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Leverkusener Modell
Konzept scheitert an hohen Flüchtlingszahlen

Es war eine Win-win-Situation: Seit 2002 kamen in Leverkusen mehr als zwei Drittel aller Flüchtlinge in Privatwohnungen unter. Das bedeutete mehr Raum und Privatsphäre für die Betroffenen, aber auch weniger Kosten für die Stadt. Doch den Ansprüchen des sogenannten Leverkusener Modells kann sie nun nicht mehr gerecht werden.

Von Moritz Küpper | 29.05.2015
    In Hattersheim-Eddersheim im Main-Taunus-Kreis wird eine ehemalige Schule zu einem Flüchtlingsheim umfunktioniert.
    Wie an vielen anderen Orten in Deutschland müssen nun auch in Leverkusen Turnhallen oder Schulen als Flüchtlingsunterkünfte dienen. (imago stock & people)
    Es ist ein sonniger Frühlingstag in der Leverkusener Innenstadt. Rita Schillings sitzt in einem Eiscafé, direkt gegenüber dem Rathaus der Stadt. Doch Schillings Themen passen so gar nicht zu Eisbecher und Sonnenschein, sie beschreibt eher die Realität. Die Realität der Flüchtlinge, aber auch die, der aufnehmenden Kommunen:
    "Mittlerweile ist die Vorlaufzeit, wenn man Glück hat, drei Tage. Dann ruft die Bezirksregierung an und sagt: Morgen kommen zwanzig. Zwei Familien, vier Einzelpersonen, so und so viele Kinder und ein Gehbehinderter."
    Schillings gehen diese Sätze relativ locker von den Lippen. Seit nunmehr 25 Jahre engagiert sie sich in der Flüchtlingsfrage. War dabei, als sich eben 1990 in Leverkusen der Flüchtlingsrat gründete – schon damals, so Schillings:
    "Unter anderem wegen der desolaten Unterbringungssituation. Wir haben zehn Jahre lang die Unterbringung in Leverkusen kritisiert, bis dann, nach zehn Jahren, der Entschluss gefasst wurde, eine neue Konzeption zu erarbeiten. Und der Sozialausschuss hat eben auch beschlossen, diese Konzeption gemeinsam mit dem Caritas-Verband, dem Integrationsrat und dem Flüchtlingsrat zu erarbeiten."
    Privatwohnungen statt Container oder Turnhallen
    Es war, so erinnert sich Schillings, zeitaufwendig, kontrovers:
    "Gleichwohl ist es uns gelungen, eine Konzeption zu erarbeiten, die so banal klingt, nämlich Flüchtlingen den Auszug in eine Privatwohnung zu ermöglichen."
    Das sogenannte Leverkusener Modell war geboren. Und auch wenn es, so Schillings, banal klingt, war der Gedanke damals einfach und einprägsam: Statt in Containern, auf engstem Raum, ohne Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten, zudem meist außerhalb der Stadt gelegen oder als Heim mit Stacheldraht, konnten Flüchtlinge in festem Wohnraum innerhalb der Stadt leben.
    Im Jahr 2002 startete eine Testphase mit 80 Flüchtlingen in Privatunterkünften, die bereits im ersten Jahr Einsparungen von 76.000 Euro brachten. Denn: Die Unterbringung in Wohnheimen ist sehr teuer, weil Bau, Renovierung und Instandhaltung viel Geld brauchen – im Jahr 2012 kostete die Unterbringung pro Person in einem Übergangsheim mit allen Nebenkosten 223 Euro pro Person, in einer Privatwohnung nur 148 Euro.
    Hohe Flüchtlingszahlen bringen Modell ins Wanken
    In anderen Kommunen und Bundesländern nahm man Notiz von den Leverkusener Aktivitäten, im bayerischen Landtag schließlich sprach man vom "Leverkusener Modell". Doch, gibt es das heute – angesichts der hohen Flüchtlingszahlen – noch?
    "In Leverkusen müssen wir im Moment feststellen, dass wir alleine mit dem Leverkusener Modell"die Menschen nicht unterbringen können. Wir brauchen neue Gemeinschaftsunterkünfte, um der hohen Anzahl der Zuweisung gerecht werden zu können."
    Markus Märtens ist Sozialdezernent der Stadt Leverkusen. Er sitzt im Rathaus, also nur wenige Schritte von dem Eiscafé entfernt, dazu fünf Stockwerke weiter oben. Märtens muss sich um die Situation der Flüchtlinge in der Stadt kümmern. Seit Anfang des Jahres wurden bislang 327 Flüchtlinge aufgenommen, insgesamt leben derzeit 2.419 in Leverkusen.
    Ende 2013 waren es noch rund 1.000 Flüchtlinge weniger, von denen nicht mal ein Drittel in einem der verbliebenen Übergangsheime leben musste – und damit nicht unter das Leverkusener Modell fielen. Nun aber kann die Stadt den überall zitierten Anspruch auch nicht mehr aufrechterhalten. Sozialdezernent Märtens:
    "Wir werden neue Gemeinschaftsunterkünfte errichten, in erster Linie auch Container-Standorte. Wir werden aber auch feste Einrichtungen errichten und im Notfall werden wir auch auf Unterkünfte in Turnhallen zurückgreifen – was wir aktuell auch schon tun."
    Festhalten am Anspruch
    Zwei sind aktuell belegt, in denen knapp 80 Menschen leben. Leverkusener Modell? Fehlanzeige:
    "Im Moment können wir es in Reinkultur nicht umsetzen. Unsere Ideal-Vorstellung ist das 'Leverkusener Modell', aber im Moment müssen wir einfach zu weiteren Maßnahmen greifen."
    Doch statt eines Scheiterns, sieht Märtens aber eher die Verdienste des Konzeptes:
    "Wir hatten, als die hohe Zuweisungswelle auf uns zukam, noch große Kapazitäten in unseren Gemeinschaftsunterkünften frei, weil wir zielgerichtet die Menschen in Wohnungen vermittelt haben und waren lange nicht dazu gezwungen, Hallen oder ähnliche Einrichtungen in Betrieb zu nehmen. Das zeigt wirklich, dass das 'Leverkusener Modell' gut funktioniert hat."
    Märtens spricht zwar in der Vergangenheit – am Anspruch möchte er aber festhalten. Anja Schillings, im Eiscafé, ist dagegen nicht so optimistisch. Für sie ist klar, dass das Leverkusener Modell für rund 50 Prozent der aktuellen Flüchtlinge nicht in Frage kommt, da diese meist weniger als ein halbes Jahr an einem Standort seien.
    Als Problem für ihren Ansatz sieht sie eher, dass es in Deutschland keine Kultur des möblierten Wohnens auf Zeit gebe und – noch problematischer – sich der Wohnungsmarkt, die Wohnungssituation für alle verschärft habe. Darunter, so Schillings, leiden auch die Flüchtlinge:
    "Das Leverkusener Modell kann nicht die Wunden oder die Versäumnisse heilen der Vergangenheit."