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Libyen macht Entscheidungsfindung bei der NATO schwer

Wie handeln gegenüber Libyen? Man müsse vorsichtig sein, dass nicht der Eindruck entstünde, der Westen versuche, seine Kultur und Denkweise arabischen Ländern überzustülpen, betont der ehemalige NATO-General Egon Ramms.

Egon Ramms im Gespräch mit Jürgen Liminski | 28.02.2011
    Jürgen Liminski: Was kann der Westen, was kann die freie Welt tun, um weiteres Blutvergießen in Libyen, in Nordafrika zu verhindern? Für eine größere militärische Intervention aus humanitären Gründen (Stichwort Kosovo) fehlt momentan wohl nicht nur die Zeit; das effektivste wäre vielleicht ein Kommandounternehmen, das Gaddafi aus seiner Festung in Tripolis entführen würde, um ihn vor ein Tribunal zu bringen, aber auch das ist eine politische Entscheidung, die niemand allein fällen kann oder will. Wofür ist dann die NATO gut? Kann sie nur die Territorien ihrer Mitgliedsländer, oder auch die Menschenrechte verteidigen?

    Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich am Telefon General a.D. Egon Ramms. Er war im NATO-Führungsstab und auch in Afghanistan bei der ISAF, kennt also Planen und Denken in den Militärstäben und auch die Denkweise von Gegnern in islamischen Ländern. Guten Morgen, Herr General.

    Egon Ramms: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Ramms, es herrscht Bürgerkrieg in Libyen. Wäre die NATO theoretisch in der Lage, das Blutvergießen zu beenden?

    Ramms: Das wäre sie, wenn Sie den militärischen Einsatz betrachten, sicherlich. Was fehlt im Augenblick ist, ich sage das mal ganz einfach, der politische Wille, um einen solchen Einsatz zu befehlen oder in die militärische Planung zu geben. Man muss allerdings sehr deutlich machen, dass, ich sage das mal, ein großer militärischer Einsatz hier einfach aufgrund der Zeitabläufe, des Planungsaufwandes und dergleichen mehr, aber auch der möglichen hohen Verluste sowohl bei libyschen Bürgern als auch bei unseren Soldaten wahrscheinlich nicht in Frage kommt.

    Liminski: Gibt es denn Szenarien für solche Fälle?

    Ramms: Das läuft bei der NATO etwas anders. Wenn ein derartiger Auftrag für eine konkrete militärische Planung gegeben würde, würden sich die Stäbe in Monz und Brunssum beispielsweise, oder Neapel hinsetzen und würden der politischen Seite entsprechende Vorschläge unterbreiten, was nach der Situation, nach der Entwicklung, die man hat, nach den eigenen Kräften möglich wäre.

    Liminski: Wie steht es denn mit einer See- und Luftblockade?

    Ramms: See- und Luftblockade halte ich theoretisch für möglich und auch für relativ schnell machbar, wobei man sich mit dem Stichwort no-fly zone, welches ja in den letzten Tagen auch schon öfter gefallen ist, darüber im klaren sein muss, dass dieses dann bedeutet, dass Jagdflugzeuge über Libyen fliegen müssen.

    Liminski: Kann man die Aufständischen mit Waffen oder Ausbildern unterstützen?

    Ramms: Das dürfte ein relativ unproblematisches Unterfangen sein, wobei die zentrale Frage ist immer die, ob die NATO oder ein Land – es können ja auch einzelne Länder theoretisch tätig werden – bereit ist, ich sage mal, die sogenannte Souveränität Libyens in diesem Falle zu brechen und mit bewaffneten Kräften, Soldaten als Ausbilder nach Libyen reinzugehen, oder aber zum Beispiel durch eine Luftoperation Waffen oder Hilfsgüter abzusetzen.

    Liminski: Herr General, das Effektivste wäre wohl ein Kommandounternehmen, das Gaddafi aus seiner Festung in Tripolis entführen würde. Operativ in der Lage wären dazu sicher die Delta Force der Amerikaner, oder auch besondere Einheiten der Franzosen, Briten oder Israelis, vermutlich auch die deutschen Eliteeinheiten der KSK. Ist so etwas überhaupt denkbar?

    Ramms: Also so was wäre theoretisch denkbar, wobei ich das, ich sage das mal, für die höchste Eskalationsstufe halte und diese Sache auch relativ kritisch zu sehen ist, weil sie auch nicht, ich sage mal, auf ein Fingerschnippen zu machen ist. Solche Unternehmen müssen sorgfältig vorbereitet werden. Aber grundsätzlich wären sie möglich. Was ich im Augenblick nicht beurteilen kann ist, wie stark die Kräfte sind, die Gaddafi in seiner Festung, wie Sie gesagt haben, schützen, weil das natürlich auch dann den Kräfteeinsatz von der anderen Seite her bestimmen würde, und wie weit dort Spezialkräfte in einem solchen Umfang zur Verfügung stehen würden, da mache ich im Augenblick meine Fragezeichen dran. Von daher auch dieses keine leichte Aufgabe, aber sicherlich theoretisch machbar mit der entsprechenden Vorbereitung.

    Liminski: Ist natürlich auch eine politische Entscheidung.

    Ramms: Ich sagte ganz zu Anfang: Der entscheidende Punkt – und Sie haben das bei Ihrer Einleitung auch gesagt -, der entscheidende Punkt ist immer die politische Entscheidung, die dann der militärischen Seite die entsprechenden Aufträge und Planungsaufträge erteilt. Es gibt heute keine Soldaten mehr, die aus eigenem Entschluss oder dergleichen losmarschieren, sondern wir reden über politische Entscheidungen.

    Liminski: Die Politik behindert oder hindert ein beherztes Vorgehen um der Menschenrechte willen, könnte man ja auch sagen. Können denn einzelne NATO-Staaten gemeinsame Aktionen gegen Gaddafi beschließen, also eine Art Koalition der Willigen? Die USA haben angekündigt, mit der Opposition zu kooperieren.

    Ramms: Also mit der Formulierung, die Politik behindert, wäre ich ein bisschen vorsichtig. Die Politik trifft Entscheidungen in politischer Verantwortung. Dass diese Entscheidungen manchmal nicht so schnell fallen, oder ein Konsens über eine solche Entscheidung in einem Gremium wie der NATO schwieriger herzustellen ist, ist, glaube ich, eine Sache, die ist relativ bekannt. Aber es bedarf halt dieses Konsenses, um gemeinsam loszumarschieren. Mit Blick auf eine Koalition der Willigen: Wir kennen dieses Thema aus dem Irakkrieg. Es wäre nicht meine favorisierte Lösung, einfach aus dem Grunde, weil es zum Teil auch die Bündnissolidarität untergräbt.

    Liminski: Wenn die NATO mehr als ein Verbund zur Verteidigung bestimmter Territorien sein soll und zum Beispiel auch die Menschenrechte verteidigen soll, müsste sie dann nicht in Libyen irgendwie eingreifen?

    Ramms: Sie greift ja zum Teil ein. Sie haben gestern sicherlich die Bilder gesehen von der Fregatte Cumberland der Briten, die zurzeit dabei ist, eigene Bürger auszufliegen oder auszufahren per Schiff, oder es werden Leute ausgeflogen. Auch dieses sind im Prinzip, wenn Sie so wollen, Verletzungen der Souveränität des Landes Libyen, weil in dem Fall die Hoheitsgewässer, die entsprechenden Lufträume und dergleichen mehr beflogen und eingeflogen werden. Das heißt, der Teil ist da. Die Frage ist jetzt, inwieweit die NATO sich nach einer entsprechenden politischen Entscheidung tatsächlich mit Waffengewalt zur Absetzung von Gaddafi engagiert, und das scheint offensichtlich ein schwerer Schritt zu sein.

    Liminski: Die UNO hat binnen 24 Stunden einstimmig Sanktionen beschlossen. Warum geht das nicht bei der NATO?

    Ramms: Also das kann die NATO auch. Die Diskussion der Sanktionen von Seiten der Vereinten Nationen ohne einen Militäreinsatz – und die Vereinten Nationen haben ja bisher auch die NATO nicht mit einem Militäreinsatz beauftragt -, eine solche Diskussion würde dann wahrscheinlich auch den Vereinten Nationen etwas schwieriger fallen. Die NATO müsste den nächsten Schritt machen. Sie wissen, dass die NATO gerade auch nach dem neuen strategischen Konzept und der Arbeit von Anders Fogh Rasmussen ja sehr großen Wert darauf legt, wenn Einsätze durchgeführt werden, diese UNO-mandatiert zu haben, weil die UNO eigentlich die einzige Organisation ist, die in der Lage ist, das Gewaltmonopol außer Kraft zu setzen.

    Liminski: Stellt es eine besondere Schwierigkeit dar, dass es sich bei Libyen um ein islamisches Land handelt?

    Ramms: Ja! Das spielt sicherlich auch in den gesamten Prozessen, die laufen, und bei allen Gedanken und Überlegungen, die durchgeführt werden, auch eine Rolle. Sie wissen, dass in der arabischen Welt, ich sage das mal, ein gewisser Verfolgungswahn existiert, dass der Westen versucht, seine Kultur und seine Denkweise und seine Demokratien diesen arabischen Ländern überzustülpen. Von daher ist dieses eine Sache, die auch mit Blick auf die politischen Auswirkungen hinterher relativ vorsichtig angegangen werden muss, wobei ich glaube, dass wie in anderen Ländern auch die Gedanken und Überlegungen der Opposition, auch der libyschen Opposition wohl eher zur Unterstützung des Westens neigen, als eine solche Argumentation dann aufzulegen. Aber dieses, ein solches Vorgehen würde, da bin ich fest von überzeugt, durch Islamisten entsprechend ausgenutzt werden.

    Liminski: Die Möglichkeiten der NATO sind natürlicherweise politisch begrenzt. Das war der ehemalige NATO-General Egon Ramms hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Ramms.

    Ramms: Gern geschehen!