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Lettland
Duale Berufsausbildung made in Germany

Da es auch in Lettland an Facharbeitern mangelt, soll die praxisorientierte Berufsausbildung - nach deutschem Vorbild - im ganzen Land Schule machen. Bislang wird sie jedoch nur in der Kleinstadt Valmiera angeboten. Ein Pilotprojekt mit Zukunftschancen.

Von Birgit Johannsmeier | 19.02.2015
    Fadenstärke kontrollieren, Spulen auswechseln und technische Gewebe verpacken: In der lettischen Glasfaserfabrik "Valmiera Stikla" hat Maris Reiniks eine Lehre zum Textilingenieur begonnen. Dabei ist der 25-Jährige bereits zum Wirtschaftsprüfer ausgebildet.
    "Damals lernte ich während meiner vier Berufsschuljahre nur einen Monat in einem Betrieb. Jetzt beträgt mein Praxisanteil mehr als 60 Prozent. Das ist ganz neu in Lettland, deshalb habe ich mich sofort beworben. Ich kann schon heute meinem Arbeitgeber beweisen, wie gut ich bin, und hoffe auf eine steile Karriere."
    Die Glasfaserfabrik hat keine Sekunde gezögert, die Berufsausbildung nach deutschem Vorbild einzuführen, sagt die Personalchefin Doloresa Volkopa. Im Sozialismus gehörte das Werk mit rund 3.000 Leuten zum größten Arbeitgeber der Kleinstadt. "Textilingenieur" war üblicher Ausbildungsberuf in Valmiera. Seit Lettlands Unabhängigkeit vor 24 Jahren hätten die Jugendlichen andere Modeberufe wie Koch oder Touristikmanager gewählt, klagt Doloresa Volkopa. Der "Textilingenieur" wurde von der Ausbildungsliste gestrichen. Heute sei es schwer, geeignete Facharbeiter zu finden.
    "Bisher mussten wir unsere Leute selber ausbilden. Auf eigene Kosten. Wir stellten also einen Koch oder Barmann ein, der bereits vier Jahre die Berufschulbank gedrückt hatte. Der Staat hatte schon mal umsonst investiert. Wenn wir Pech hatten, gefiel ihm der Job eines Textilingenieurs nicht und auch wir hatten Geld verschwendet. Jetzt haben wir im staatlich anerkannten Pilotprojekt 14 Jugendliche über 1,5 Jahre ausgebildet, sechs übernommen und soeben 20 neue Auszubildende eingestellt."
    Duale Ausbildung kann Geld sparen
    Wer aber dual ausbilden will, muss die jungen Leute auch in Fächern wie Materialkunde oder Anlagenbau unterrichten. Ein Glück für Ilze Andersone. Die studierte Textiltechnologin hat den Betrieb "Valmiera Stikla" während eines Hochschulpraktikums kennengelernt, weil an der Uni die zeitgemäße Technik fehlt. Dank der dualen Ausbildung könnten die Berufsschulen in Zukunft sogar Geld sparen, sagt Ilze Andersone, die gleichzeitig profitiert.
    "Die Berufsschule kann auf teure Labors und Technik verzichten und spart Geld. Ich arbeite in Schule und Fabrik und werde von beiden Seiten bezahlt. Wäre ich nur Berufsschullehrerin, würde ich knapp 500 Euro verdienen und den Job gleich aufgeben."
    Beispiel für ganz Lettland
    Tatsächlich soll die praxisorientierte Berufsausbildung in ganz Lettland Schule machen, sagt Inta Susta vom Bildungsministerium. Mehr als 200 Betriebe nehmen teil, denn gerade in den technischen Branchen kann jede sechste Stelle nicht mit qualifizierten Facharbeitern besetzt werden. In enger Zusammenarbeit mit der Industrie habe man verstanden, dass Lettland nur mit gut ausgebildeten Fachleuten zukunftsfähig sei und führt das duale System seit 2012 schrittweise ein. Allerdings nur zusätzlich und auf freiwilliger Basis: Die vierjährige Berufsschulausbildung bleibt weiterhin bestehen.
    "Wir ändern unser Bildungssystem nicht grundsätzlich. Die Arbeitgeber sagen uns, welche Berufe gefragt oder überflüssig sind. Wir gehen Hand in Hand, damit Lettland auch attraktiv für Investitionen ist. In den ersten beiden Probejahren der dualen Ausbildung haben wir EU-Gelder in die Infrastruktur unserer Berufsschulen investiert, jetzt im dritten und vierten Jahr werden wir zusätzlich Lehrer und Mentoren in den Fabriken finanzieren."
    Um die staatliche anerkannte Lehre nach deutschem Vorbild durchzusetzen, muss das lettische Parlament allerdings noch einer Gesetzesänderung zustimmen.
    In der Glasfaserfabrik wartet man ungeduldig auf die Politik. Dann bietet "Valmiera Stikla" umgehend auch eine duale Ausbildung zum Mangelberuf des Mechatronikers an.