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"Queer*East"-Festival in Berlin
Schwul-lesbisches Leben in Osteuropa

In vielen osteuropäischen Ländern herrschen Repression und Intoleranz gegenüber Homosexuellen. Doch abseits der gesellschaftlichen Marginalisierung gibt es eine selbstbewusste queere Literaturszene. Berlin bietet den schwul-lesbischen Literaten aus dem Osten jetzt eine Bühne.

Von Michael Meyer | 01.08.2018
    Berlin hat eine lange Tradition im Kampf für die Rechte Homosexueller
    Ein Regenbogen am Berliner Fernsehturm - von der Offenheit der deutschen Hauptstadt sind viele osteuropäische Metropolen noch weit entfernt (dpa/picture alliance/Andreas Gebert)
    Eine Gay-Pride-Parade vor ein paar Wochen in der ukrainischen Stadt Krywyj Rih: Nur etwa hundert Menschen haben sich versammelt - denn dazu gehört viel Mut. In der Vergangenheit wurden Demonstrationen für mehr Homo-Rechte verboten, niedergeknüppelt, Teilnehmer sogar festgenommen. Umso wichtiger ist es den Aktivistinnen und Aktivisten, zu zeigen, dass schwul-lesbisches Leben in Osteuropa existiert, auch in der Literaturszene. In der Ukraine hat sich etwa Natalka Sniadanko einen Namen gemacht. Sie wird beim "Queer*East"-Festival in Berlin auftreten.
    Die Lage variiert von Land zu Land
    Thorsten Dönges, Kurator des Festivals "Queer*East", hatte vor zwei Jahren bereits ein queeres Festival namens "Empfindlichkeiten" in Berlin organisiert. Dönges stellt dieses Mal fest, dass es viele osteuropäische Schriftsteller gibt, die mit dem Label "Queer Literature" nicht so glücklich sind:
    "Eigentlich allen, die hierher kommen, geht es drum, dass sie Literatur schreiben, die alle angeht. Was uns interessiert, ist aber dann tatsächlich: Was passiert, wenn diese Themen reinkommen, wenn in einem Text plötzlich ein Frauenpaar auftaucht, oder wenn eine schwule Liebe thematisiert wird, wie gehen Gesellschaften damit um? Und auch ganz konkret: Was bedeutet das für Publikationsmöglichkeiten, wie gehen Verlage damit um? Und da wurde klar, auch jetzt in den Statements, die geschrieben worden sind, dass das sehr unterschiedlich ist in den einzelnen Ländern."
    Selbst in Russland mit seinem Homo-Propaganda-Gesetz werden schwul-lesbische Texte publiziert - aber natürlich nicht von den großen Verlagen, sondern im Selbstverlag oder im Internet. In anderen Ländern wie Slowenien, Kroatien oder Tschechien gibt es eine größere Offenheit.
    Das Label "queer" als Marketinginstrument
    Einer der Teilnehmer des "Queer*East"-Festivals ist der kroatische Schriftsteller und Theaterautor Dino Pesut. Er ist einer der bekanntesten jungen Literaten seines Landes. In seinen Stücken "The Pressure of my Generation" oder "Grand Hotel Abyss" geht es um Themen wie die Auswirkungen des Kapitalismus auf das Leben und Lieben, Zukunftsängste, schwulen Sex oder Rassismus. Pesut meint, dass es heute keine prinzipiellen Unterschiede mehr zwischen ost- und westeuropäischen Autoren gibt. Die Themen ähnelten sich sehr. Daher hält auch er das Label "queer Literature" für nicht ganz angemessen:
    "Ich denke, es gibt in Kroatien intellektuelle und literarische Gruppen, die man als queer bezeichnen könnte und die zum Teil auch in den Mainstream gefunden haben, aber man muss immer wieder neu definieren, was queere Kunst überhaupt meint. Man muss unterscheiden zwischen einem reinen Marketinginstrument und einem erweiterten Begriff."
    Vielen Autoren wird das Etikett "queerer Literat" oder "Literatin" angehängt, um sie besser vermarkten zu können, auch - und vor allem - im Ausland. Derartige Labels gibt es auch in der deutschen Literaturszene. Doch ist "queere Literatur" eine eigene Kunstform? Auch darüber soll auf dem Festival diskutiert werden.
    In den osteuropäischen Ländern, die noch keine lange schwul-lesbische Kunsttradition haben, war anfangs die Überschneidung zwischen Kunst und Politik groß, meint die slowenische Dichterin Kristina Hocevar:
    "In Slowenien begriffen sich alle queeren Schriftstellerinnen und Schriftsteller zunächst auch als Aktivistinnen. Und so wurden sie auch von der Literaturkritik behandelt, man nannte sie Aktivistinnen, und das engte natürlich die Sicht auf sie ein. Aber ich denke, in den letzten zehn bis 15 Jahren sind viele neue Namen dazugekommen, viele neue lesbische und schwule Stimmen. Diese sind in Slowenien sehr angesehen und auch bekannt. Dieser Trend ist durchaus erkennbar."
    Noch viel zu tun in Osteuropa
    Und trotz aller Fortschritte gibt es natürlich noch viel zu tun in Osteuropa, wenn es um Anerkennung, Toleranz und Minderheitenrechte geht. Pesut und Hocevar können in ihren Ländern weitgehend frei schreiben, doch das ist nicht in allen Ländern so.
    Dino Pesut meint, dass er als Schriftsteller da eine Verantwortung trage, aber ihm gehe es doch eher um universelle Themen: die Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen Einflussreichen und Einflusslosen.
    "Selbst hier in Deutschland leben viele arme Schwule und Lesben unter sehr schlechten Bedingungen im Vergleich zu reicheren Homo-Paaren. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir über 'queere Kunst' sprechen. Es geht mir nicht um den Begriff als solchen, sondern um Underdogs, um Menschen, die es schwer im Leben haben. Ich als intellektueller, schwuler Schriftsteller bin mir vielleicht den Ungerechtigkeiten der Welt stärker bewusst als andere Künstler. Aber das hat nichts mit meiner Herkunft zu tun, ich würde das nicht auf Osteuropa oder Kroatien beschränken."