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Lernfähige Grüne Welle

Technik. - Grüne Wellen, auf denen die Autofahrer entlang reiten können sofern sie die richtige Geschwindigkeit einhalten, gehören zum Alltag der Verkehrsplanung. Die Softwareentwicklung hat sich mittlerweile zu einer anspruchsvollen Aufgabe für Wissenschaftler entwickelt. Eine Forschergruppe der Universität Hannover schlägt jetzt einen anderen Ansatz vor.

Von Remko Kragt | 15.06.2009
    Ein Fußballspiel in Hannover ist zu Ende. Ruhig und geordnet rollen die Autos der auswärtigen Fans in Richtung Autobahn. In der Niedersächsischen Verkehrsmanagementzentrale mitten in der Stadt verfolgt eine Handvoll Mitarbeiter den abfließenden Autostrom. Auf mehr als 50 Bildschirmen, die mit rund 300 Kameras in Stadt und Umland verbunden sind, haben sie den gesamten Verkehrsfluss im Blick. Der soll möglichst auf einer der Grünen Welle aus der Stadt herausströmen. Und wenn die Welle einmal nicht passt, kann man sie von hier aus nachregulieren. Teamleiter Ulrich Opel:

    "Ja, wir haben von hier aus die Möglichkeit, auf die Lichtsignalanlagen der Stadt Hannover zurückzugreifen und können da bestimmte Wege beeinflussen, nämlich hin zum Stadium insgesamt sechs Ampeln, die länger Grün zeigen."

    Aber das ist auch schon fast alles, was in der Zentrale noch von Hand möglich ist. Alle übrigen Einstellungen der Verkehrsregelung sind – wie in anderen Städten auch – automatisiert. Wenn zusätzliche Eingriffe nötig sind, rückt die Polizei aus und regelt den Verkehr an den Kreuzungen individuell. Und wenn der Verkehr wirklich einmal fest läuft, hilft manchmal nur noch eine Rundfunkdurchsage.

    "Wir haben zehn Kilometer Stau"

    Zwar werden die Computerprogramme, die die Grünen Wellen steuern, immer vielseitiger und komplizierter. Aber sie haben alle ein Problem: sie sind nicht flexibel, denn sie können nur auf Situationen reagieren, die ihnen vorher einprogrammiert worden sind. Intelligenz, sagt Christian Müller-Schloer, Professor für System- und Rechnerarchitektur, braucht man bei diesen Systemen vor ihrer Installation. Er hat an seinem Institut an der Universität Hannover ein neues System für Ampelschaltungen entwickelt, mit dem er diesem Problem abhelfen will. Er will quasi die Ampeln selbst mit Intelligenz ausstatten.

    "Wir möchten Flexibilität haben. Der Ansatz, den wir verfolgen, ist eben der, dass wir die Intelligenz in die Laufzeit verlagern. Wir sagen: es regeln sich zur Laufzeit die Ampeln selber"

    Will sagen: die Ampeln sollen selbst lernen, ihre Schaltzeiten an den Verkehrsfluss an zu passen. Möglich wird das, indem eben nicht alle nur erdenklichen Verkehrssituationen vorgeplant werden, sondern indem die Ampelcomputer eine Art Versuch-und-Irrtum Verfahren ausführen. Laufend verändern sie die Schaltphasen der Ampeln und vergleichen den Erfolg anhand vorgegebener Zielwerte mit dem der vorigen Schaltung. Die jeweils bessere Version wird wiederum für den nächsten Durchlauf verwendet. "Genetischer Algorithmus" nennt sich das Verfahren, dass sich die Ingenieure bei der Evolution abgeguckt haben. Müller-Schloer:

    "Viele Versuche hat die Natur ja gemacht, die hat aber vier Milliarden Jahre Zeit gehabt. Unsere Ampeln haben nicht ganz so viel Zeit, die müssen schneller lernen, also sie müssen viele Versuche machen in möglichst kurzer Zeit. Dazu brauche ich Rechenleistung, aber das ist heute mit einem ganz normalen PC zu machen."

    Jede Ampel muss mit einem eigenen Computer ausgestattet werden. Ein Netzwerk soll sie miteinander verbinden. Die vernetzten Rechner tauschen Daten über den Verkehrsfluss untereinander aus. Wieder ist es der genetische Algorithmus, mit dessen Hilfe sie dann selbst entscheiden, mit welchen der jeweils benachbarten Ampeln sie ihre Schaltphasen abstimmen sollten. Eine Grüne Welle sucht sich damit ihren Verlauf selbst. Müller-Schloer:

    "Jede Ampel weiß, oder kann messen, wo der maximale Verkehr her kommt und wo er hin geht – und das kann geradeaus sein oder das kann eine Abbiegebeziehung sein. Wenn ich ein singuläres Ereignis habe, Fußballspiel ist zu Ende, dann hab’ ich natürlich einen extrem sternartigen Verkehr, der nach Außen zielt. Wenn diese Verkehrssituation vorbei ist, dann wird sich das wieder auf Normalzustand zurück stellen."

    In der Simulation funktioniert das System bereits. Messungen am Computer haben ergeben, dass der Verkehr mit dieser selbstlernenden Regelung wesentlich besser fließt. Das spart Zeit, reduziert Abgase und dämpft Lärm. In einfachen Situationen könnte man es heute schon einsetzen, sagt Christian Müller-Schloer.

    "Was wir haben, ist Schritt eins: wir haben eine lernfähige Ampel, die sind mehr oder weniger isoliert voneinander und jede Kreuzung wird separat optimiert und angepasst. Schritt zwei: diese Ampeln fangen an, miteinander zu reden und sich ab zu sprechen und Grüne Wellen zu bilden."

    Aber es gibt noch offene Fragen. Was geschieht etwa, wenn sich die Ampeln zu mehreren Grünen Wellen verabreden, die einander kreuzen? Und der Einfluss der Navigationssysteme, mit denen immer mehr Autos ausgestattet werden, wird sogar Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein. Denn sie sorgen zusätzlich dafür, dass sich die Autofahrer in nicht vorhersehbarer Weise verhalten. Noch ist das alles also Zukunftsmusik. Ulrich Opel und seine Mitarbeiter werden den Verkehr vorläufig noch von der Zentrale aus beobachten müssen.