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Letzter Schwung

Raumfahrt. - Zum letzten Mal hat die europäische Kometensonde Rosetta heute Morgen an der Erde Schwung geholt. Von nun an fliegt sie ihr Ziel, den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko, an, den sie 2014 erreichen soll. Der Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen erläutert die Mission im Gespräch mit Monika Seynsche.

13.11.2009
    Seynsche: Herr Lorenzen, das ist jetzt schon das dritte Mal, dass Rosetta an der Erde vorbei fliegt. Wie viel Schwung braucht sie denn noch?

    Lorenzen: Jetzt hat sie den Schwung, den sie braucht, um Kurs auf ihr Ziel zu nehmen. Heute Morgen hat sie zum letzten Mal Schwung bei der Erde geholt und hat dabei ein bisschen an Energie bei der Erde abgezwackt und auf sich übertragen und im Ergebnis fliegt Rosetta heute viel schneller von der Erde weg als sie heute Morgen auf die zugeflogen ist. Kleines Kuriosum am Rande: die Erde fliegt jetzt unmerklich langsamer als heute Morgen, denn sie hat ja ein bisschen Energie abgegeben. Insgesamt hat Rosetta bei diesem dreimaligen Schwungholen 30.000 Stundenkilometer an Geschwindigkeit gewonnen. Hätte man das mit normalem Raketen Treibstoff erreichen wollen, hätte der Tank von Rosetta viel, viel größer sein müssen. Die Sonde wäre zu schwer und zu teuer, dass sie hätte starten können. Also man hat sich clever helfen lassen und die Sonde ist wirklich sehr schnell. Jetzt gerade in diesen Minuten passiert sie schon die Mondbahn. In acht Stunden von der Erde zum Mond, das ist schon ganz ordentlich. Die Apollo-Astronauten haben damals zwei Tage dafür gebraucht.

    Seynsche: Die Sonde war ja heute Morgen nur 2500 km von der Erde entfernt. Ist das wissenschaftlich genutzt wurden?

    Lorenzen: Man hat Testaufnahmen gemacht und ein paar ganz spektakuläre Bilder so von der Erdsichel im Anflug der Raumsonde. Die hatte einen wunderbaren Blick auf die Erde. Das ist für die Wissenschaftler eine willkommene Abwechslung, fünfeinhalb Jahre ziehen sich dann ja auch, da wird einem ein bisschen langweilig. Man hat die Instrumente ausprobiert, aber vor allem ging es heute natürlich ums Beschleunigen und nicht um die Forschung.

    Seynsche: Wo soll es denn jetzt hingehen, wenn genug Schwung da ist?

    Lorenzen: Der Schwung ist jetzt da, man ist zuversichtlich, dass man im Mai 2014 den Kometen mit dem bei Astronomen gefürchteten Namen Tschurjumow-Gerasimenko erreichen wird. Und dann wird die Sonde sich sehr langsam dem Kometen annähern und soll dann sogar in eine Umlaufbahn einschwenken und dann als absoluten Höhepunkt sogar eine Landekapsel auf diesem Kometen absenken. Das ist aber eben noch etwas hin, im Mai 2014. Damit die Forscher nicht wieder in die Langeweile fallen, werden sie im Juli des kommenden Jahres noch Messungen am Asteroiden Lutetia, der heißt so, Asterix-Fans bekannt als lateinischer Name von Paris, an diesem Asteroiden wird sie noch vorbeifliegen, dann wird Rosetta auch Fotos und Messungen zu Erde funken. Danach wird die Sonde in einen Winterschlaf versetzt, zweieinhalb Jahre lang ist sie praktisch komplett abgeschaltet. Es wird nicht einmal Funkkontakt geben, und im Frühjahr 2014 soll ein Wecker an Bord von Rosetta alle Systeme wieder aktivieren, da muss man den Forschern die Daumen drücken, dass der Wecker richtig gestellt ist.

    Seynsche: Was passiert denn, wenn dieser Wecker nicht funktioniert?

    Lorenzen: Das malen sich die Forscher lieber nicht aus. Dann hätte man keine Möglichkeit die Sonde praktisch wieder einzuschalten. Natürlich hat sie mehrere Wecker und man hat so etwas schon mehrfach gemacht, bei anderen kleineren Missionen. Bisher hat es immer funktioniert, aber es ging noch nie über 2,5 Jahre. Man hat auch wenig Wahl. Den Forschern bleibt nichts anderes übrig, den Rosetta bezieht seine Energie über Solarzellenflächen. Man hat aber noch nie eine Sonde so weit draußen im Sonnensystem über Solarzellenflächen betrieben oder sie dort den Strom gewinnen lassen. Die Sonne scheint dann nicht mehr so stark. Das heißt genau am fernsten Punkt der Rosetta-Bahn, da sagt man eben, schlaf schön, Sonde. Und wenn sie näher wieder in Richtung Sonne ist, dann wird man sie aufwecken. Und dann hofft man eben, dass sie gut ausgeschlafen Anfang 2014 ist, um dann die Messung zu beginnen.

    Seynsche: Und wenn das klappt, was soll dann genau gemessen werden an dem Kometen?

    Lorenzen: Rosetta und diese Landekapsel ist praktisch so eine Art fliegendes Chemielabor. Man wird ein Jahr lang die Aktivität des Kometen genau untersuchen, die chemischen und physikalischen Eigenschaften. Und so Kometen sind ja so eine Art schmutzige Schneebälle, die praktisch das gespeichert haben, was in der Urwolke vor knapp 5 Milliarden Jahren so da war, und woraus dann die Erde und die Planeten entstanden sind. Und im Kometen ist eben dieses Rohmaterial da vorhanden, aus dem dann eben irgendwann mal die Erde entstanden ist. Auf der Erde kann man das nicht untersuchen, hier ist das Material ja schon verbacken.

    Seynsche: Was wollen die Forscher denn mit diesen Daten machen?

    Lorenzen: Es geht um die ganz große Frage, wie eben Planeten entstanden sind, und dann die noch größere Frage, wie Leben auf dem Planeten entstehen konnte. In der Frühzeit des Sonnensystems ist auch auf sehr viel Material, viel Wasser und organisches Material von Kometen angeliefert worden. Und für die Forscher ist ganz wichtig, dies am Kometen zu untersuchen, daher ja auch der Name Rosetta, nach dem Rosetta-Stein, mit dem die Ägyptologen die Hieroglyphen entschlüsselt haben. Und ähnlich rätselhaft und kryptisch ist bisher noch für Forscher, wie das Leben entstehen konnte. Das soll eben die Raumsonde Rosetta da liefern, wenn sie 2014 endlich dort am Kometen ankommt. Aber seit heute Morgen sind die Forscher sehr beruhigt, sie hat Schwung genug, sie wird dort hinauskommen und in fünf Jahren wird es dann richtig spannend.