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Libyen
Weiteres Abgleiten ins Chaos

Machtkämpfe, fehlende politische Visionen, unbeugsame Rebellenmilizen: Die Situation in Libyen ist drei Jahre nach dem Beginn des Aufstandes gegen Ex-Machthaber Gaddafi schwierig. Letzter Tiefpunkt: die Entmachtung von Übergangspremier Al Zeidan.

Von Peter Steffe | 15.03.2014
    Schon seit Monaten versuchten Abgeordnete des Übergangsparlaments, den 63-jährigen Regierungschef loszuwerden. Der Vorwurf: kein Durchsetzungsvermögen bei der Entwaffnung von Milizen und keine Verbesserung der Sicherheitslage im Land. Zuletzt musste Zeidan sogar eingestehen, dass sich Armee und regierungstreue Rebelleneinheiten seinen Befehlen verweigert hatten. In den Augen von Salah al Bakoush, einem politischen Analysten aus Tripolis, war das politische Aus von Zeidan absehbar und längst überfällig:
    "Die Absetzungen von Zeidan kam in meinen Augen zu spät. Schon vor Monaten hätte das erfolgen müssen. Libyen wären so viele Probleme erspart geblieben. Der Nationalkongress ist nach wie vor rechtlich handlungsfähig und einige Fraktionen haben sogar versucht, den Spielraum noch auszuweiten."
    Mit dieser Einschätzung lässt der Politikwissenschaftler das durchblicken, was seit Monaten auf den Straßen des Landes diskutiert wird. Statt der Übergangsregierung ist der Nationalkongress und die "Partei für Gerechtigkeit und Wiederaufbau" für seinen Sturz verantwortlich. Ein Vorwurf, der zwar nicht bewiesen ist, aber nahe liegt.
    Schon vor Monaten hatten die Islamisten versucht, mit dem Rückzug von fünf Ministern aus dem Zeidan-Kabinett den Premier aus dem Amt zu kippen. Ihnen war Zeidan, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ein Dorn im Auge. Zu lange im Ausland gelebt, zu westlich orientiert, war immer wieder zu hören. Während die Muslimbrüder den Plan verfolgen, nach dem Scheitern in Tunesien und Ägypten zumindest in Libyen den politischen Islam zu installieren, haben andere Mitglieder des Übergangsparlaments ausschließlich machtpolitische Ziele.
    Vielen der 200 Abgeordneten wird nachgesagt, beste Kontakte zu den verschiedenen Rebellengruppen in Libyen zu unterhalten und entsprechenden Einfluss auf sie zu haben. Mithilfe dieser zum Teil schwer bewaffneten Kampfgruppen lässt sich leicht Politik machen, aber auch schwelende innenpolitische Konflikte lösen. Beispiel: die achtmonatige Blockade von Ölverladeterminals und Pipelines im Osten des Landes. Den nach mehr Autonomie strebenden Separatisten nahestehende Rebellen verhindern dort den Ölexport. Nouri Abu Sahmein, Präsident des Übergangsparlaments, setzte diesen Milizen eine zwei Wochenfrist:
    "Wir haben bewaffnete Truppen zusammengestellt, um die staatliche Kontrolle über die Ölhäfen wieder herzustellen, die vor acht Monate geschlossen wurden. Der Ölexport und seine Einnahmen kamen zum Erliegen, das hat gefährliche Auswirkungen auf die finanzielle Situation des libyschen Staates. Wir sind am Rande des Bankrotts und kurz davor, nicht mehr unsere Verpflichtungen erfüllen zu können."
    Statt Dialog Androhung von Waffengewalt
    Rund zehn Milliarden US-Dollar hat Libyen seit Mitte 2013 verloren. Geld, das zum Aufbau eines neuen Staates dringend nötig ist. Nachdem es Ex-Premier Zeidan nicht gelungen war, die Blockade zu beenden, schlägt Parlamentspräsident Abu Sahmein jetzt schärfere Töne an. Die neue Marschroute: statt Dialog Androhung von Waffengewalt. Der Chef des Nationalkongresses kann sich dabei offenbar auch auf den Rückhalt der neu gebildeten Armeeeinheiten und regierungstreuer Milizen verlassen. Ein Rückhalt, den Ex-Premier Zeidan augenscheinlich nicht hat.
    Sollte die Blockade im Osten des Landes nur mit Waffengewalt beendet werden, wäre dies eine neue Eskalationsstufe statt Entspannung. Bei den Vereinten Nationen in New York blickt man schon seit Monaten mit großer Sorge auf die Entwicklung Libyens der vergangenen zwei Jahre. Das Land gilt als Quelle für den Waffenhandel in Nordafrika und Nahost. Nach internationalen Schätzungen sind es landesweit 400 Waffendepots, aus denen sich viele der Milizen noch immer ungehindert mit Nachschub versorgen oder Waffen und Munition weiter verkaufen. Um dem vorzubeugen, so UN-Sicherheitsexperte John Durance, müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
    "Das eine ist die politische Situation, über die viele Leute sagen, sie ist unberechenbar. Das Zweite, wer ist verantwortlich für die Sicherheit im Land. Es gibt keine Sicherheitsarchitektur und keinen Sicherheitsrat. All das muss eingerichtet werden, damit die Sicherheitsprobleme des Landes gemanagt werden können."
    Aufgrund der fehlenden Sicherheitsstrukturen konnten im zurückliegenden Jahr Extremisten-Gruppen wie die Miliz Ansar al Sharia im Osten Libyens ihre Position festigen. Es gibt nach wie vor Anschläge, gezielte Attentate auf staatliche Einrichtungen, speziell im Großraum Benghazi. Hier hat die Zentralregierung nichts zu sagen oder der Gewalt entgegen zu setzen.
    Europäer und Amerikaner versuchen, Libyen beim Aufbau des Landes zu helfen. Wissend, dass sich die allgemeine Situation 2013 nicht verbessert hat, im Gegenteil. Über den politischen Prozess spricht kaum noch jemand. Bis Mitte Mai soll eine 60-köpfige Verfassungskommission den Entwurf des ersten Grundgesetzes Libyens erarbeiten. Gelingt dies nicht, droht der Kollaps staatlicher Strukturen. Übergangsregierung, Übergangsparlament und auch die Verfassungskommission müssten aufgelöst werden. Wie es dann weiter geht, ist ungewiss.