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Lernkultur
Singapurs Geheimnis - warum der Stadtstaat PISA-Erster ist

Schultafeln haben in Singapur ausgedient. Auch Frontalunterricht gibt es dort längst nicht mehr. Die Schüler schöpfen ihr Wissen aus ganz verschiedenen Quellen: Auch Facebook und Blogs sind erlaubt. Das Konzept geht auf - bei der PISA-Studie landet Singapur auch aktuell wieder auf Platz eins.

Von Holger Senzel | 06.12.2016
    Zwei Grundschüler lesen gemeinsam ein Buch.
    Schüler aus Singapur schneiden beim PISA-Test immer bestens ab. (dpa / picture-alliance / Hao Qunying)
    Stolz präsentieren die Schüler an der Montfort Schule ihren Bewässerungsautomaten: Ein Sensor misst die Feuchtigkeit in der Erde – wird sie zu trocken, springt eine Pumpe an und bewässert die Pflanze:
    "Wenn Leute etwa ins Ausland fahren und keinen haben, der auf die Pflanzen aufpasst – für die ist das doch ungemein praktisch."
    Applied Learning – angewandtes Lernen – heißt in Singapur, dass die traditionellen Grenzen zwischen Mathematik, Biologie und Physik verschwimmen. Schule muss Spaß machen – sagt Ho Peng – Direktorin im Kultusministerium – denn nur wenn Schüler interessiert und begeistert sind, dann findet Lernen statt. Heißt auch: Facebook beispielsweise nicht als Störfaktor zu begreifen, sondern als Bereicherung:
    "Die Kinder kommen technisch aus einer völlig anderen Welt als wir. Internet, Facebook etc. Wenn wir Lehrer uns mit dieser Welt unserer Kinder nicht vertraut machen, werden wir sie verlieren."
    Veränderte Rolle des Lehrers
    Die Rolle des Lehrers hat sich radikal verändert. Früher hatten sie gewissermaßen das Wissensmonopol – heute können Schüler Wissen aus ganz vielen verschiedenen Quellen schöpfen. Der Lehrer sei nur mehr der Vermittler, der den Schülern Wege aufzeige, wo und wie sie am besten Wissen erwerben könnten, glaubt Professor Lee Sing Long.
    "Wiki, Facebook, Blogs – das ist eine Kultur des Teilnehmens. Die Schüler konsumieren nicht mehr nur Wissen – sie schaffen Wissen."
    Schultafeln haben lange ausgedient in Singapur, alle Schülertische sind mit Computermonitoren ausgestattet – die südostasiatische Finanzmetropole kann es sich leisten, viel Geld in Bildung zu investieren. Und die hat traditionell einen hohen Stellenwert. Die Ausstattung der Schulen ist gemessen an Deutschland ein Traum. Wir versuchen, alle verfügbaren Techniken in den Unterricht zu integrieren – erklärt Schulrektor Adrian Lim:
    "In einer Klasse mit 40 Schülern etwa ist es nahezu unmöglich, dass alle 40 in einer Stunde ihre Frage stellen können. Wenn wir das Instant Messanger Tool nutzen, öffnen wir 40 Fenster zu 40 Kindern gleichzeitig. Sie können 40 Fragen zur gleichen Zeit stellen, die der Lehrer destillieren kann. Es ist auch spannender für die Kinder, weil sie die Techniken nutzen können, in denen sie ohnehin schon gut sind – nicht bloß einen Füller und Bleistift."
    Hoher Druck auf die Schüler
    Der Druck auf die Schüler ist freilich hoch – von der Schule, der Familie den Klassenkameraden in einer durch auf Leistung gepolten Gesellschaft. Gute Schulnoten haben einen extrem hohen Stellenwert – undenkbar, dass in Singapur jemand damit kokettiert, immer schlecht in Mathe gewesen zu sein.
    Der Preis für gute Leistungen ist der Verlust der Kindheit – so sehen wir das im Westen, Eltern und Lehrer in Singapur würden diesen Einwand nicht verstehen, denn ist es nicht Sinn der Kindheit, auf das Leben vorzubereiten? Die Mentalität ist eine andere. Momentan sind übrigens Schulferien in Singapur – die meisten Schüler verbringen sie in Lerncamps mit Büffeln.