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Kohleausstieg in Sachsen-Anhalt
Skepsis über Soforthilfe-Projekte

Sachsen-Anhalt erhält 30 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm zur Abfederung der Folgen des Kohleausstiegs. Nun gibt es die Sorge, dass das Geld nicht den Betroffenen aus dem mitteldeutschen Braunkohlerevier zugute kommt. Es würden zu wenige Projekte mit Arbeitsplatzeffekten gefördert, so die Kritik.

Von Christoph D. Richter | 11.04.2019
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Im Tagebau haben 1989 noch 60.000 Mitarbeiter gearbeitet, heute sind es noch 2400 (Christoph Richter (Deutschlandradio))
"Noch immer steckt den Menschen hier im Revier der Strukturbruch der 1990er Jahre in den Knochen. Viele Biografien sind damals abgebrochen worden, Menschen haben sich mit sehr wenig zufrieden geben müssen. Und heute bangt man darum, dass sich diese Entwicklung wiederholen könnte", sagt Andy Haugk, parteilos.
Er ist der Bürgermeister von Hohenmölsen. Ein Ort, umgeben von den Mondlandschaften des Tagebaus Profen im Süden Sachsen-Anhalts. 6.700 Einwohner groß, nur wenige Menschen sind unterwegs. Alles ist ordentlich, sauber, aber kaum Leben.
"Die Hoffnung besteht diesmal hier im Revier, das wir zu Gewinnern gemacht werden", erklärt Haugk.
18 Projekte auf der Sofort-Liste
Man setze auf Arbeitsplätze für Alle, nicht nur für Akademiker, so der Bürgermeister weiter. Doch, ob das kommt? Viele Menschen im Kohle-Revier haben da so ihre Zweifel. Vor allem, wenn sie einen Blick auf die Sofortmaßnahmen zum Kohleausstieg richten. 18 Projekte sind in Sachsen-Anhalt auf der Sofort-Liste. Es geht dabei unter anderem um die Reinigung des Dachs des UNESO-Weltkulturerbes Naumburger Dom, den Aufbau eines Rosen-Erlebniszentrums, die Schaffung einer Mammutgalerie in Sangerhausen im Südharz oder eine Orts-Umfahrung im Kurort Bad Kösen. Ein Ort, der für die Kumpel im Revier Lichtjahre entfernt ist. Ein Ort, von dem sie nicht mal gehört haben. Viele winken nur ab.
"95 Prozent der Menschen sind Bergleute hier. Deswegen bin ich der Meinung, das Geld sollte hierher kommen. Und eben nicht in den Naumburger Dom und sowas fließen. Da hat der Staat anderes Geld zur Verfügung", meint Christian Hirschfelder, ehemals Schlosser.
Er hat die großen Kohle-Abraumbagger repariert und glaubt ganz nicht daran, dass das Kohle-Geld ins Revier fließt. Ähnlich sieht es auch ein älteres Ehepaar vor dem Supermarkt in Hohenmölsen:
"Es ist traurig, wirklich traurig."
Projekte auf Arbeitsplatzeffekte untersuchen
Es geht auch um die Schaffung einer Ladeinfrastruktur von Elektrofahrzeugen in Halle. Man könne ja jetzt E-Tankwart werden, lästern die Menschen im sarkastischen Unterton. Der Hohenmölsener Bürgermeister Haugk sieht das Geld nicht richtig investiert. Touristische Angebote gut und schön, sagt er, "aber die werden die Arbeitsplätze nicht retten. Deswegen kann der Schwerpunkt nur darauf liegen, dass wir Infrastrukturen schaffen, dass wir Anreize für Unternehmensansiedlungen schaffen. Jedes dieser Projekte, sollten wir darauf prüfen, welche Arbeitsplatzeffekte sie hier in der Region entwickeln. Nicht irgendwo, nicht weit weg, sondern direkt im Revier selbst."
Es gebe einzelne Projekte, die er durchaus positiv sehe, wie den Ausbau des mitteldeutschen S-Bahn-Netzes im Süden des Landes. Haugk zweifelt aber, ob sie dem Revier einen Nutzen bringen, wenn nicht auch für einen entsprechenden Busverkehr zu den künftigen S-Bahnhöfen gesorgt werde. Davon sei aber in den Papieren nichts zu lesen, sagt Bürgermeister Andy Haugk. Andere Kommunalpolitiker, beispielsweise in Lützen – das ebenfalls an der Tagebaukante liegt - sind pikiert, dass sie nicht mal mit einem einzigen Wort erwähnt wurden.
Deutlich wird: Auf die Magdeburger Landesregierung sind die Kommunalpolitiker im Kohle-Revier nicht gut zu sprechen.
"Ich verstehe, dass die Menschen empört sind. Ich glaube, da ist die Kommunikation nicht so gut gelaufen", gesteht Claudia Dalbert.
Sie ist die grüne Umwelt- und Energieministerin und die stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Sachsen-Anhalt. Und bedauert, dass man beim Sofortprogramm Projekte habe nehmen müssen, deren Planungen schon fertig in der Schublade gelegen hätten.
Hilfe müsse direkt bei Betroffenen ansetzen
Bis 2021 stehen für die sogenannten Erst-Maßnahmen den ostdeutschen Kohle-Revieren etwa 150 Millionen Euro zur Verfügung, Sachsen-Anhalt erhält daraus 30 Millionen. Insgesamt - also bis zum Jahr 2038, bis zum endgültigen Kohleausstieg - sollen 4,8 Milliarden Euro nach Sachsen-Anhalt fließen.
Aber nicht nur die Kommunalpolitiker im Kohle-Revier sind irritiert über die Sofort-Liste. Auch Wirtschaftswissenschaftler haben ihre Zweifel. Einer von ihnen: Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Was die Kohlekommission mache, sei Verteilungs-, keine Wachstumspolitik, so Holtemöller weiter.
"Wenn man den Menschen helfen will, die direkt vom Braunkohle-Ausstieg betroffen sind, dann müssen die Hilfen direkt bei den Personen ansetzen. Und dürfen nicht einen Umweg über Strukturförderung gehen."
Die Sorgenfalten graben sich bei so manchem Kommunalpolitiker im mitteldeutschen Kohle-Revier tief ins Gesicht.
"Also wir sind noch sehr, sehr skeptisch, hier im Revier, wo wir doch kern-betroffen sind."
Denn: Ob das Geld nachhaltig und im Kohle-Revier direkt und punktgenau auch wirklich ankomme? Man weiß es nicht, zweifelt der Hohenmölsener Bürgermeister Andy Haugk.