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Leugnung von Völkermord soll bestraft werden

Der Völkermord an den Armeniern 1915/1916 ist bis heute in der Türkei ein Tabu. Frankreich hat im letzten Jahr ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung eines Genozids grundsätzlich unter Strafe stellt. Die Türkei wertete das als Affront gegen sich. Jetzt wird auch in Deutschland über ein solches Gesetz diskutiert.

Von Marie Wildermann | 11.01.2012
    Die Leugnung von Völkermorden auch in Deutschland unter Strafe zu stellen, fordert zum Beispiel der christlich-alevitische Freundeskreis der CDU. Das parteipolitische Netzwerk will alevitische und christliche Gemeinschaften mit Migrationshintergrund wie aramäische, griechische oder armenische Christen miteinander ins Gespräch bringen. Die Sprecherin der Organisation Madlen Vartian ist selbst Armenierin. Die Juristin hält ein Gesetz in Deutschland, das die Leugnung von Völkermorden unter Strafe stellt, für längst überfällig.

    "Zum einen soll ein Teil der Bevölkerung vor Hasspropaganda und Gewalt geschützt werden, die durch eine Leugnung des Völkermordes ausgehen. Denn durch die Leugnung des Völkermordes werden nicht nur historische Tatsachen geleugnet, sondern es werden auch entsprechende Stereotypen und Feindbilder, die damals zur Vernichtung geführt haben, transportiert."

    Aber auch das Verschweigen eines Völkermords bleibt nicht ohne Wirkung auf das kollektive Bewusstsein. Ganze Generationen von Türken sind mit dem Geschichtsbild einer heroischen Nation aufgewachsen und die heutige Türkei strickt weiter an diesem Selbstbild. Auch die jetzige Generation der türkischen Jugendlichen in Deutschland erfährt über den Völkermord an den Armeniern in der Regel nichts. Bis auf einige Ausnahmen ist dieses dunkle Kapitel türkischer Geschichte nicht einmal in deutschen Schulen Gegenstand des Geschichtsunterrichts. Wäre es nicht viel wichtiger, mit der Bildungsarbeit in den Schulen zu beginnen statt die Leugnung als Straftat im Gesetz verankern zu wollen?

    "Das sind zwei völlig unterschiedliche Maßnahmen, die in jedem Fall parallel laufen müssen, so wie wir‘s auch im Umgang der Aufarbeitung des Holocausts und auch seiner Bestrafung in Deutschland haben. Wir wissen in Deutschland, wie man mit einer derartigen Geschichte umgeht, und wir wissen auch, dass die Geschichte nichts Vergangenes ist. Dass Feindbilder, insbesondere ideologische Feindbilder, die zu einer solchen massiven Vernichtung geführt haben, bis in die Gegenwart und auch in die Zukunft hineinwirken, weil sie ja die Identität und das eigene Selbstbild definieren."

    Die Türkei fürchtet vor allem einen herben Imageverlust durch eine Anerkennung des Armenier-Genozids. Madlen Vartian meint, das Verschweigen des Völkermords gehöre zum Gründungsmythos der Türkei.

    "Das hat etwas mit der Gründungsgeschichte der Türkei selbst zu tun. Wenn man sich das türkische Narrativ mal anhört, dann ist es eine Geschichte, wo es um den heroischen Kampf zur Verteidigung und Gründung des Vaterlandes vor äußeren und inneren Feinden geht, das heißt, der Genozid selbst spielt bei der Gründung der türkischen Identität und bei der Transformation des osmanischen Vielvölkerstaates in einen türkischen Nationalstaat mit einer homogenen Bevölkerung eine sehr, sehr große Rolle."

    In der Türkei heute kann eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte gefährlich werden - aufgrund des berüchtigten Paragrafen 301, Verunglimpfung des Türkentums.

    "Da eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte die definierten Grundlagen der türkischen Identität in Frage stellen würde, werden diese Dinge natürlich verfolgt und zensiert. Das heißt, Schriftsteller, Journalisten, sonstige Intellektuelle der Türkei, beispielsweise der prominenteste unter ihnen Orhan Pamuk, werden mit Prozessen überzogen und auch eingesperrt."

    Damit die staatlich verordnete Geschichtsauffassung der Türkei nicht auch in Deutschland greift, ist eine offene Debatte notwendig und ein entsprechendes Gesetz, so der christlich-alevitische Freundeskreis. Erst wenn die Leugnung des Genozids unter Strafe steht, so die Hoffnung der Organisation, wird die Auseinandersetzung mit der Geschichte ernst genommen.