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Lernziel Medienkompetenz
Jugendliche und die digitale Welt

Ein Leben ohne Smartphone? Für die Generation der heute zwölf- bis 19-Jährigen kaum vorstellbar. Auch deshalb wird die Mediennutzung dieser Gruppe regelmäßig kontrovers diskutiert. Erfahrungswerte gibt es kaum, deshalb sind vor allem Lehrer und Eltern verunsichert.

Von Felicitas Boeselager | 31.03.2018
    Das Bild zeigt ein Themenfoto zu Neuen Medien: Ein Schüler verschiebt App-Icons auf einer digitalen Projektionsfläche.
    Neue Medien: Schüler verschiebt App-Icons auf einer digitalen Projektionsfläche. (epd/Jens Schulze )
    Ein Mittwochmorgen im Max-Ernst-Gymnasium in Brühl bei Köln. Schülerinnen und Schüler laufen über den glasüberdachten Pausenhof. Sie schwärmen in die Flure, schwätzen und warten vor ihren Klassenräumen. Ein buntes, ein alltägliches Bild an einer Schule. Eines aber fällt auf: Kein Jugendlicher hat ein Smartphone in der Hand. Schulleiter Berthold Phiesel erklärt warum:
    "Wir haben eine Vereinbarung, die Vereinbarung ist nicht vom Schulleiter sozusagen initiiert, sondern sie ist in einem Prozess der Mitwirkungsgremien in die Schulordnung aufgenommen worden. Dass man Medien nutzen kann, aber eben zunächst mal jeder auch die Erlaubnis braucht in einer bestimmten Situation sie zu nutzen. Und das fördert ein bisschen den disziplinierten Umgang mit diesem Medium, gerade in dem Bereich Schule, wenn soziales Miteinander und Kommunikation von Mensch zu Mensch das entscheidende ist."
    Einfach so einen perfekten Film
    Eine Selbstverpflichtung, die die meisten Lehrer hier unterstützen. Wobei ihnen wichtig ist, Smartphones und den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht nicht per se zu verteufeln:
    "Ich glaube, es ist auch überraschend, wenn man eine kreative Aufgabe stellt, dass man früher ein Referat präsentiert bekommen hat und ein Poster vielleicht mit Fotos oder Bildern. Und heute ist es möglich, dass die eine multimediale Präsentation machen. Oder einen Film, und man hat zuvor gar nicht thematisiert, wie man einen Film schneidet. Und man bekommt einen perfekten Film präsentiert."
    Erzählt Katharina Pilaski. Sie unterrichtet Französisch, Englisch und Praktische Philosophie, meistens ganz klassisch an der Tafel. Aber sie nutzt auch immer wieder digitale Unterrichtsformen. Dabei reflektiert sie gemeinsam mit ihren Schülern auch deren Mediennutzung.
    Ihre 7. Klasse hat im Philosophie-Unterricht ein Mindmap erstellt und sich dabei Gedanken über den individuellen Medienkonsum gemacht. Konzentriert schaut die zwölfjährige Juli auf ihre Zeichnung und erklärt ihrer Lehrerin:
    "Also, ich benutze halt ein Smartphone, das habe ich jetzt vor gut einem Jahr bekommen. Und einen Laptop. Außerdem auch, ja, Bücher. Manchmal ein Tablet von meinen Eltern, aber halt nur um Serien zu gucken, auf Netflix zum Beispiel."
    Philipp, der eigentlich anders heißt, nutzt sein internetfähiges Mobiltelefon sechs bis acht Stunden am Tag. Am Wochenende, sagt er, noch mehr:
    "Damit kann man ja eigentlich alles machen, also man kann mit Freunden schreiben, Videochatten, was ich oft mache, Sachen suchen, Spiele spielen, Musik hören, den Weg suchen, das ist ganz wichtig, weil ich nie den Weg finde. Oder auf sozialen Netzwerken unterwegs sein."
    Sechs bis acht Stunden täglich vor dem Bildschirm
    Leon hingegen ist kein großer Freund von sozialen Netzwerken:
    "Die meiste Zeit des Tages nutze ich meinen Computer. Auf dem spiele ich diverse Spiele, aber ich recherchiere auch manchmal für die Schule."
    Auch er glaubt, dass er sechs bis acht Stunden täglich am Computer verbringt. Leon ist mit seiner Abneigung gegen Soziale Medien eine Ausnahme. Die Favoriten seiner Klassenkameraden sind: WhatsApp, Instagram, YouTube, Snapchat. Das deckt sich ungefähr mit den Ergebnissen der letzten Jugend Information Multimedia-Studie, kurz JIM-Studie, des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest. Die Studie untersucht jährlich das Medienverhalten von 12- bis 19 Jährigen. Zwar kann sich diese Generation ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen, aber viele haben auch schon ein kritisches Bewusstsein zum eigenen Medienkonsum entwickelt. Zum Beispiel: die zwölfjährige Juli:
    "Also, ich hab jetzt eine neue App, die heißt Forest und zum Beispiel, wenn ich lerne, dann stell ich die immer ein, Man kann dann einstellen, wie lange das dauert, also das Minimum ist halt zehn Minuten und das Maximum 120 Minuten und dann stellt man das ein und drückt auf Start. In dieser Zeit wächst da so ein Baum. Und wenn man an sein Handy geht, das merkt halt die App und der Baum geht dann halt ein. Also so lang man nicht daran geht, dann wächst der halt und wenn man daran geht, dann geht er quasi ein."
    Besser Englisch durch YouTuber
    Und Juli weiß auch, wie sie das Netz zu ihrem eigenen Vorteil nutzen kann:
    "Also, ich guck halt eigentlich schon auch viel YouTube. Und ich guck eigentlich überhaupt keine deutschen YouTuber, sondern nur englische. Und wenn ich mir das anhöre, das ist eigentlich schon so alltägliche oder umgangssprachliche Sprache, aber trotzdem ist mir aufgefallen dadurch ist auch meine Aussprache sehr viel besser geworden und ich würd schon sagen, dass ich jetzt besser Englisch dadurch sprechen kann."
    Einige ihrer Schulkameraden schauen sich Erklär-Videos auf YouTube an, wenn sie im Matheunterricht nicht mitkommen.
    Während die Kinder sich ganz selbstverständlich in der digitalen Welt bewegen, stellt sie manche Lehrer vor große Herausforderungen:
    "Wer gibt schon gerne zu, dass er irgendwo ein Manko hat. Wer fragt schon gern mal nach: Wie geht das eigentlich? Ich stelle mich auch nicht gern vor 30 Leute, egal wie alt sie sind, und sage dann offen: Tja, das mache ich jetzt zum ersten Mal. Mal gucken was dabei rauskommt. Kann man machen, gehört halt Mut und Courage dazu."

    Sven Haaker ist Deutsch- und Geschichtslehrer am Gymnasium in Brühl. Er soll dabei helfen, ein Medienkonzept für die Schule zu entwickeln. Dafür wünscht er sich in erster Linie mehr Zeit. Er hat Verständnis für die Kollegen, denen die Veränderungen der letzten Jahre zu schaffen machen. Denn für Lehrer bedeuten sie vor allem eins: Arbeitsverdichtung. Das Aneignen digitaler Kompetenzen, die Entwicklung neuer Unterrichtskonzepte - all das kommt zu ihrem bisherigen Arbeitspensum hinzu.
    Schuldirektor Phiesel begegnet diesen Veränderungen gelassen. Er hat in seiner 40-jährigen Laufbahn einige gesellschaftliche Wandel erlebt. Er ist froh um den Diskurs an seiner Schule und vertraut seinen Lehrkräften. Außerdem glaubt er nicht, dass die Digitalisierung seinen Schülern schadet:
    "Ich erlebe heute sehr aufgeschlossene Kinder, die am Lernen interessiert sind. Und die es auch sehr, sehr schätzen, auch mal ohne Medien zu lernen, einfach das Gespräch am Tisch, im Klassenverband, das Miteinander ohne den permanenten Medieneinsatz eben auch schätzen. Und ich glaube, da liegt die Aufgabe auch für die Gesellschaft, dass wir uns entscheiden müssen: Welche Bedeutung haben die Medien? Es gibt genügend Möglichkeiten, sie sehr sinnvoll einzusetzen, aber an einigen Stellen sollte man sie einfach rauslassen."
    Besucher stehen am 19.08.2016 in Köln beim YouTuber-Treffen "VideoDays" vor der Bühne.
    Youtuber sind die neuen Stars bei Jugendlichen - hier in Köln beim YouTuber-Treffen "VideoDays" (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    "Smartphone macht einen hohen Blutdruck"
    Genau das will Phiesel seinen Schülern vermitteln. Wieviel Digitalisierung kann Schule, können Jugendliche vertragen? Was bedeutet Medienkompetenz? Diese Fragen werden nicht nur am Max-Ernst-Gymnasium diskutiert. Wie kontrovers darüber debattiert wird, ließ sich erst vor wenigen Wochen beobachten - nach einem Interview mit dem Psychiater und Autor Manfred Spitzer im Deutschlandfunk:
    "Ein Smartphone macht einen hohen Blutdruck, macht kurzsichtig. Und zwar in Südkorea schon 95 Prozent der jungen Bevölkerung. Normal wären fünf Prozent, höchstens. Smartphones bewirken einen Diabetes, Schlafstörungen. Depressionen. Smartphones erzeugen Sucht. Social Media sind eben nicht Social. Wir tun unseren Kindern keinen Gefallen, was ihre Gesundheit und ihre Bildung anbelangt, wenn wir Bildungseinrichtungen digitalisieren. Darüber müssen wir uns klar sein, alles andere ist postfaktische Bildungspolitik"
    In den Sozialen Medien hagelt es nach dem Interview umgehend Kritik an seinen Aussagen. Spitzer ist spätestens seit seinem Bestseller "Digitale Demenz" einer der prominentesten Kritiker Digitaler Medien an sich und polarisiert regelmäßig mit seinen Thesen. Die stützt er unter anderem auf die Blikk-Studie. Diese wird vom Gesundheitsministerium gefördert und untersucht Lernverhalten, Kompetenz und Kommunikation von Kindern und Jugendlichen. Die Studie stellt intensive Mediennutzung in einen Zusammenhang mit Entwicklungsstörungen bei Kindern - das aber ist sehr umstritten.
    Der Medienethiker Matthias Rath von der pädagogischen Hochschule Ludwigsburg etwa hält nicht viel von Spitzers Thesen:
    "Es werden Daten aus Extremsituationen aufgegriffen und aufgeblasen zu Allgemeinaussagen. Dahinter stehen eindeutig ideologische Vorannahmen, der jeweiligen Forscherinnen und Forscher. Es gibt eine Fülle von Gegenstudien. Und übrigens grade im Bereich der Neurophysiologie, also der Gehirnforschung, hat es in den letzten zehn, 15 Jahren sehr, sehr viele Studien gegeben von Neurophysiologen gegen diese Verallgemeinerungen, gegen diese Vereinseitigungen, wie sie mit der digitalen Demenz oder ähnliches aufgebracht wurden. Es geht sicher darum Kausalitäten auch richtig einzuschätzen: Häufig haben wir doch eine Korrelation. Wir haben doch häufig nur die Tatsache, dass zwei Dinge zusammen auftreten."
    Verlernen Kinder die "klassischen Kulturtechniken"?
    Pauschale Aussagen über den Zusammenhang von Medienkonsum und der Entwicklung von Jugendlichen lassen sich also kaum treffen, sagt Rath. So beschreibt zum Beispiel Candice Odgers, Professorin an der Duke University, in der Fachzeitschrift Nature, dass Jugendliche, die in ihrem offline Leben Probleme haben, auch online häufiger negative Erfahrungen machen würden. Kinder, die aus Haushalten mit geringerem Einkommen kommen, oder deren Eltern einen niedrigeren Bildungsstand haben, schreibt sie weiter, hätten eine weniger ausgeprägte Medienkompetenz. Wohingegen Kinder, deren Eltern einen höheren Bildungsgrad haben, eher von der Digitalisierung profitieren würden, heißt es in dem Artikel. Das mag auch daran liegen, dass diese Eltern mit ihren Kindern eher über deren Verhalten in der digitalen Welt sprechen, mutmaßt die Neurowissenschaftlerin.

    Darüber hinaus warnen Kritiker der Digitalisierung regelmäßig davor, dass Kinder und Jugendliche die "klassischen Kulturtechniken" verlernen. Also nicht mehr richtig schreiben, lesen und rechnen können. Damit geht meistens die Aussage einher, dass Kinder nicht mehr genug Bücher lesen. Am Brühler Gymnasium lässt sich diese Annahme nicht bestätigen:
    "Letztens erst habe ich ein Buch gelesen, das ist eine Bücherreihe, das heißt Artemis Foul. Da geht es um so einen Jungen, einen Teenager."
    "Ich lese grade meine Lieblingsbuchreihe schon wieder: Eragon"
    "Ich lese auch eine Bücherreihe. Das Buch, das ich grade lese, heißt der Zorn des Adlers. Es geht darum, dass eine römische Legion, also Römer, halt verschiedene Dinge tun und grade wird Gallien erobert."
    Die JIM-Studie zeigt, dass das Leseverhalten von Jugendlichen in den letzten Jahren konstant geblieben ist. Rund 40 Prozent lesen regelmäßig ein Buch. Am Gymnasium jeder zweite.
    Die Schüler sitzen an einzeln aufgestellten Tischen und arbeiten an ihren Aufgaben.
    Stirbt das Schreiben aus? (dpa/Julian Stratenschulte)
    "Applauseffekt bei Medienkritik"
    Der Ludwigsburger Medienethiker Matthias Rath nennt noch ein anderes Phänomen, das hinter dem Misstrauen gegenüber neuen Medien steckt. Er zitiert den vom Buchwissenschaftler Dietrich Kerlen geprägten Begriff der "Medien-Moralisierung". Dahinter steht die Annahme, dass ein Buch zu lesen per se besser sei als einen Film anzuschauen. Gerade im deutschsprachigen Raum sei wohl auch deshalb die Skepsis gegenüber den neuen Medien und der Digitalisierung auffallend hoch.
    "Wir haben in Deutschland Diskurse, bei denen es völlig selbstverständlich ist, dass ich mich abschätzig über nicht-Buch-Medien äußere. Ich kann also jederzeit eine Abschätzigkeit, irgendeinen Allgemeinplatz von mir lassen zu Medien. Und dem tritt niemand entgegen, weil es bei uns quasi einen Applauseffekt gibt. Also, wenn ich Kritik an den Medien formuliere, dann wird mir sofort positiv zugestimmt."
    Für den Medienethiker die falsche Herangehensweise. Die Gesellschaft sollte seiner Meinung nach viel mehr über Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung sprechen. Und Schulen und Familien sollten sich fragen: Wie können digitale Medien Teil einer Kindheit und Jugend sein. Denn zum Erwachsenwerden gehöre es, den angemessen Umgang mit Dingen zu lernen - sowohl in der analogen, als auch in der digitalen Welt.
    "Unabhängig von digital oder nicht, Kinder brauchen klare Orientierung. Und dazu gehören Regeln. Wenn ich nicht möchte, dass meine Kinder beim Abendessen permanent ins Smartphone hineinschauen, dann liegt das nicht am Smartphone, sondern dann liegt das an meiner Erziehung. Dann habe ich irgendwas falsch gemacht."
    Kindern Computer und Smartphones ganz vorzuenthalten, hält er deshalb für eine schlechte Idee. Bei einem Vortrag in München konkretisierte er sein Bedenken
    "Wenn jemand zu ihnen sagen würde, im Jahr sterben 750 Kinder an deutschen Straßen, 2000 werden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Der Straßenverkehr ist so gefährlich, um die Kinder zu bewahren, machen wir keine Verkehrserziehung an der Schule, sondern machen Verkehrsfreie Zonen an der Schule. Und wenn sie 18 sind, stellen wir sie an den Autobahnzubringer und gucken mal was passiert. Da würde jeder zu Recht sagen: 'Sind sie eigentlich wahnsinnig?' Die Vorbereitung aufs Leben muss natürlich genau so sein - und so ist es mit Medien."
    Der Umgang mit der digitalen Medienwelt will also gelernt sein. Jugendliche sollten verstehen können, warum ein Algorithmus auf einer Plattform welche Werbung ausspielt. Es geht um das Wissen um Bildrechte. Um das Bewusstsein darüber, auf welchen Servern die eigenen Daten landen. Schülerinnen und Schüler sollten den Umgang mit Cybermobbing lernen. Verstehen, warum digitale Kommunikation anders funktioniert als analoge. Sie sollten Im Internet glaubwürdige Quellen erkennen und um die Gefahren im Netz wissen. Vermittelt werden sollte ihnen auch der kreative Umgang mit Medien: Sie sollen die Chancen, die das Internet auch bietet, ergreifen können.
    Was läuft in den Kabeln?
    Die Initiative "Chaos macht Schule" widmet sich diesen Fragen. Hinter dem Projekt steckt der Chaos Computer Club. Dessen IT-Sicherheitsexperte Dominik Merli spricht mit Schülern über sein Thema:
    "Ich glaube, viele Dinge, die man begreifen kann, also tatsächlich mit Händen und Füßen, die physikalische Sicherheit mit Türen, mit Schlössern, ist einfach deutlich anschaulicher und viel bewusster. Die Sicherheit in Form von: Was läuft über dieses Kabel? Da kann ich nicht reinschauen, ich krieg ja oft vielleicht gar nicht mit, dass was passiert. Ich denke, ganz viele Angriffe finden noch im Dunkeln statt, wo wir gar nicht wissen, dass tatsächlich etwas passiert. Dieses Bewusstsein zu schaffen, das ist deutlich schwieriger, als das vielleicht im physikalischen Sinne ist."

    Er hat die Erfahrung gemacht, dass sich seine Schulbesuche lohnen.
    "Die Kinder sind super. Also, die Kinder sind auf jeden Fall ehrlich, also da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Wenn jemand Alexa daheim hat, erzählt er. Wenn jemand in seinen Computer-Spielen irgendwelche Hacks verwendet, oder irgendwelche Abkürzungen verwendet, dann kommt das raus. Also da kriegt man sehr viele spannende Eindrücke, wie eigentlich Kinder mit den Medien umgehen."
    Der Medienethiker Rath sieht für die Vermittlung von Medienkompetenz die Verantwortung bei den Schulen:
    "Es gibt vier Bereiche, bei denen wir uns auf eine Art Selbstheilungskraft der Familie nicht verlassen können: das ist Rauchen, Alkohol, Übergewicht und Medien. Und warum? Weil alle Menschen Probleme haben können mit Tabakkonsum, mit Alkoholkonsum, mit übermäßigem Essen und mit falschem Benutzung von Medien."
    Ein Vater trägt ein Baby an der Brust und schaut dabei auf sein Smartphone
    Von Anfang an dabei - das Medienverhalten der Eltern hat auch Vorbildcharakter (imago stock&people)
    Mit den Kindern über Online-Verhalten sprechen
    Ingrid Stapf ist Kinderethikerin an der Universität Erlangen. Sie versteht Eltern, die der digitale Wandel verunsichert. Sie rät ihnen, mit Kindern über deren Online-Verhalten zu sprechen und zu hinterfragen: Warum macht Dir gerade dieses Spiel Spaß? Was interessiert Dich an diesem Film? Warum hat Dich dieser Chatkommentar irritiert? Außerdem verweist Stapf auch auf interessante, kindgerechte Angebote:
    "Also, es gibt sehr viele positive Medien, nennt man das. Also das sind spezielle Medien, die für Kinder entwickelt worden sind. Zum Teil auch mit Kindern. Und da gibt es Internetseiten, wo Kinder einfach ganz viel ausprobieren können, wo sie sich zu bestimmten Themen informieren können. Zum Beispiel gibt es eine Kinder-Internetseite, die sich mit dem Thema Trauer beschäftigt. Aber es ist eine Nische momentan, weil wir den Fokus, glaube ich, noch sehr stark auf das bewahrende und schützende legen, was Kinder und Medien angeht."
    Gleichzeitig sollten Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder beobachten: "Ich glaube, es kommt natürlich auch darauf an, wieviel Zeit Kinder mit Medien verbringen. Und was sie in der Zeit, in der sie Medien benutzen auch alles nicht mehr machen. Und ich glaub da kann man auch hinschauen: Gehen Kinder vielleicht noch auf den Spielplatz, machen Eltern vielleicht auch interessante Angebote abseits der Medien? Haben sie gute Ideen, was man vielleicht auch noch an das Kind herantragen kann, was für es interessant ist? Damit es vielleicht noch auf andere Gedanken kommt. Und damit es vielleicht auch lernt zu sagen: Nein, ich möchte grade gar keine Medien benutzen."
    Wichtig sei aber auch das Verhalten der Eltern selbst: "Wenn Eltern überlastet sind, auf der Autofahrt, oder in Restaurants, dann werden Medien hingeschoben, damit das Kind sich damit beschäftigt, damit die eigenen Freiräume da sind. Und ich glaube, da müssen eben ganz verschiedene Beteiligte darüber nachdenken, ab wann und in welcher Seite ist eine Mediennutzung sinnvoll für das Kind, für die Familie und vielleicht auch in der Schule."
    Hausaufgaben am Computer
    In Brühl hat die letzte Unterrichtsstunde begonnen, für die 9. Klasse steht jetzt das Wahlfach Informatik auf dem Stundenplan. Zu zweit oder alleine sitzen die Schüler im Computerraum vor den Rechnern. Sie haben gelernt, 3D-Bilder zu programmieren. Luis zum Beispiel hat den Maya-Tempel von Chichen Itzá auf seinem Bildschirm nachgebaut:
    "Wir haben sozusagen verschiedene Elemente, zum Beispiel eine Box oder einen Zylinder oder einen Kegel. Und die müssen wir dann mit Koordinaten so auf ein Koordinatensystem programmieren, dass danach ein Tempel rauskommt."
    Die Schüler lernen hier nicht nur programmieren, sondern auch räumliches Denken. Informatik, Mathematik und gleichzeitig tauchen sie beispielsweise in die Kultur der Mayas ein - kreativer kann Unterricht nicht sein. Bevor die Schüler verschiedene Programmiersprachen gelernt haben, hat ihr Informatiklehrer mit ihnen über Datenschutz und ihr Verhalten im Internet gesprochen. Programmieren sei schwerer als Mathe, seufzt Luis und stützt sein Kinn auf seiner Hand ab, aber macht es auch Spaß?
    "Also für Schule schon"
    Stolz zeigen die Schüler ihre Tempel aus den verschiedensten Winkeln.
    "Ja, es sieht nicht schlecht aus finde ich! Jetzt müssen wir hier die Kameraposition verändern. Und zwar zehn ungefähr…."
    Stundenlang haben sie auch zu Hause ihre virtuellen Tempel programmiert. Laut JIM-Studie verbringen Kinder und Jugendliche mittlerweile fast die Hälfte ihrer Hausaufgabenzeit an einem Computer. Aber nicht alle Schülerinnen und Schüler haben daheim vergleichbare Möglichkeiten: Der Tempel eines Jungen ist noch sehr klein, ein paar Wände fehlen. Der Computer seiner Eltern hat nicht genug Rechenleistung. Die Eltern können sich jedoch keinen neuen leisten.