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Leuchtturm oder Kerze

Vergangenen Montag diskutierten auf dem 2. IT-Gipfel in Hannover Vertreter aus Politik Wissenschaft und Wirtschaft über die Zukunft der Informationsgesellschaft in Deutschland. Ein Schlagwort, das dabei häufige Verwendung fand, war "Theseus" und meint nichts weniger als die ambitionierte Fortentwicklung des Internets.

Von Philip Banse | 15.12.2007
    "Die Bilanz kann sich sehen lassen. Wir haben Leitprojekte wie Theseus." Merkel: "Internet der Dienste, Projekt Theseus, wurde schon gesagt. Wir haben uns damit ziemlich viel vorgenommen..."

    So Bundeswirtschaftsminister Michael Glos in Hannover. Das ist nicht übertrieben. Theseus soll nicht weniger als das digitalisierte Wissen im Internet neu ordnen. Wirtschaftminister und Kanzlerin priesen auf dem IT-Gipfel wiederholt dieses millionenschwere Forschungsprojekt, das so komplex ist wie umstritten. 30 deutsche Industrieunternehmen und Großforschungseinrichtungen sollen Techniken, Produkte, Werkzeuge und Geschäftsmodelle entwickeln. Ziel ist es, Texte, Bilder, Filme aber auch Dienste wie Online-Bibliotheken und Postleitzahlensuche im Internet besser zu erfassen und zu organisieren. Denn nur wer richtig aufräumt, findet auch besser, sagt Thomas Huber, Sprecher des Theseus-Konsortiums, mit Blick auf traditionelle Suchmaschinen wie Google:

    "Das ist die Zukunft des Internets. Es geht darum, nicht lange Listen zu produzieren, wo der User sich stundenlang durchsuchen muss, sondern das ist Ziel ist: Sie stellen der Maschine eine Frage und bekommen dann eine richtige Antwort."

    Eine reine Suchmaschine war nur am Anfang das Ziel. 2005 wollten Frankreich und Deutschland ein europäisches Gegengewicht zu Google aus der Taufe heben, Titel Quaero. Damit das kulturelle Erbe des Kontinents nicht von amerikanischen Aktienunternehmen verwaltet wird. Doch die Bundesregierung wollte mehr und trennte sich von Frankreich. Die französische, Google-artige Suchmaschine ist lange online. Mit Theseus geht Deutschland einen völlig anderen Weg: direkt ins semantische Web. In diesem wissenden Netz haben Bilder, Texte, Filme und auch Anwendungen nicht bloß Namen, sondern eine Bedeutung. Lautet die Suchanfrage: "Wo wohnt Kohl?" wird die Antwort nichts mit Gemüse zu tun haben. Denn die semantische Suchmaschine weiß, dass der ehemalige Bundeskanzler gemeint ist. Dazu muss alles im Netz, jeder Text, jedes Bild, Schlagworte bekommen, erklärt Theseus-Sprecher Huber:

    "Das sollen eben auch künftig die Computer selber machen, damit wir als Nutzer Unterstützung zu bekommen, wenn es darum geht, ein Bild oder eine Videodatei zu beschreiben. Da wird uns dann Computer Schlagworte anbieten, die er selbst findet in großen Datenbanken, in großen Ontologien. Und das hat mit einer Suchmaschine eher weniger zu tun."

    Theseus soll existierende semantische Techniken weiter entwickeln und zu einer industriellen Marktreife bringen. Gegen Lizenzgebühren soll jeder diese Algorithmen, Werkzeuge und Plattformen nutzen können, um neue Anwendungen zu bauen: Suchmaschinen für Röntgenbilder, besseres Wissensmanagement in Unternehmen, Öffnung digitaler Rundfunkarchive. Kritik an dem "Leuchtturmprojekt" der Bundesregierung war auf dem IT-Gipfel nicht zu hören. Mit einer rein semantischen Suchmaschine werde man das Monopol von Google nicht brechen können, sagt Hendrick Speck, Wirtschaftsinformatiker an der Fachhochschule Kaiserlautern und Theseus-Gutachter für das Wirtschaftsministerium:

    "Das heißt nicht, dass da jetzt sofort vermarktbare Ergebnisse rauskommen müssen. Viel wichtiger ist das Aufbauen einer nachhaltigen Entwicklungslandschaft für derartige Projekte."

    Nachhaltige Entwicklungslandschaft heißt: Kleine und mittelständische Unternehmen, freie Entwickler, Hacker - alle arbeiten gemeinsam an neuen Techniken. Denn Klein macht Groß – nach diesem Garagen-Prinzip sind alle Giganten des Internets entstanden, von YouTube über Google bis MySpace. Allein Deutschland versucht es genau anders herum. Nach dem Modell klassischer Industriepolitik wurden die Elefanten der nationalen IT-Branche beauftragt, das Internet neu zu ordnen. SAP, Bertelsmann und Co. bekamen das 200-Millionen-Euro-Prestige-Projekt – ohne Ausschreibung. Erst jetzt soll die Kreativität kleiner Entwickler, Unternehmen und Hacker angezapft werden. Doch die Richtung ist vorgegeben: semantisches Web. Das sei der völlig falsche Weg, sagt Wolfgang Sander-Beuermann, Leiter des Suchmaschinenlabors der Universität Hannover und der Vater der deutschen Suchmaschinen-Forschung. Deutschland verspiele die letzte Chance, den massiven technologischen Rückstand auf Google zu verringern.

    "Theseus pflegt die Illusion, dass mit dem semantischen Web der übernächsten Generation deutsche IT wieder chancengleich würde. Leider fehlen dazu die Basistechnologien: Man kann keinen Porsche bauen, wenn die Kenntnisse fehlen, wie eine Zündkerze funktioniert."