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Libyen
Verfahrene Lage und kein Friedensplan

Friedensplan abgelehnt, lässt das international anerkannte libysche Parlament in Tobruk verlauten. UN-Vermittler Bernardino León will trotzdem weitermachen auf dem Weg zu einer nationalen Einheitsregierung, was aber schwierig werden dürfte: Denn momentan gibt es zwei Regierungen und zwei Parlamente - sowie diverse Gruppen, die ihre eigenen Interessen verfolgen.

Von Sabine Rossi | 24.10.2015
    Kämpfer sitzen in der Nähe von Sirte auf Autos, die mit Waffen beladen sind.
    Kämpfer des Parlaments in Tripolis: Die Machtstrukturen in Libyen sind zerstückelt. (picture alliance / dpa)
    Eine Demonstration in Bengasi. Vor gut einer Woche protestierten dort zahlreiche Menschen gegen den Friedensplan der Vereinten Nationen. Sondervermittler Bernardino León hatte ihn nur wenige Tage zuvor vorgelegt und darin erste Namen für eine Einheitsregierung genannt. Doch genau das stieß auf Widerstand:
    "Wir sind auf die Straße gegangen, um die Regierung abzulehnen, die der UN-Sondergesandte Leon bilden will. Wir wollen, dass Libyen von Libyern regiert wird, die Libyer gewählt haben – nicht von León und seiner Bande."
    Nach dem Sturz von Langzeitdiktator Muammar al-Gaddafi 2011 galt Bengasi als Symbol für den Aufbruch. Heute ist die Stadt ebenso Sinnbild für den Zustand Libyens: umkämpft und geteilt.
    International anerkannt ist die Regierung in Tobruk im Osten Libyens unweit der Grenze zu Ägypten. Mehr als 1.000 Kilometer weiter westlich, in der Hauptstadt Tripolis, sitzt eine Regierung, in der auch islamistische Strömungen vertreten sind. Dazwischen befinden sich Gruppen und Stämme, die sich keinem Lager zurechnen lassen, sowie Schmuggler, Menschenhändler. Und die Terroristen des selbst ernannten Islamischen Staats.
    "Das hört sich komplex an", sagt Issadr El Amrani, von der International Crisis Group, in Wirklichkeit sei es noch komplexer. In der Nichtregierungsorganisation ist Issandr El Amrani zuständig für Nordafrika.
    "Vor allem in den vergangenen Monaten haben sich die Lager in Libyen zunehmend intern gespalten. In jedem Lager gibt es nun solche, die eine Verhandlungslösung und damit den Vorschlag der UN von Bernardino León unterstützen. Und es gibt Verlierer, die seither erfolgreich eine Unterschrift blockieren."
    Gegner des Abkommens verhindern Unterzeichnung
    Bislang haben die Gegner des Abkommens genügend Macht, um all diejenigen einzuschüchtern, die eigentlich unterzeichnen wollen. Schon unmittelbar nachdem Leon seinen Plan vorgestellt hatte, war Kritik laut geworden. Islamistische Kräfte der Tripolis-Regierung bemängeln, dass der Friedensplan keine weitreichenden Garantien enthalte, um das islamische Recht als Staatsgrundlage in Libyen einzuführen. Auch von der Gegenseite kam Widerstand: Offiziell lehnt das Tobruk-Lager einen Paragrafen ab, der bestimmt, wie die Einheitsregierung Posten für ranghohe Beamte vergeben darf – nämlich einstimmig.
    Doch hinter dem Streit um Paragrafen und islamisches Recht verbirgt sich eigentlich eine Personalie: General Khalifa Haftar – eine starke Figur im Osten, die trotz Vorbehalten in den eigenen Reihen der Regierung in Tobruk das Überleben sichert.
    Einst war Haftar Offizier in der Armee von Gaddafi, dann ging er in den 1980ern ins Exil. Von dort war er während des Aufstandes 2011 nach Libyen zurückgekehrt und erklärte sich selbst zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Tatsächlich befehligt er nur einen Teil der Armee, vielerorts sind es eher Nachbarschaftsmilizen.
    Haftar hat den Islamisten in Libyen den Kampf angesagt. Damit ist er untragbar für die Regierung in Tripolis, denn in ihren Reihen sitzen Leute, gegen die sich Haftar richtet. Nordafrika-Experte Issandr El-Amrani sieht in Haftar deshalb ein Haupthindernis für den Friedensplan:
    "Ich denke, dass sich Haftar selbst eher als den verheißungsvollen Retter sieht. Er geht davon aus, dass Libyen eine starke Armee braucht, die für Ordnung sorgt. Sein Vorbild ist General Sisi in Ägypten. Er verkörpert für Haftar die Armee, die die Ordnung in Ägypten wiederhergestellt hat und gegen die Islamisten vorgegangen ist. Aber die Realität ist, dass Haftar nicht annähernd die komplette Kontrolle über die bewaffneten Kräfte hat."
    Wichtige Fragen noch gar nicht verhandelt
    Fakt ist auch, dass der vorliegende Friedensplan Antworten auf wichtige Fragen noch gar nicht liefert. Sollte er tatsächlich unterschrieben werden, wo hätte dann die Einheitsregierung ihren Sitz? In der Hauptstadt Tripolis? Die Sicherheit dort ist nicht garantiert. Zu mächtig sind lokale Milizen. Ebenso wenig hält der Plan Lösungen für die Wirtschaftskrise des Landes bereit. Zwar verfügt Libyen über große Öl- und Gasvorkommen und könnte eigentlich ein reiches Land sein. Aber die Kämpfe haben viele Anlagen und Pipelines beschädigt. Libyen fördert heute nicht einmal halb so viel Rohöl wie vor dem Bürgerkrieg. Die Wirtschaftskrise mache sich zunehmend bemerkbar, sagt Issandr El Amrani:
    "Die Wahrheit ist, dass Libyen seine Reserven auffrisst. Und das in einem alarmierenden Tempo. Wenn es so weitergeht, könnte das zu einer echten humanitären Krise führen. Wir sehen bereits in einigen Teilen Libyens, dass Lebensmittel und Treibstoff knapp werden – und das wird hart für die ganz normalen Menschen."