogadischu und dem Rest Somalias viele Schulen durch private Initiative gegründet: Von Eltern, religiösen Vereinigungen, zivilgesellschaftlichen Gruppen oder lokale Hilfsorganisationen wurden aktiv. Obwohl es inzwischen eine Regierung gibt, hat sich an der Trägerschaft der Schulen noch nichts geändert.

    Im nächsten Zimmer macht der Direktor die neuen Fensterläden auf. Licht fällt in den Raum mit den neuen, grün und blau gestrichenen Schulbänken. Die somalische Organisation DBG bekommt seit Jahren Geld aus Deutschland: von der Caritas und der Diakonie Katastrophenhilfe, aber auch von der deutschen Regierung.

    3000 Kinder wurden hier in den besten Zeiten unterrichtet, jetzt sind es noch 600. Dass es weniger wurden, hat mit dem mehr als zwanzigjährigen Bürgerkrieg zu tun: Wenn die Kämpfe besonders heftig wurden, mussten noch mehr Menschen fliehen. Seit rund einem Jahr hat sich die Lage etwas stabilisiert, und nach mehr als zwanzig Jahren hat Somalia erstmals wieder eine legitime Regierung. Die Schule, durch die Direktor Hassan Adawe Ahmed führt, ist aber viel älter, als der neue somalische Staat, nämlich 18 Jahre.

    Hassan Adawe Ahmed schließt sein Arbeitszimmer auf. Weil Ferien sind, hat er alles gut gesichert. Auch hier werden die Fensterläden geöffnet, Ahmed wischt etwas Staub von seinem Schreibtisch. Auf einem weiteren Stuhl nimmt Maryam Saleban Abokor Platz. Die mittlerweile 50-jährige Mutter von fünf Kindern war vor 18 Jahren unter denen, die diese Schule aufbauten.

    "Ich kam auf die Idee, weil ich die Kinder um mich herum beobachtete: Sie streunten durch die Straßen, weil mit dem Sturz der Regierung alle Schulen geschlossen worden waren. Sie stellen allen möglichen Unfug an, und ich hatte Angst, dass sie kriminell werden, wenn sie nicht beschäftigt werden und nichts lernen. Ich wandte mich an andere Eltern und sagte: 'Wir sollten versuchen, die Schule im Viertel zu renovieren und dann mit Unterricht anfangen.'"

    Die anderen Eltern in der Nachbarschaft waren schnell überzeugt, und so gründeten sie vor 18 Jahren die Schule.

    "Alle beteiligten sich, jeder auf seine Weise. Jeder gab so viel Geld, wie er konnte. Wer gar nichts zahlen konnte, half bei der Renovierung, manche halfen auch einfach nur putzen."

    Das ist lange her, aber trotz der neuen Regierung, die seit knapp einem Jahr im Amt ist, hat sich an der Verantwortung der Eltern noch nichts geändert. Sie entscheiden weiterhin über die Höhe des Schulgeldes und bezahlen die Lehrer. Die Gebühren sind mit sieben bis zwölf Dollar im Monat für somalische Verhältnisse hoch, denn die Einkommen der meisten Somalier sind niedrig. Trotzdem verdienen die Lehrer mit rund 140 Dollar nur das absolute Minimum im Monat. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gehen trotzdem 40 Prozent der somalischen Kinder in irgendeine Schule, rund ein Drittel davon sind Mädchen.

    "Wir orientieren uns an den Lehrplänen verschiedener Länder. Wir haben Elemente des Lehrplans der Vereinigten Arabischen Emirate übernommen, ebenso Teile des kenianischen und des saudischen Curriculums."

    Über den Lehrplan entscheidet ein Komitee von derzeit 40 Eltern. Weil das alle somalischen Schulen zwangsläufig so machen, unterrichten alle etwas anderes. Immerhin haben sie zwei Dachverbände gegründet, die nach der Abschlussprüfung die Zeugnisse vergeben, sodass die Ergebnisse wenigstens innerhalb Somalias annähernd vergleichbar sind. Direktor Hassan Adawe Ahmed versichert, dass ihre Absolventen durchaus in Kenia oder den arabischen Staaten studieren könnten, wenn sie dort eine Aufnahmeprüfung bestehen. Und an den somalischen Universitäten ist das sowieso kein Problem. Ebenso wie es eine Vielfalt privater Schulen gibt, wurden auch etliche Universitäten gegründet, die meisten davon in Mogadischu.