Samstag, 13. April 2024

Archiv


Leugnen unter Strafe

Heute vor 25 Jahren verabschiedete der Bundestag das 21. Strafrechtsänderungsgesetz, das sich unter anderem gegen die sogenannte "Auschwitz-Lüge" richtete. Ob ein solches Gesetz überhaupt sinnvoll ist und wie es ausgestaltet werden sollte, war in der bundesdeutschen Öffentlichkeit heftig und kontrovers diskutiert worden.

Von Oliver Tolmein | 25.04.2010
    "Helmut Kohl, Theo Waigel und ich sind unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Gesetz nicht verabschiedet werden sollte. Wir sind der Meinung, dass es nicht das Andenken derer schützt, die Opfer eines Völkermordes geworden sind, insbesondere unsere jüdischen Mitbürger in Deutschland und Europa und auch nicht das Andenken derer, die Opfer einer Massenvertreibung geworden sind."

    Nach einer mehr als zwei Jahre währenden Debatte, die noch in der alten sozialliberalen Regierung begonnen hatte und die sich nun in das konservativ-liberale Regierungsbündnis verlängerte, zog der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Deutschen Bundestag Alfred Dregger mit diesem Statement einen Schlussstrich unter die Diskussion über ein Gesetz gegen die sogenannte Auschwitz-Lüge. Ein Strafgesetz, das ausdrücklich die Leugnung und Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermordes unter Strafe stellte, sollte es nicht geben. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" skizzierte den verwirrenden Frontverlauf dieser Debatte, in der Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen des Strafrechts mit einer Bewertung der deutschen Geschichte und Gegenwart und schlichtem parteitaktischem Kalkül in Konflikt gerieten.

    "Das Hohe Haus bot ein verworrenes Bild: Wie in alten sozialliberalen Tagen beklatschten die Sozialdemokraten den FDP-Justizminister Hans Engelhard – als sei er einer der ihren. Die Union wiederum feierte, seltsam genug, den Grünen Otto Schily – obwohl der einen Gesetzentwurf verriss, den Helmut Kohls Regierung eingebracht hatte."

    Nach der Erstarrung der Verhältnisse im sogenannten Deutschen Herbst hatte der Übergang von der sozialliberalen zur liberal-konservativen Regierungskoalition die Bundesrepublik Anfang der 1980er-Jahre in Bewegung gebracht. Mit den Grünen saßen ehemalige Vertreter der Außerparlamentarischen Opposition im Parlament, gleichzeitig wurde in großem Maßstab darüber debattiert, ob die nationalsozialistischen Verbrechen wirklich einzigartig waren. Der Historikerstreit eskalierte und Bundeskanzler Kohl versöhnte Deutschland mit den USA über den Gräbern auch von Waffen-SS-Soldaten in Bitburg. Den Bogen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit zur Gesetzesdebatte schlug in einem Rundfunkkommentar der Pfarrer und ehemalige SPD-Politiker Heinrich Albertz:

    "Ich gestehe freimütig, säße ich heute im Bundestag und müsste mein Ja oder Nein zu dem Gesetz sagen, dann wäre ich sehr unsicher in meiner Entscheidung. Nicht, weil ich den deutschnationalen Argumenten des Vorsitzenden der CDU-Fraktion folgte, sondern weil ich zornig und traurig bin, dass nun wieder wie bei der elenden Diskussion um den 8. Mai '85 die verdrängte Vergangenheit, die versäumte Reinigung wie ein Ausschlag auf die westdeutsche Haut gerät."
    Von einer anderen Warte aus kommentierte der jüdische Rechtsanwalt Sebastian Cobler, ein überaus engagierter und scharfsinniger Strafverteidiger aus Frankfurt am Main, die Auseinandersetzung in der Zeitschrift "Kritische Justiz":

    "Das bis zur Beschlussfassung angestimmte Parteigezänk muss gerade von denen als Demütigung empfunden werden, deren Identität als Verfolgte das Gesetz angeblich besser schützen soll. Bereits die Absicht, mithilfe des Strafrechts und der Strafjustiz antisemitischen Äußerungen begegnen zu wollen, müsste gerade in Deutschland nachdenklich stimmen."

    Am Ende der gesellschaftlichen Kontroverse stand ein Kompromiss von CDU/CSU und FDP, der im 21. Strafrechtsänderungsgesetz seinen Niederschlag fand, das am 25. April 1985 in 3. Lesung beschlossen wurde. In Paragraph 194 des Strafgesetzbuches heißt es seitdem:

    "Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt. Ein Antrag (ist) nicht erforderlich, wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt."
    Der damalige Bundesvorsitzende des Deutschen Richterbundes Helmut Leonardy kommentierte das Ergebnis in einem Interview enttäuscht:

    "Der ursprüngliche Tatbestand stand ja nun in der Nähe der Verharmlosung des Völkermordes. Nun wird also dieser Straftatbestand eingeordnet in die Beleidigung also eines der geringfügigsten Straftaten, die wir in unserem Gesetz haben. Das ist unseres Erachtens nicht angemessen."

    In der Praxis spielte der Paragraph 194 des Strafgesetzbuches bis heute keine nennenswerte Rolle. Das Thema blieb daher auf der politischen Tagesordnung. Erst neun Jahre später wurde durch eine Umgestaltung des Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches eine Vorschrift beschlossen, die dem ursprünglich geplanten Gesetz gegen die Auschwitz-Lüge nahe kam.