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Konzertbericht Neal Morse Band
Prog-T-Shirt-Bingo

Wenn Neal Morse gerade nicht Keyboard oder Gitarre spielt, verwandelt er sich im bunten Scheinwerferlicht in einen manischen Prediger des Progessive Rock. Bericht vom Kölner Konzert der Neal Morse Band.

Von Kai Löffler | 07.05.2017
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    Neal Morse im Kölner Bürgerhaus Stollwerk (Kai Löffler)
    Musik "Long Day"
    Rund 500 Leute passen ins Kölner Bürgerhaus Stollwerk, aber mitten in der Menge fühlt es sich nach viel mehr an. Das Konzert der Neal Morse Band ist ausverkauft und die Halle bis unters Dach gefüllt. Ein paar besonders treue Fans - größtenteils männlich und jenseits der 40 - haben schon Stunden vorher den Eingang belagert. Wer "Prog-Rock-T-Shirt Bingo" spielt, kann sich heute über eine volle Karte freuen: Devin Townsend, Rush, Haken sind ebenso oft vertreten wie Dream Theater und die gemeinsamen Bands von Drummer Mike Portnoy und Neal Morse: Transatlantic und Flying Colors - und natürlich die Neal Morse Band.
    Vor dem Interview hat Neal Morse noch angekündigt, dass es wohl etwas später losgeht, aber wie durch ein Wunder geht pünktlich um Neun das Licht aus, das Intro-Tape läuft an, und kurz darauf betreten die fünf Musiker unter tosendem Applaus die Bühne.
    Musik "Long Day"
    Wenn Neal Morse gerade nicht Keyboard oder Gitarre spielt, verwandelt er sich im bunten Scheinwerferlicht in einen manischen Rock-Prediger, steht im wehenden Gewand am Bühnenrand und hebt theatralisch die Hände in den Himmel. Oder aber er fegt wie besessen über die Bühne. Auch Drummer Mike Portnoy bearbeitet sein Instrument mit viel Energie, und die ist auch bitter nötig - der Rest der Band erinnert zeitweise an lebende Statuen. Ganz rechts steht Gitarrist und Teilzeit-Sänger Eric Gilette; das neuste - und jüngste - Mitglied der Band. Rekrutiert via YouTube.
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    Eric Gilette; Gitarrist - Rekrutiert via YouTube. (Kai Löffler)
    Neal Morse: "Ich hab Auditions abgehalten, um Leute zu finden, die die Songs spielen und singen können. Es sollten Amerikaner sein, sonst wäre es zu teuer, sie für die Proben einzufliegen. Am Anfang haben wir die Band für die Live-Shows zusammengestellt, aber dann hat alles so gut geklappt, dass wir uns dachten, "schreiben wir doch ein Album zusammen", und das war "The Grand Experiment".
    Diesmal steht das neue Album auf dem Programm, das rund 100-minütige "Similitude of a Dream". Gespielt von Anfang bis Ende verlangt es einiges an Geduld ab.
    Neal Morse: "Auf dieser Tour hab ich mir immer mal wieder die Frage gestellt, "was, wenn sie nicht mit uns auf die Reise kommen."
    Am Ende des Abends allerdings, sagt Morse, ist das Publikum immer an Bord.
    Neal Morse: "Jedes Mal. JEDES Mal."
    Ganz links steht Bassist Randy George.
    Weiter rechts, hinter Eric Gilette, versteckt sich Bill Hubauer hinter seinem Keyboard.
    Neal Morse: "Bill ist gewissermaßen der "Weise" der Band, und ein echtes Geschenk. Nicht nur ist er ein toller Keyboarder, sondern auch Songwriter und Multi-Instrumentalist. Er spielt viele verschiedene Instrumente und hat eine fantastische Stimme. Einfach...Wenn Leute drei Sachen gut können, nennt man sie "Triple Threats". Bill ist sowas wie ein "Octuple Threat".
    Das ist nicht übertrieben; neben Keyboard und iPad spielt Hubauer Saxophon und Mandoline. Und ein paar der Songs singt er auch, zum Beispiel das Beatles-eske "Ways of a Fool"
    Musik "The Ways of a Fool"
    Die Band hat in dieser Konstellation gerade mal zwei Alben aufgenommen; Mike Portnoy war aber schon lange vorher dabei; wenn Neal Morse auf der Bühne steht, dann ist der Schlagzeuger nicht mehr wegzuedenken.
    Neal Morse: "Er ist ein Genie. Ich stütze mich sehr auf ihn, vielleicht manchmal etwas zu sehr. "Mike, was hältst du hiervon, was hältst du davon..." Er hat viel an der Produktion des Albums und auch am Live-Konzept mitgearbeitet. Und er ist ein guter Freund; unsere Zusammenarbeit ist einfach von Gott gesegnet, sie ist einfach toll."
    Gott ist auch auf dem Album ein großes Thema. Dass Morse seinen christlichen Glauben in die Musik einfließen lässt, hat sich inzwischen herumgesprochen; und so geht das Publikum auch mit, wenn auf der Leinwand ein großes Kreuz prangt.
    Lautstärke und Sound sind insgesamt okay, hier und da klingt es ein bisschen spitz und der Gesang von Eric Gilette geht ein wenig im Mix verloren. Schade, weil Gilette die interessanteste Stimme der Band hat.
    Musik "City of Destruction"
    Die Musik kommt jedenfalls gut an, vor allem bei den Krachern wie "City of Destruction" und dem epischen Finale geht das Publikum mit. Ein Höhepunkt ist auch "So Far Gone", ein Showcase für den - wenn auch zu leisen zu leisen - Gesang von Gitarrist Eric Gilette.
    Musik "So Far Gone"
    Neal Morse: "So Far Gone macht mir am meisten Spaß. Ein sehr starker Song, der beim Publikum immer gut ankommt. Er ist Up-Tempo, Eric singt ihn wirklich gut und das Solo ist auch toll. Das ist einfach was Besonderes."
    Am Ende kommt die Band nochmal für eine ausführliche Zugabe zurück: Zuerst "Author of Confusion" von Morses zweitem Album, dass noch sehr nach seiner alten Band Spocks Beard klingt, nur eben mit christlichen Texten. Dann noch zwei Titel vom Vorgängeralbum "The Grand Experiment". Das Publikum ist begeistert, aber auch sichtlich erleichtert, als danach der Abend zuende ist. Nach gut 2 1/2 Stunden macht sich vermutlich der eine oder andere Fan-Rücken bemerkbar.
    Alles in allem ein grundsolides Konzert; es mangelt an Überraschungen und großen Momenten, aber bei Neal Morses Band ist man musikalisch einfach in guten Händen. Verspieler oder gar schiefe Töne? Fehlanzeige. Das Album jedenfalls eignet sich gut als Setliste - findet auch Neal Morse selbst.
    Neal Morse: "Dabei bleibt am Ende kein Auge trocken, und alle Arme sind in der Luft. Es ist einfach ein Stück Musik, dass jedes Mal funktioniert."