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Fragen und Antworten
Bluttest wird Kassenleistung - aber nur im Einzelfall

Der Bluttest bei schwangeren Frauen auf eine mögliche Trisomie des ungeborenen Kindes soll – unter strengen Voraussetzungen – zu einer Kassenleistung werden. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten und Kliniken entschieden. Wir haben Fakten und Fragen zusammengestellt.

19.09.2019
    Eine Medizinisch-Technische Assistentin hält eine Blutprobe zur Prüfung in die Höhe.
    Über den Bluttest auf Trisomie sorgt für kontroverse Debatten. (Picture Alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Was ist entschieden worden?
    Der Gemeinsame Bundesausschuss im Gesundheitswesen ("G-BA") ist das höchste Gremium der Selbstverwaltung in diesem Bereich und prüft zum Beispiel Medikamente und Verfahren.
    Der G-BA hat entschieden, dass die Krankenkassen den Test unter Umständen bezahlen, allerdings nur in begründeten Einzelfällen nach ärztlichen Beratung, verbunden mit bestimmten verpflichtenden Informationen. Zitat: "Frauen sollen dabei unterstützt werden, eine eigenständige, informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob sie diese vorgeburtliche genetische Untersuchung für erforderlich halten."
    Hier können Sie die wichtigsten Informationen des G-BA nachlesen. Die Entscheidung ist erst rechtskräftig, wenn das Bundesgesundheitsministerium nichts beanstandet.
    Was ist Trisomie?
    Menschen haben in ihren Zellen einen zweifachen Satz von Chromosomen. Bei 23 Chromosomen macht das 46 Stück, also jeweils zwei von Chromosom 1, Chromoson 2 undsoweiter. Trisomie bedeutet, dass die betroffenen Menschen ein Chromosom mehr haben, also 47 statt 46. Die bekannteste ist die Trisomie 21, das Down-Syndrom. Hier ist das Chromosom 21 dreifach vorhanden.
    Was ist das Down-Syndrom?
    Ungefähr eins von 800 Kindern wird mit Down-Syndrom geboren. Mit dem Alter der Mutter nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu. Weltweit leben rund fünf Millionen Menschen mit dem Down-Syndrom. Das Syndrom kann sich in Auffälligkeiten bei der Körpergröße oder der Form des Kopfes äußern. Außerdem haben Menschen mit Down-Syndrom immer wieder Schwierigkeiten, kompliziertere Texte zu verstehen. Das liegt daran, dass die sprachliche, motorische und geistige Entwicklung langsamer verlaufen kann. Organschäden sind ebenfalls möglich.
    Wie sehen sich Menschen mit Down-Syndrom selbst?
    Es ist eine Fehlannahme, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht so am gesellschaftlichen Leben teilhaben können wie alle anderen auch. Es stimmt auch nicht, dass sie nicht lesen und schreiben können. Auf der Seite "Ohrenkuss", auf der Menschen mit Down-Syndrom Artikel und Interviews veröffentlichen, heißt es: "Viele Menschen glauben: Das Down-Syndrom ist eine Krankheit. Aber das stimmt nicht."
    Weiter heißt es: "Menschen mit Down-Syndrom 'leiden' nicht an ihrer Behinderung – ganz im Gegenteil, wovon sich jeder überzeugen kann, der schon einmal an einer Redaktionskonferenz von Ohrenkuss teilgenommen oder eine Lesung des Ohrenkuss-Teams erlebt hat. Worunter die Menschen mit Down-Syndrom manchmal allerdings sehr zu leiden haben, sind die Reaktionen ihrer Umwelt, die sie aufgrund ihrer Andersartigkeit häufig abwertend behandelt."
    Wie funktioniert der Bluttest auf Trisomie?
    Bluttests gelten als relativ zuverlässig, um die Wahrscheinlichkeit einer Trisomie zu erkennen. Dafür wird der werdenden Mutter Blut entnommen. Denn ihr Blut enthält außer ihrer eigenen DNA auch Bruchstücke des kindlichen Erbgutes.
    Die Tests werden auch nicht-invasive Pränataltests (NIPT) genannt und sind ab der zehnten Schwangerschaftswoche möglich. Eine hundertprozentige Diagnose lassen aber auch sie nicht zu. Weiter Untersuchungen sind zum Beispiel die Fruchtwasser-Untersuchung oder eine Plazenta-Punktion. Beide sind mit dem Risiko einer Fehlgeburt verbunden. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung liegt das Risko bei 0,5 bis 2 Prozent.
    Die Kosten für den Test liegen bei 130 Euro, können aber auch höher liegen. Bisher tragen die Kassen nur die Kosten für die invasiven Tests, also die Fruchtwasseruntersuchung und die Plazenta-Punktion.
    Was sagen die Befürworter einer Kassenleistung?
    Sie sagen, dass die Unterschung zum einen vergleichsweise risikoarm ist und für soziale Gerechtigkeit sorgt. Das heißt: Der Test soll nicht nur denjenigen vorbehalten sein, die ihn sich auch leisten können.
    Der Deutsche Bundestag hat sich im Frühjahr in einer Orientierungsdebatte mit dem Thema befasst. Dabei gab es viele Stimmen für die Übernahme der Kosten wie etwa den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Der AfD-Politiker Axel Gehrke sagte, mit dem Bluttest werde ein altes, risikobehaftetes Verfahren durch ein neues, risikoarmes Verfahren ersetzt.
    Die evangelische Kirche ist prinzipiell damit einverstanden, dass der Test Kassenleistung wird, in der katholischen Kirche gibt es viel mehr Skepsis.
    Reiner Anselm ist Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er sieht durchaus eine Berechtigung für den Test und sagte im Dlf: "Ich glaube, es ist sehr natürlich, dass sich schwangere Frauen, aber auch werdende Väter Sorgen machen über den Gesundheitszustand des Kindes."
    Was sagen die Kritiker?
    Für sie geht es hier ganz klar um eine Selektion von lebenswertem und nicht lebenswertem Leben. Anders gesagt: Die Übernahme der Testkosten würde bedeuten, dass Menschen mit Trisomie nicht erwünscht sind. In der Folge würden dann auch kaum noch Kinder mit Down-Syndrom geboren.
    So hatte sich etwa die Grünen-Politikerin Corinna Rüffer geäußert und betont, in den meisten Fällen würden die Föten bei einem positiven Test abgetrieben.
    Die Aktivistin Natalie Dedreux, selbst Autorin bei Ohrenkuss, nimmt regelmäßig an Kundgebungen teil. Sie sagte im Frühjahr 2019 im Deutschlandfunk an die Adresse der Politikerinnen und Politiker:
    "Wir wollen nicht mehr abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben, und die Politiker sollen machen, dass die Krankenkassen den Bluttest von Down-Syndrom nicht bezahlen. Ich persönlich würde mein Kind auch nicht einfach so abtreiben, nur weil es Down-Syndrom hat. Ich würde ihm ein herzliches Willkommen auf der Welt geben und mich auch da drüber freuen, dass ich ein Kind habe, das die Geburt auch überlebt hat."
    Mehr über den Bluttest und die sich widersprechenden Einschätzungen können Sie hier nachlesen. Dort kommen auch Theologen und Wissenschaftler zu Wort. Zitat: "Zwei Normen stehen in Spannung zueinander: die individuelle Situation werdender Eltern – und wie die Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung umgeht."
    (jcs)