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"Letztlich in Italien nichts Neues"

Das ständige Suchen nach Mehrheiten habe das Nachkriegsitalien immer schon geprägt, sagt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Der Zusammenhalt des Euros sei dadurch nicht gefährdet, sondern "voll umfänglich" garantiert.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Dirk Müller | 27.02.2013
    Dirk Müller: Ein Patt, ein Unentschieden zwischen den beiden Lagern und dazwischen auch noch ein Komiker. Dabei braucht der Euro, die Euro-Zone vor allem eins: Stabilität und auch noch Berechenbarkeit und auch noch Disziplin. Darüber sprechen wir nun mit Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgisches Weltwirtschaftsinstituts. Guten Morgen!

    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Straubhaar, wie gefährlich ist Italien?

    Straubhaar: Sicher ist es nicht angenehm, was passiert ist am Wochenende in Italien, auch nicht für Deutschland. Ich meine, Italien ist das drittgrößte Land der Euro-Zone nach Deutschland und Frankreich. Italien ist für Deutschland ein wichtiger Handelspartner. Italien ist sogar ein Nettozahler in die europäischen Stabilitätsmechanismen. All das zeigt, wie wichtig Italien für das Euro-Gefüge insgesamt ist. Andererseits würde ich dennoch etwas versuchen, die Lage beruhigend zu sehen, weil letztlich in Italien nichts Neues passiert ist, was nicht 64 Mal vorher in der Nachkriegszeit in Italien geschehen ist.

    Müller: Das heißt, Italien ist, wie auch immer, immer irgendwie regierbar?

    Straubhaar: So ist es! Ich meine, die Instabilität war sozusagen die Stabilität der italienischen Politik. Diese häufigen Wechsel, dieses ständige Suchen nach Mehrheiten hat ja das Nachkriegsitalien geprägt. Und von daher gesehen ist das nichts Neues und vor allem auch die Wirtschaft, gerade die deutsche Wirtschaft, hat in den letzten Jahren sehr gut gelernt, zu leben mit einem hohen Maße an Unsicherheit, was sozusagen die Rettungsmechanismen für die Euro-Stabilität betrifft.

    Müller: Aber ist Italien im Falle des Falles nicht ein ganz anderer Fall?

    Straubhaar: Natürlich ist Italien ein ganz anderer Fall, allein aufgrund seiner schieren Größe. Und von daher gesehen ist das nicht unwichtig. Aber gerade mit Blick auf das, was den Euro betrifft, ändert es überhaupt nichts daran, dass, wie vorher auch schon, sowohl die europäische Politik mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus wie schlimmstenfalls auch die Europäische Zentralbank mit dem Versprechen ihres italienischen Präsidenten Mario Draghi durchaus auch weiterhin voll umfänglich in der Lage sein werden, den Bestand und Zusammenhalt des Euro zu garantieren. Eine ganz andere Frage wird sein, was wird uns das langfristig kosten. Aber jetzt für die kurze Frist, denke ich, schießen viele dieser Reaktionen weit übers Ziel hinaus.

    Müller: Herr Straubhaar, das müssen Sie uns aber noch mal ein bisschen erklären. Mario Draghi ist Italiener, der wird besonders solidarisch sein, obwohl er ja unabhängig sein soll und auch rhetorisch jedenfalls sein will. Wenn beispielsweise die Europäische Zentralbank, weil sie es muss, oder weil es angesagt ist, immer weiter italienische Staatsanleihen kauft, damit die nach wie vor bezahlbar sind, damit die italienische Regierung sie vor allen Dingen nach wie vor liquid wird, ist das nicht eine ganz, ganz große Hypothek, die mit Griechenland und Portugal und Spanien gar nichts zu tun hat?

    Straubhaar: Das ist völlig richtig, dass das sozusagen ein Verhalten ist, was die Probleme von heute in die Zukunft verlagern wird. Aber noch einmal: Ich denke, es kann und darf und soll nicht Ziel jetzt der Politik ganz generell sein, sich aufgrund von kurzfristigen Turbulenzen auf den Börsenmärkten treiben zu lassen zu einem Verhalten, was mittel- und langfristig eben auch makroökonomisch große Verwerfungen hervorrufen würde. Und natürlich ist das nicht im Sinne, ganz sicher nicht im Sinne der deutschen Erfinder der Europäischen Zentralbank. Wenn hier im Notfall, wie das bereits geschehen ist bei Griechenland und bei Spanien und bei Portugal, die Europäische Zentralbank jetzt auch beginnen würde, italienische Staatsanleihen entweder auf dem Sekundärmarkt oder wie auch immer zu erwerben, dann ist das nicht im Sinne des Erfinders. Aber es ist ein ganz klares Signal, dass kurzfristig keine Sorge besteht, dass jetzt der Euro auseinanderbrechen würde.

    Müller: Müssen wir uns denn, Herr Straubhaar, in Deutschland, in den Niederlanden, wo auch immer in ganz Europa immer jetzt in Zukunft darauf einstellen, dass jede Wahl in irgendeiner Form mit Blick auf den Euro zu einer Zitterpartie werden kann, egal, wo sie stattfindet?

    Straubhaar: Ganz sicher wird das für die Märkte der Fall sein. Ich meine, das ist nun einfach mal so, dass Deutschland hier unglaublich erpressbar geworden ist, dass Deutschland der größte Zahlmeister für alle Probleme der Euro-Zone geworden ist. Das ist ja das, was auch viele Deutsche zurecht dermaßen ärgert, dass im Prinzip wir hier in Deutschland die Hausaufgaben gemacht haben, die in Italien eben einmal mehr über eine lange, lange Frist versäumt worden sind, umzusetzen. Die Lehre daraus muss doch lauten, dass wir zu einer Strategie finden müssen, die eben genau mit dieser Unsicherheit, mit dieser ständigen Herausforderung, erpresst zu werden, umgehen kann. Und das kann nur bedeuten, dass es einen langfristigen Plan geben muss, in welcher Art und Weise auch immer, wie die schwächeren Euro-Länder auch strukturell auf einen besseren Weg gebracht werden können. Und so stückchenweise geschieht das ja. Das ist ja nicht hoffnungslos. Aber es wird viel mehr Zeit brauchen, als wir, glaube ich, erwartet haben. Man kann nicht über Nacht korrigieren, was über Jahrzehnte verschlampt worden ist.

    Müller: Jetzt sind ja diese Finanzkriterien, die Haushaltskriterien die eine Seite. Die andere Seite, wenn wir jetzt gerade in Teilen Italiens, aber wenn wir noch stärker nach Griechenland, nach Portugal, nach Spanien blicken: eine grassierende Arbeitslosigkeit, eine junge Generation, die so gut wie gar keine wirtschaftliche Perspektive oder Jobperspektive hat. Mehr als 50 Prozent der jungen Menschen dort arbeitslos. Ist das mittelfristig nicht noch viel gravierender als Haushaltszahlen?

    Straubhaar: Das ist genau meine Warnung, dass diese verlorene Generation natürlich mit ganz anderen Augen auch auf Europa blicken wird. Die sagen, nicht wir haben diese Probleme verursacht, sondern unsere Eltern und in dem Sinne eben auch Europa, das zugelassen hat, dass es zu dieser Währungsunion gekommen ist. Und man hätte in dem Sinne schon viel früher korrigieren müssen. Und wir sehen ja rundum in Europa, wie die Regierungen abgewählt werden, die versuchen, jetzt kurzfristig das Rad herumzuwerfen. Und von daher gesehen ist es genau dieses soziale Spannung, die sich aufbaut, die gesellschaftliche Akzeptanz Europas, die zurückgeht in den meisten dieser strukturell schwächeren Länder. Auch in Deutschland, dem strukturstärksten Land, sinkt die Bereitschaft, europäisch zu denken und zu handeln. Und von daher gesehen gehen wir ganz schwierigen Zeiten entgegen. Aber noch einmal: Die können wir nur dann meistern, wenn wir politisch ganz klar dieser Absicht folgen, dass eben ein Auseinanderfallen Europas, eine Rückkehr zu diesem nationalstaatlichen Denken Mitte des letzten Jahrhunderts oder sogar noch vorher kostspieliger ist als alle Versuche, hier eine gewisse Stabilität reinzubringen. Das kostet was, aber kostet vielleicht eben weniger, als diesem Zusammenbruch sozusagen des europäischen Gedankengutes tatenlos zuzusehen.

    Müller: Bei der nächsten Frage weiß ich jetzt nicht so recht, Herr Straubhaar, ob das etwas mit den Schlachten von gestern zu tun hat. Aber wenn wir Ihrer Skizzierung, Ihrer Analyse folgen – Sie sagen, kein Grund, jetzt in Panik zu verfallen, aber Sie skizzieren das Ganze Ausmaß, Sie skizzieren auch die Zukunftsperspektive -, das heißt, wir müssen immer ganz genau darauf achten, wer wo wann und wie regiert. Als das alles zustande gekommen ist mit dem Euro vor vielen, vielen Jahren, waren da ganz viele führende Politiker von allen guten Geistern verlassen?

    Straubhaar: Nein! Das war aber auch eine andere Zeit. Das war ja die Zeit auch der deutschen Wiedervereinigung beispielsweise, als gerade die Nachbarn Deutschlands durchaus mit Argusaugen auf Deutschland geguckt haben und gesagt haben, kann doch nicht sein, dass ausgerechnet Deutschland jetzt wieder das größte wichtigste Land in Europa wird, das wiedervereinigte Deutschland. Und wir sozusagen kleine Satelliten werden dessen, was in Berlin beschlossen wird. Das war einer der Gründe, auch damals von der Regierung Kohl, eben Deutschland ganz unverrückbar in Europa zu integrieren. Und ich denke, was wir jeden Tag – und deshalb mache ich es auch jetzt wieder hier – erwähnen müssen, ist einfach die unglaublich vielen Gewinnerinnen und Gewinner, die es auch in Deutschland gibt, dank dieser europäischen Integrationsbewegung der letzten 50 Jahre. Gerade die junge Generation, gerade in Deutschland, die heute selbstverständlich europäisch reisen, arbeiten, leben, wohnen, sich entwickeln kann. Das ist ein Gewinn, dass wir nicht mehr sozusagen im Schützengraben gegen andere Europäer uns auf einen Krieg vorbereiten müssen ...

    Müller: Aber wir reden ja über den Euro!

    Straubhaar: Ja, natürlich! Aber der Euro war genau sozusagen ein weiterer Baustein, den man damals glaubte, dass er zu einer Einigung, einer weiteren Einigung Europas beitragen würde. Das war in dem Sinne eine falsche Erwartung. In dem Sinne haben hier diese Hoffnungen nicht getragen. Aber das Problem ist: Wenn Sie mal mit anderen in einem Euro-Bett liegen und einen Euro gezeugt haben, dann können Sie das nicht mehr rückgängig machen. In dem Sinne ist der Euro in einem hohen Maße alternativlos. Ähnlich wie wenn ein Kind geboren ist, nützt es nichts, immer wieder davon zu reden, wie schön es war, kinderlos zu sein.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgisches Weltwirtschaftsinstituts. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Straubhaar: Gern geschehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.