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Licht und Landschaft

Goya, Caspar David Friedrich, John Constable und Eugène Delacroix - vier sehr unterschiedliche Maler des 19. Jahrhunderts treffen im Dresdner Albertinum aufeinander. Für Kurator Luc Tuymans hat jeder auf seine Weise eine vehemente Neuformulierung der sichtbaren Welt unternommen.

Von Carsten Probst | 18.03.2013
    Als Maler wie als Kurator kennt Luc Tuymans keine falsche Scheu vor dem pointierten Zugriff auf die Kunstgeschichte. Seine figurative, blassfarbige Malerei funktioniert flüchtige Bilder aus Film, Fotografie und Printmedien in Geschichtsbilder um und verleiht ihnen so eine unverhoffte kunsthistorische Tiefe.

    Ähnlich geht er als Kurator vor, indem er assoziative Spuren durch die Kunstgeschichte legt, denen nicht unbedingt jeder Akademiker sogleich folgen kann. Ulrich Bischoff, der scheidende Direktor des Dresdner Albertinums, der gemeinsam mit Tuymans seine aufwendige Abschiedsvorstellung kuratiert hat, räumt bereitwillig ein, dass es ihn Überzeugungsarbeit gekostet hat, so manche Kollegen in anderen Museen, von denen er Bilder ausleihen wollte, von der These dieser Ausstellung zu überzeugen.

    Goya, Caspar David Friedrich, John Constable, Eugène Delacroix - vier Maler des 19. Jahrhunderts, die in Stil und Programmatik unterschiedlicher nicht sein könnten, sollen hier unmittelbar aufeinandertreffen. Hinzukommen sollen dann noch andere Künstler, unter anderem aus der Gegenwart. Was sollen die alle miteinander zu tun haben?

    Die Zweifel der Museumsleute sind berechtigt. Die Hängung dieser Ausstellung wirkt auf den ersten Blick, freundlich ausgedrückt, eher wie ein Kessel Buntes. Gleich im ersten Saal empfängt einen eine große Fotografie des digitalen Fotokünstlers Jeff Wall, die einen Jungen mit regennasser Kleidung zeigt, neben einer abstrakten Malerei von Mark Rothko und der "Dame in Rosa" von Edouard Manet.

    Gegenüber hängt ein ziemlich grandioses Fischstilleben von Francesco Goya, ein halbes Dutzend toter Goldbrassen, gemalt 1812, glotzäugig und quer durcheinander aufgestapelt, die mit einem eindrucksvollen glühenden Schimmer versehen vor dunklem Hintergrund wie kleine Ungeheuer wirken, die der Schlaf der Vernunft gebiert. Luc Tuymans nähert sich energisch, wie es seine Art ist, um alle Zweifel wegzuwischen.

    "Hier, in der Zeit, wo Goya ein ganz großes Ungenügen hatte mit dem damaligen König, der ziemlich doof war, hat er dieses Stillleben gemacht. Hier sehen wir schon eine riesige Aggressivität, die eigentlich Courbet vorausgeht, sozusagen. Manet und Wall haben beide den Prado besucht und haben dort Goya gesehen und haben das Licht gesehen. Manet war richtig schockiert. Jeff Wall war das auch, denn nach dem Prado und dem Besuch hat er seine ersten Lichtkästen gemacht, bei Manet war es ein Picknick sozusagen, im Studio gemalt und bei Jeff Wall waren es diese Frauenzimmer, die völlig zerstört waren. "

    Goya als Maler des Lichts und Inspiration für Impressionisten und digitale Fotografen gleichermaßen: So hat man ihn bislang wohl eher nicht gesehen. Überhaupt fungiert die Lichtmetapher in der Malerei für Tuymans als eine Art bildgewordene Reaktion auf das Scheitern der Aufklärung. So macht es zumindest Sinn, wenn im selben Saal auch noch Caspar David Friedrich, Mark Rothko und Gerhard Richter hängen. Die Beziehung von Richter zu Friedrich ist im Gegensatz zu den anderen Kombinationen schon länger nicht nur wegen des gemeinsamen Dresdner Hintergrundes in der Fachwelt etabliert.

    Die direkte Konfrontation der vier Hauptkünstler dieser Ausstellung, Goya, Friedrich, Delacroix und Constable, im Hauptsaal der Ausstellung soll schließlich die Kernthese erhärten. Ganz einfach, könnte man meinen, wenn man nur einmal die akademischen Stilfragen außer acht lässt. Denn diese vier sind für Tuymans die Kronzeugen für die Abwendung der Kunst vom gescheiterten Erbe der Französischen Revolution.

    Jeder auf seine Weise habe sich vom klassischen Bildtypus abgewandt und eine vehemente Neuformulierung der sichtbaren Welt unternommen - einer neuen Wahrhaftigkeit des Bildes, die sie jetzt, nach dem Scheitern der großen politischen Projekte, als die einzige Möglichkeit von Kunst ansahen: Constables ungestüme Licht- und Wetterwechsel über unruhigen, zerfaserten Landschaften, die niemals gleich bleibt. Oder wie bei Friedrich die Landschaft und Licht als transzendente Übergangswelten. Delacroix mit seiner drastischen, manierierten Figureninszenierung und Goya als Maler des Unbewussten.

    Das jedenfalls gibt dieser Ausstellung den Titel - die Erschütterung der Sinne. Am Ende vielleicht eher eine Erschütterung akademischer Lehrmeinungen, aber am Ende haben die Museumsdirektoren in ganz Europa dann doch ihre grandiosen Leihgaben herausgerückt.