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Lernen ohne Druck
Wie das Dalton-Prinzip Schüler motiviert

Wer lieber länger schläft, kommt einfach später zur Schule und wer keine Lust auf Englischunterricht hat, kann den Stoff später nachholen: Das klingt nach Schüler-Anarchie. Ein Gymnasium bei Aachen beweist aber, dass hinter dem scheinbaren Lern-Chaos durchaus ein gewinnbringendes Konzept steckt.

Von Ingo Wagner | 26.01.2018
    Hausaufgaben machen. (Symbolfoto)
    In den sogenannten Dalton-Stunden können Schüler nicht nur selbst bestimmen, an welchem Fach sie arbeiten wollen, sie können sich auch den Lehrer aussuchen, der ihnen den Stoff erklärt (imago / blickwinkel / Bernd Leitner)
    Der 16 Jahre alte Simon Schroten hat sich an das Dalton-System an seiner Schule gewöhnt und möchte nicht mehr darauf verzichten.
    "Ich finde es super, einfach, weil man direkt schon von jungen Jahren an lernt, selber zu organisieren und selbstständig zu sein."
    Viele Oberstufenschüler organisieren sich gerne selbstständig. Und dazu gehört, dass sie eine gleitende Arbeitszeit an dem Gymnasium haben. Oberstufenschüler, die morgens nicht so schnell fit werden oder nicht so früh aufstehen wollen, können sich die erste Stunde sparen.
    Das bedeutet aber eben nicht, dass sie weniger Unterricht haben. Wer später kommt, macht mittags einfach ein bisschen länger, wer schon um acht Uhr zur Schule kommt, kann dafür früher nach Hause gehen.
    Das ist aber nicht das Einzige, das die Schüler selbst gestalten können. Am Gymnasium in Alsdorf dreht sich alles um die so genannte Dalton-Pädagogik, eine spezielle Form des individuellen Lernens, die von der amerikanischen Lehrerin Helen Pankhurst entwickelt wurde.
    "Einfach gesagt, können sich bei uns die Schülerinnen und Schüler zwei bis drei Mal am Tag ihren Lehrer oder ihre Lehrerin und das Fach, das sie jetzt gern bearbeiten möchten, frei aussuchen",
    sagt Martin Wüller, der stellvertretende Schulleiter des Alsdorfer Gymnasiums.
    Rund ein Drittel der Stunden an der Schule sind sogenannte Dalton-Stunden, die restlichen zwei Drittel sind normaler Unterricht mit einem Lehrer an der Tafel, wie in den anderen Gymnasien Deutschlands auch.
    Lernziele flexibel erreichen
    In den Dalton-Stunden ist das Lernziel zwar festgelegt, aber wie sie es erreichen, dass können sie selbst entscheiden. Zur Orientierung der Schüler gibt es Lernpläne, die sie alle fünf Wochen erhalten.
    Und so sitzen die Schüler in den Dalton-Stunden dann täglich in Klassenräumen, nur dass dann dort kein klassischer Unterricht stattfindet.
    "Sie werden dabei aber nicht alleine gelassen, sondern sie haben Mitschüler, die sie fragen können, sie haben Kolleginnen, die sie fragen können."

    Das System kommt bei den Schülerinnen und Schülern an. Zum Beispiel bei der zwölfjährigen Djamila Buchholz.
    "Also, ich finde es sehr gut." - "Du kannst also in Dalton neben dem sitzen, neben dem du möchtest und mit dem lernen, mit dem du möchtest, und wenn du Fragen hast, kannst du eben direkt zum Lehrer gehen."
    Denn beim Lernen in den Dalton-Stunden sind weiterhin Lehrer anwesend. Nur, dass sie eben keinen klassischen Unterricht machen, sondern als Ansprechpartner ständig zur Verfügung stehen. Und wer den Stoff bei seinem Lehrer im regulären Unterricht nicht gut versteht, geht dann in einer Dalton-Stunde zu einem anderen und lässt es sich nochmal erklären, sagt die zwölfjährige Lena Sachsen.
    "Man kann sich eben immer aussuchen, zu welchen Deutsch-Lehrern man geht. Wenn man jetzt zum Beispiel findet, dass eine Deutsch-Lehrerin nicht so gut erklärt, dann kann man eben zu anderen Deutsch-Lehrern gehen. Ich finde, dadurch bekommt man dann auch gute Noten."
    Ganz ohne Kontrolle geht es nicht
    Aber wenn die Schüler sich oft aussuchen können, an welchem Fach sie teilnehmen und bei welchem Lehrer, woher weiß die Schule dann überhaupt noch, ob die Schüler mit genug Lerneifer bei der Sache sind?
    Dafür sorgt ein ausgeklügeltes System. Ganz ohne Kontrolle geht es eben auch am Dalton-Gymnasium nicht. Die zwölfjährige Victoria Lange muss genau wie ihre Mitschüler ständig nachweisen, dass sie auch an der ausreichenden Zahl Dalton-Stunden teilgenommen hat.
    "Wir haben so einen Dalton-Planer. Den müssen wir immer beim Lehrer abgegeben."
    Für die Teilnahme an jeder Dalton-Stunde bekommen die Schüler einen Stempel. Und haben sie nicht genug Stempel angesammelt, also nicht an genug Dalton-Stunden teilgenommen, bekommen sie einen Eintrag.
    "Wir haben Frau Streicher, die schaut halt nach, ob wir alle Stempel haben und ob wir Einträge haben. Und bei uns in der Klasse ist das so: Wenn wir in fünf Wochen drei Einträge haben, dann müssen wir halt eine Stunde mal nachsitzen."
    Da wird dann die Disziplin auch nicht viel anders durchgesetzt als in einem ganz normalen Gymnasium. Die Freiheit, die die Schüler durch die Dalton-Stunden haben, bedeutet auch nicht, dass sie Fächern ausweichen können, die ihnen nicht liegen, sagt Martin Wüller.
    "Ein Beispiel: Ein Schüler zeigt, dass er im Englischen nicht ganz fit ist, dann sollte man sich seinen Dalton-Planer anschauen. Und wenn er jetzt nie bei einem Englisch-Kollegen war, dann wäre das ja schon eine Möglichkeit, dass man sagt: Wäre es nicht sinnvoll, wenn du drei Mal die Woche zu einer Englisch-Lehrerin gehst als kein Mal? Denn das scheint doch dein Problem-Fach zu sein."
    So haben die Schüler am Gymnasium in Alsdorf zwar viele Freiheiten, sie werden aber trotzdem sehr genau kontrolliert – sodass Lehrer und Schulleitung auf Probleme schnell aufmerksam werden und eingreifen können.