Freitag, 19. April 2024

Archiv

Letztes Album der aktuellen Swans-Besetzung
Brachialer Schwanengesang

Die Swans gelten als eine der kompromisslosesten Bands der Musikgeschichte. Vor sechs Jahren reformierte Michael Gira die Band. Sie überzeugte mit gewaltigem Art Rock. Mit "The Glowing Man" erscheint nun das Abschiedsalbum dieser Besetzung.

Von Florian Fricke | 18.06.2016
    Die US-amerikanische Band Swans
    Die US-amerikanische Band Swans (Pressebild Swans)
    "Es geht um die Erfahrung, vor allem live. Eine Platte aufzunehmen ist für mich mehr eine rationale Angelegenheit, einfach weil ich so viel Zeit investiere. Aber auf der Bühne will ich eine Situation kreieren, dass die Musik die Steuerung übernimmt, nicht ich. Darum geht es – in der Musik aufzugehen."
    Der dritten Phase der Swans, die 2010 mit der Reformation begann, kann man nur mit Superlativen beikommen. Kaum eine Band spielt so laut, so ausschweifend, so fordernd, so extrem. "The Glowing Man" ist jetzt die dritte Doppel-CD von Swans mit zwei Stunden Spielzeit. Die acht Stücke sind also im Durchschnitt fünfzehn Minuten lang, das Titelstück rund eine halbe Stunde – ein Zeitverständnis fast wie in der Klassik. Das Album beginnt mit "Cloud of Forgetting" und "Cloud of Unknowing", zwei Gebeten, wie es der Kopf der Band, Michael Gira beschreibt. Sie basieren auf einem Buch eines Kartäuser-Priesters aus dem 14. Jahrhundert, eine Anleitung zum Beten und Meditieren.
    "'Cloud of Forgetting', 'Die Wolke des Nichtwissens', ist dieser unbeschreibliche Ort, den man finden muss, wo alle Information, Sprache und das Entweder-oder-System der westlichen Welt verschwindet um das Göttliche beziehungsweise Gott zu finden. Und in der Wolke des Vergessens geht es um die Dinge, die man zurückgelassen hat, wenn man diesen Gipfel der Spiritualität bestiegen hat."
    Kaum zu zähmender Rebell
    Michael Gira beschreibt sich selbst als Suchender. Der US-Amerikaner ist nun 62 Jahre alt, ein Mann, an dem alles extrem erscheint, angefangen beim Lebenslauf, angefangen in frühester Kindheit. Der Vater, ein Manager, lässt sich von der Mutter scheiden, einer Alkoholikerin, Michael bleibt bei ihr. Mit elf nimmt er die ersten Drogen, mit 13 LSD. Seinen 16. Geburtstag verbringt er wegen Rauschgifthandels in einem Knast in Israel – ein kaum zu zähmender Rebell, der irgendwann die Musik findet, um seine Wut zu kanalisieren. 1982 gründet er in New York Swans, die zu Beginn existenzialistischen Lärm spielen und schnell Kult werden. Im Laufe der Jahre mutiert die Band immer mehr zu einer stilistisch extrem wandelbaren Formation mit wechselnden Mitgliedern. Dann der Bruch wegen Erschöpfung und das Comeback 2010. Nun ist auch mit dieser Phase Schluss, so viel steht für Gira fest.
    "Diese Band ist die beste, die ich je hatte. Die Chemie stimmt, wir sind Freunde, wir gehen an immer an die Grenzen – das war eine große Erfahrung. Aber es ist wie bei einem Festmahl. Irgendwann bist du beim letzten Hühnerbein angekommen. Ich hatte das Gefühl, und nicht nur ich, dass sich die Band selbst auffrisst, wenn wir nicht getrennte Wege gehen."
    Intuitive Gabe und seine Suche nach Spiritualität
    Was fasziniert an Michael Giras Arbeitsweise, ist seine intuitive Gabe und seine Suche nach Spiritualität. Das Grundgerüst der Songs komponiert er meist auf der Gitarre, dann wird viel geprobt. Aber erst auf der Bühne nehmen die Stücke ihre Gestalt an und bleiben doch stets wandelbar. Jedes Album ist nur eine Momentaufnahme. Einige der Stücke auf "The Glowing Man" spielt die Band seit über einem Jahr live. Auf "When Will I Return" singt seine jetzige Frau, Jennifer Gira. Es ist die Verarbeitung eines entsetzlichen´Traumas, das Jennifer Gira in ihrem alten Wohnort New Orleans erlebte. Sie hatte gerade das Haus verlassen, um einkaufen zu gehen.
    "Plötzlich stürmt ein Mann aus den Büschen, packt sie und versucht sie, in sein Auto zu ziehen. Sie wehrt sich mit allen Kräften, und er schlägt sie furchtbar zusammen. Aber dieser Kampf hat ihr das Leben gerettet. Es kamen Menschen zu Hilfe, der Täter floh mit seinem Auto. Zu dieser Zeit hat sich ein Serienmörder herumgetrieben, der genau so vorging. Solch ein Erlebnis lässt dich nie mehr los. Es verändert die Struktur deines Gehirns für immer."
    Als Tribut an seine Frau Jennifer und in Gedenken an ihren Mut hat Michael Gira "When Will I Return" geschrieben und sie überzeugen können, es selbst zu singen – eine einmalige Erfahrung.
    Der Band-Name hat Bestand
    "The Glowing Man" ist wie jedes Album der Swans eine Extremwanderung in jeder Hinsicht. Im Vergleich zum Vorgängeralbum "To Be Kind" wirkt es noch etwas orchestraler, einige Stücke scheinen noch mehr einem mysteriösem Ritus zu folgen. Wohin die Reise von nun an gehen wird, das weiß Michael Gira noch nicht. Swans wird als Name bestehen bleiben, ob aktuelle Mitmusiker wie Thor oder Christoph Hahn ihn begleiten werden, ist aber fraglich. Im Herbst wird diese Besetzung noch einmal auf Tour kommen. Wer musikalische Grenzerfahrungen liebt, sollte diese Gelegenheit wahrnehmen – und keine Angst haben vor dem, was einen erwartet.
    "Für mich ist Musik, wenn sie am besten gelungen ist, ein Akt der Hingabe. Und egal ob man an Gott glaubt: Sie wird zu einer Kraft, die größer ist als man selbst. Die Musik spielt dich."