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Liberal-Islamischer Bund: Burkaverbot per Gesetz ist "Populismus"

Hessen und Niedersachsen wollen keine ganzkörperverschleierten Frauen im Öffentlichen Dienst. Nachvollziehbar, findet Lamy Kaddor, aber als Gesetz? Das stehe "in keinerlei Verhältnis" zu den 800 verschleierten Frauen in ganz Deutschland.

03.02.2011
    Jasper Barenberg: Frankreich hat diese Diskussion schon hinter sich; es geht um ein Verbot der Burka. Bei uns nimmt die Debatte erst jetzt langsam Fahrt auf. Anlass: Nach Hessen will jetzt auch Niedersachsen diese besondere Form der Ganzkörperverschleierung im Öffentlichen Dienst verbieten. Dort denkt Innenminister Uwe Schünemann in Hannover jetzt über ein Gesetz für Beamte und für Angestellte nach. – Am Telefon begrüße ich jetzt Lamya Kaddor, die Vorsitzende des liberal-islamischen Bundes. Einen schönen guten Tag!

    Lamya Kaddor: Hallo, Herr Barenberg.

    Barenberg: Was halten Sie von dieser Diskussion und was halten Sie auch von den Schritten, die jetzt in Hessen und in Niedersachsen auf den Weg gebracht wurden?

    Kaddor: Im Prinzip kann ich es sehr gut nachvollziehen, dass man einer gesichtsverschleierten Frau, sprich einer burkaverschleierten Frau – im Grunde genommen ist es keine Burka, aber wir sagen mal, es ist eine Burka -, dass man der das Arbeiten in einem öffentlichen Amt verbietet. Das kann ich gut nachvollziehen und das halte ich persönlich für richtig. Andererseits habe ich doch ein relativ großes Problem damit, wenn man daraus gleich ganze Landesgesetze beschließen will.

    Barenberg: Warum?

    Kaddor: Nun ja, weil es in keinerlei Verhältnis steht. Wir gehen davon aus, dass es in Deutschland etwa sechs- bis 800 voll verschleierte Frauen gibt, und für 800 Frauen – das sind letztlich doch wirklich immer noch Einzelfälle im Vergleich oder in Relation zu der Masse der Muslime in Deutschland -, für 800 Frauen solch ein Gesetz zu verabschieden und das gleich in mehreren Bundesländern, halte ich für absolut überzogen. Das steht in keinerlei Verhältnis. Und ich gehe sogar so weit, das auch zum Teil als Populismus abzutun.

    Barenberg: Wenn wir über die Burka diskutieren, Frau Kaddor, dann diskutieren wir ja auch im Grunde genommen dasselbe, was wir diskutiert haben in der Frage eines Kopftuches, also wo setzt die Religionsfreiheit ein und wo endet sie. Was sagt denn der Koran zum Tragen einer Burka jetzt speziell? Gibt es da überhaupt etwas?

    Kaddor: In der Tat gibt es da nämlich doch einen Unterschied zu machen in der Diskussion. Wenn wir vorher über ein Kopftuchverbot gesprochen haben, gab es ja immer wieder Proteste auch seitens der muslimischen Verbände, das zum Teil auch, muss ich sagen, zurecht, weil das Tragen eines Kopftuches nach traditioneller Lesart des Korans durchaus aus dem Koran abzuleiten ist, wo hingegen ein Tragen einer Burka oder das Tragen einer Burka oder eines kompletten Gesichtsschleiers aus keiner einzigen islamischen Quelle so direkt herauslesbar ist. Das ist letztlich eine sehr, sehr fundamentalistische Lesart bestimmter Schriften, auch des Korans, wenn man möchte, die im Grunde genommen aber nicht den breiten Konsens der Masse findet.

    Barenberg: Was ist denn gewissermaßen die Motivation der Frauen, die jetzt beispielsweise in diesem Fall ankündigen, sie wollten nur noch mit dieser Art von Verschleierung arbeiten?

    Kaddor: Ich kann das nur bedingt nachvollziehen, ich trage ja keine. Aber letztlich steckt häufig dahinter der Ausdruck der persönlichen Freiheit. Ich weiß, das mag für einige sehr makaber oder ironisch klingen, warum ausgerechnet solche Frauen von Freiheit sprechen, aber in der Tat gibt es solche Vertreterinnen, die sich damit selbst ein Stück Freiheit verschaffen und sagen, dann kommt es eben nicht mehr auf mein Aussehen und auf Äußerlichkeiten an, sondern vielmehr auf meine eigene Persönlichkeit, für die ich dann entweder gemocht, oder eben abgelehnt werde. Aber ich möchte hier noch mal klar und deutlich sagen: Ich vertrete schon den Standpunkt, dass das Tragen einer Burka aus meiner Sicht unislamisch ist. Das ist eine Tradition, meinetwegen, aber es hat mit dem Glauben so nichts mehr zu tun.

    Barenberg: Sie haben auch gesagt, Frau Kaddor, dass Sie ein entsprechendes Gesetz eben wegen der geringen Zahl für unangemessen hielten. Würden Sie so weit gehen zu sagen, ein solches Burkagesetz, nehmen wir mal an, es würde in Niedersachsen auf den Weg gebracht und dann auch verabschiedet, es wäre eine Art Diskriminierung?

    Kaddor: Sagen wir mal so: es würde weiterhin die Abgrenzung oder eine kulturelle Abgrenzung von der Kultur des Islams, wenn man das so möchte, weiter schüren und sicherlich auch – nun ist ja eine Islamfeindlichkeit in diesem Land weitgehend belegt – noch mal zumindest manifestieren, wenn man das tatsächlich gesetzlich verabschiedet, dass ein Burkatragen in der Öffentlichkeit beziehungsweise in öffentlichen Einrichtungen verboten werden würde. Ich plädiere immer noch dafür, das einzelfallabhängig zu machen. Eine Frau, selbst mit einer Burka, egal ob mir das persönlich passt oder nicht – darum geht es ja hier erst mal nicht -, eine Frau, die eine Burka trägt, also auch einen Gesichtsschleier trägt, die in einem Call Center sitzt, warum soll das nicht möglich sein. Ich glaube, dass man da durchaus noch mal unterscheiden muss. Es ist aber ein anderer Fall, ob eine Frau im Bürgeramt sitzt, oder bei der Arge, oder wo auch immer und dann auch in persönlichem Kontakt zu dem Kunden stehen muss. Das ist natürlich noch mal eine ganz andere Geschichte, und da muss man tatsächlich auf den Einzelfall gucken.

    Barenberg: Wir haben diese Diskussion – ich habe das vorhin erwähnt – ja auch in Frankreich erlebt, sie hat dort für viel Aufsehen gesorgt. Deshalb die Frage an Sie: Braucht es diese Debatte, oder ist sie im Grunde überflüssig, weil es wenige sind und weil es dann im privaten Bereich Jedermanns Privatsache auch sein sollte, Privatsache der Frau jedenfalls, wie sie sich und ob sie sich verschleiert?

    Kaddor: Ich habe das ja am Anfang angedeutet. Ich halte es tatsächlich für Populismus. Ich glaube, diese Diskussion ist tatsächlich überflüssig. Für die geringe Anzahl dieser Trägerinnen hier in Deutschland brauchen wir einerseits definitiv keine Gesetze zu verabschieden, und andererseits, wie gesagt, geht das wieder mal in eine ganz bestimmte Richtung, man versucht, damit auch eine politische Stimmungsmache weiter zu betreiben, und das besorgt mich als muslimische Mitbürgerin in diesem Land durchaus.

    Barenberg: ... , sagt die Vorsitzende des liberal-islamischen Bundes, Lamya Kaddor. Vielen Dank für das Gespräch.

    Kaddor: Sehr gerne. Tschüß!

    Barenberg: Tschüß!