Freitag, 29. März 2024

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"Letztlich zielt alles auf Wettbewerb"

Nach Auffassung des SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer ist von dem Weltwirtschaftsforum in Davos kein Umdenken in der Energiepolitik zu erwarten. Es gehe um die Grundlage des Wirtschaftens der Zukunft, und davon sei bei allen bisherigen Wirtschaftsforen nicht die Rede gewesen, sagte Scheer. Das Publikum in Davos sei dazu zu einseitig zusammengesetzt, betonte Scheer.

Moderation: Christine Heuer | 26.01.2006
    Christine Heuer: Angelina Jolie und Angela Merkel, der Sänger Bono und Bill Gates, nur ein paar Namen auf der Gästeliste des Weltwirtschaftsforums in Davos. Seit gestern wird bei dem hochkarätigen Treffen in der Schweiz über die Zukunft der Weltwirtschaft, über Chancen und Risiken, in der globalisierten Welt debattiert. Dieses Jahr unter dem Motto "kreativer Imperativ". Das klingt – Kant lässt grüßen – ein bisschen nach Morallehre und sehr danach, die industriellen Möglichkeiten der Globalisierung auch wirklich ganz auszuschöpfen. Die Eröffnungsrede in Davos hat diesmal die deutsche Bundeskanzlerin gehalten. Hermann Scheer ist SPD-Abgeordneter im Bundestag, Vorsitzender des Weltrates für erneuerbare Energien, Träger des alternativen Nobel-Preises und jetzt am Telefon. Ich möchte mit ihm über die Zukunft Deutschlands in der globalisierten Wirtschaft sprechen. Guten Morgen Herr Scheer!

    Hermann Scheer: Guten Morgen Frau Heuer!

    Heuer: Wir erreichen Sie, Herr Scheer, in Berlin. Wo wären Sie denn jetzt lieber, in Davos oder beim Gegengipfel in Caracas?

    Scheer: Ich wäre lieber in Caracas, wenn ich diese Woche Zeit hätte.

    Heuer: Wieso?

    Scheer: Weil dort die Probleme deutlicher angesprochen werden, und zwar in einer weniger einseitigen Zusammensetzung des Publikums, als es in Davos der Fall ist. Was sich auf dem so genannten Weltwirtschaftsforum immer trifft, ist ja eine sehr einseitige Auslese an Teilnehmern. Meistens zahlt man dort 20 oder 30.000 Euro Teilnehmerbeitrag, um überhaupt teilnehmen zu können. Damit ist von vornherein selektiert, wer dort teilnehmen darf. Es pilgern dort in der Regel seit vielen Jahren sehr einseitig ausgerichtete moderne Wirtschaftsideologen hin, die sich zwar um viele schöne Worte bemühen, jetzt auch mit dem "kreativen Imperativ", aber die sich bisher vor allem dadurch ausgezeichnet haben, dass sie zwar verbal sich zu den Problemen bekennen mit den vorbereiteten organisierten Rednern, aber letztlich zielt alles auf Wettbewerb, Wettbewerb, Wettbewerb, und wenn es noch so ökologisch und sozial in der Praxis ignorant ist. Deswegen ist das Gegenforum, das Weltsozialforum, vor ein paar Jahren gebildet worden und dort wird die Wahrheit ausgesprochen über die Rückseite dieses Glanzes.

    Heuer: Herr Scheer, aber wenn die jetzt in Caracas tagenden Globalisierungskritiker die Wahrheit schon kennen, dann wären sie ja in Davos viel besser untergebracht, denn da können sie ja noch eine Botschaft unters Volk bringen und sich mit den Leuten, die dort sind, trefflich streiten. Was wäre denn Ihre Botschaft? Wo liegt der Zukunftsmarkt, die Zukunftschance – lassen Sie uns bei Deutschland bleiben – unseres Landes in der globalisierten Wirtschaft?

    Scheer: Es ist nicht nur die unseres Landes, aber natürlich haben wir eine besondere Möglichkeit und damit eine besondere Verantwortung. Es ist klar, dass die Welt heute zwei Dinge braucht. Sie braucht zum einen eine neue Verbindung von sozialer Sicherung und das trotz Multinationalisierung der Unternehmen. Das setzt völlig neue Anforderungen an den Staat, sein Steuersystem und sein soziales Sicherungssystem voraus. Soziale Schutzlosigkeit kann nicht die Antwort sein und nur Samaritertum, das auf zufälligen Almosen beruht, auch nicht.
    Das zweite ist: Wir brauchen zwingend eine ökologische Ökonomie. Das heißt wir sind heute in einer Situation - an allen Ecken und Enden merkt man das doch schon -, nicht nur die Klimaentwicklung, auch die zunehmenden Konflikte um knapper werdende Energieressourcen, Wasserverschmutzung, Gesundheitsschäden durch Energieemissionen. Die Welt ist heute geprägt von einer unökologischen, das heißt zerstörerischen, die Ökosphäre und damit die Lebensgrundlagen zerstörenden Wirtschaftsweise. Dieses hat keinerlei Zukunft und wenn man meint, jetzt den Wettbewerb – koste es was es wolle und egal auf welchen Rücken – in den Vordergrund stellen zu müssen, dann geht das nicht nur zu Lasten sozialer Beziehungen, sondern dann geht das natürlich auch zu Lasten der natürlichen Lebensgrundlagen und ohne diese geht gar nichts auf Dauer.

    Heuer: Klingt alles richtig, Herr Scheer, aber lässt sich mit einer ökologischen Ökonomie, mit Produkten, die in einer solchen Wirtschaftsform hergestellt werden, Geld verdienen? Werden wir damit wettbewerbsfähig auf dem Weltmarkt?

    Scheer: Wir werden mit der jetzigen Wirtschaftsweise alles verlieren, und zwar nicht nur wir. Es geht hier nicht nur um ein paar Produkte, die etwas umweltfreundlicher produziert worden sind, sondern es geht um eine neue Ressourcengrundlage. Keine Wirtschaft existiert ohne Ressourcen. Ressourcenverfügbarkeit ist die Voraussetzung allen Wirtschaftens. Unser Problem ist das Ressourcenproblem. Wir haben es zu tun mit endlichen Ressourcen, die die Grundlage des Wirtschaftens gegenwärtig darstellen, fossile Ressourcen, mineralische Ressourcen, und gleichzeitig mit solchen, die bei der Umwandlung unweigerlich erhebliche Folgeschäden und Folgeprobleme hervorrufen, vom Klima bis zum Atommüll. Das berührt nicht nur einzelne Produkte, einzelne Wirtschaftszweige etwa im Bereich der Umwelttechnik. Die Chance, die wir haben, ist, die natürlichen Ressourcen, die nicht erschöpflich sind, die erneuerbaren Ressourcen sowohl für den Rohstoffbereich wie für den Energieeinsatz, zur Grundlage des Wirtschaftens zu machen. Dazu braucht man moderne Technologien und das ist mehr als nur ein Wirtschaftszweig, um den es hier geht. Das geht in die Grundlage des Wirtschaftens der Zukunft und davon ist in Davos bisher bei all den bisherigen Wirtschaftsforen nicht die Rede gewesen.

    Heuer: Nun ist die Welt aber jenseits Deutschlands und Europas an erneuerbaren Energien bislang noch nicht so richtig interessiert, Herr Scheer?

    Scheer: Diejenigen, die in Davos zusammen sitzen. Ich rede hier von der Einseitigkeit, die mit der Einseitigkeit der Zusammensetzung des Publikums zusammenhängt, was nicht für jede einzelne Rede, die dort gehalten wird, gelten muss. Es ist ja klar: man operiert auf der Basis der heutigen Ressourcenwirtschaft, hält sie für unverzichtbar, obwohl es unter den Händen zerrinnt und zerbröselt. Die Erschöpfung dieser Ressourcen steht ja inzwischen vor aller Augen. Aber diejenigen, die die Gewinner der bisherigen Strukturen sind, halten daran so lange fest wie nur irgend möglich und das macht sie zum Problem.

    Heuer: Gilt das auch für die große Koalition, in der Ihre Partei, die SPD, ja beteiligt ist?

    Scheer: Ich hoffe nicht, dass es dafür gilt. Wir haben in den letzten Jahren ja einen großen Schritt im internationalen Vergleich hin zu der neuen Ressourcenbasis mit erneuerbaren Energien gemacht. Es ist ja deshalb so umstritten gewesen. Es wird ja heute auch noch kampagnenmäßig bekämpft von denen, die meinen, sie könnten so weitermachen wie bisher im Bereich bisheriger Wirtschaftsweisen. Was das große Koalitionsergebnis bei den Verhandlungen bisher besagt ist, dass diese Entwicklung weitergehen soll. Damit wären wir immerhin internationaler Vorreiter gewesen und ich hätte mir gewünscht, dass dieses in der Rede der Bundeskanzlerin etwas stärker noch – ich habe die Rede nicht im vollen Wortlaut gehört - deutlich geworden wäre.

    Heuer: Das war jedenfalls nicht der Schwerpunkt!

    Scheer: Das war nicht ihr Schwerpunkt, vielleicht auch deshalb, weil man immer noch in der Zweispaltung denkt. Das geht ja bis weit in die Medien hinein. Hier ginge es um das Wirtschaften und dort ginge es um die Umwelt. Nein, es geht im Grunde genommen um eine umweltgemäße Wirtschaftsweise oder eine umweltzerstörerische, nicht um einen bloßen einzelnen Wirtschaftssektor Umwelttechnik. Dann hat man die Frage eigentlich nicht richtig verstanden. Es geht schon bei der Umweltfrage um die Wirtschaft insgesamt.