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Lesend lernen

Mehrsprachige Bücher, Alphabetisierungskurse und Sprachlernprogramme bietet die Internationale Bibliothek in Frankfurt am Main. So möchte sie bei Migranten den Spaß am Lesen und der deutschen Sprache wecken.

Von Ludger Fittkau | 07.11.2009
    "Ich gehe immer zuerst zu den Hörbüchern, weil: Die Harry-Potter-Bücher, die habe ich schon mit zehn gelesen. Die Hörbücher höre ich mir jetzt auch an."

    Mubahil Madjed greift im CD-Regal der internationalen Bibliothek im Gallus-Viertel von Frankfurt am Main nach der Box mit den Harry-Potter-Hörbüchern. Doch das ist längst nicht alles, was sich der 14-Jährige pakistanischer Herkunft an diesem Tag ausleiht. Mubahil Madjed wählt eine festgelegte Route durch den etwa 300 Quadratmeter großen Büchereiraum.

    "Also, ich gucke immer erst Hörbücher, dann DVDs, dann gehe ich zu den Mangas. Wenn da was Neues ist, lese ich mir das schnell durch. Und dann gucke ich nach dem Buch."

    Nach einer guten halben Stunde in der Bibliothek kann Mubahil Madjed die CDs, Bücher und DVDs kaum tragen, die er für das Wochenende mitnehmen will.
    Der medienhungrige Jugendliche kommt schon seit gut sechs Jahren in die internationale Bibliothek im Frankfurter Gallus-Viertel, die von Silke Schumann geleitet wird.

    "41 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in dem Stadtteil hier haben keinen deutschen Pass. Weitere 13 Prozent haben einen sogenannten Migrationshintergrund, also irgendeinen Einwanderer unter ihren Eltern."

    Bücher und Materialien zum Erlernen der deutschen Sprache gehören zu den wichtigsten Angeboten ihres Hauses. Sprachlernprogramme gibt es auch an den Computerarbeitsplätzen in der Bibliothek. Viele Neueinwanderer, die hier hinkommen, haben vorher noch nie an einem Computer gesessen, erzählt Silke Schuhmann. Das Surfen im Internet lernen sie dennoch schnell, für die deutsche Sprache ist Geduld nötig. Für Kinder vor allem mit türkischen und arabischen Wurzeln, die in Deutschland geboren sind, bietet die Bibliothek im Gallus-Viertel vor allem zweisprachige Medien an.

    "Im Kinderbuchbereich bauen wir zurzeit sehr stark den zweisprachigen Bereich aus, also Bilderbücher in Deutsch und einer anderen Sprache, weil uns diese Verknüpfung wichtig ist: der Herkunftssprache mit der deutschen Sprache. Und wenn wir eine Vorleseveranstaltung haben, dann lesen wir ein türkisches Buch und ein arabisches Buch, da sind dann aber viele Kinder, die da zuhören, die weder Türkisch noch Arabisch können, weil sie aus Italien, aus Eritrea oder sonst woher kommen, dann brauchen wir das Deutsch als Brücke. Und da bieten sich diese mehrsprachigen Medien hervorragend an als Medien der Literaturvermittlung und Leseförderung."

    Vorbild für die internationale Bibliothek in Frankfurt am Main ist die Queen's Library in New York. Dort werden eigene Englischkurse für Einwanderer angeboten, das macht die internationale Bibliothek in Frankfurt am Main nicht. Die Frankfurter Bibliothekarin Birgit Lotz hat die New Yorker Ideen den hiesigen Verhältnissen angepasst und sie umgesetzt:

    "Was wir in Frankfurt machen, wir bieten auch Alphabetisierungskurse hier in unseren Räumen an, aber wir bieten sie nicht selbst an, sondern die Volkshochschule führt sie durch. Das heißt, ich habe geschaut, was gibt es in Queens, wie erreicht man dort Personen mit Migrationshintergrund, was sind die Erfolgsfaktoren. Die liegen natürlich auch auf der Managementebene, aber auch auf der Angebotsebene, wie können wir diese Angebote in unserer Gesellschaft in Deutschland umsetzen, was können wir davon nehmen, was passt."

    Für Marie-Ann Osawa, die nigerianische Eltern hat, und ihre griechischstämmige Freundin Maria Tomara ist eines besonders gut: Die Elfjährigen werden in der internationalen Bibliothek in Frankfurt am Main mit ihrem Schulproblemen nicht allein gelassen:

    "Cool, wir können hier auch Schularbeiten machen. Da können wir nach vorne gehen und die helfen uns dann."

    Die Hilfe gibt Bianca Schlotterer, einer der Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste in der Bibliothek.

    "Ja, das machen wir eben so nebenbei, das ist jetzt nicht in unserem Programm inbegriffen, aber wenn gerade ein bisschen Zeit ist und es ist irgendwie ein Fach, von dem die Kolleginnen oder ich ein bisschen Ahnung haben, dann gehen wir schon mal hin und gucken. Aber wir versuchen dann, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, zum Beispiel auch mal einen Duden rauszuholen oder ein Englischwörterbuch, wo sich das selber erklärt."

    Selbsterklärend sein soll auch ein fast ein Quadratmeter großer Plastikwürfel, an dem an jeder Seite ein Foto festgemacht ist. Wenn eine neue Einwanderergruppe zum ersten Mal zum Sprachkurs in die Bibliothek kommt, bittet Bibliothekschefin Silke Schumann die Gruppe, an einem großen Wohnzimmertisch Platz zunehmen und wirft ihnen den Würfel mit den Bildern einfach zu:

    "Es sind einfach Bilder, die wir gemacht haben, wo ganz normale Tätigkeiten in der Bibliothek drauf sind; zum Beispiel eine Dame, die in unserem Deutsch-Lernbereich mit dem CD-Player deutsch lernt, oder zwei Damen, die hier im Zeitschriftenlesebereich sitzen und hier in einer Zeitschrift blättern. Diesen Würfel werfen wir uns zu und die Teilnehmerinnen beschreiben, was sie sehen. Das heißt, es entsteht eine Form der Aktivität und auch der Auflockerung."

    Mubahil Madjed hat solche Einführungsspielchen längst nicht mehr nötig. Er ist eine Leseratte, geht auch jedes Jahr zur Buchmesse, um sich dort über Neuheiten zu informieren. Die internationale Bibliothek im Gallus-Viertel von Frankfurt am Main ist für ihn die erste Lesestation auf dem Weg in weitere literarische Abenteuer.