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Lichter Filmfest
Angemessene Begriffe in Zeiten von "Fake News"

Wie findet man die reine Wahrheit, was bedeutet heute noch Vertrauen? Das Frankfurter "Lichter Filmfest" beschäftigt sich mit diesen Begriffen und seziert sie. Diskutiert werden Fragen wie: Wird der Vertrauensbegriff etwa im Zusammenhang mit Medien, Politik oder Wirtschaft zu inflationär benutzt?

Von Ludger Fittkau | 02.04.2017
    Schriftzug Fake News mit At-Zeichen auf gestapelten Zeitungen.
    Was sind Begriffe wie "Wahrheit" oder "Vertrauen" in Zeiten von "Fake News" wert? (imago / Christian Ohde)
    Die Suche nach der Wahrheit über umwälzende historische Ereignisse hat im Archiv zu beginnen. Oder in der Bibliothek. Sie wird womöglich nicht dort enden, doch sie hat dort zu beginnen. Wer diese Regel verletzt, wird es mit Wahrheitsfindung zumindest im Feld der Wissenschaft schwer haben. Die wahrheitsverheißende Aura einer alten Bibliothek setzt in betont langsamen, bewusst unzeitgemäßen Bildsequenzen der Film "Armenia" des Filmemachers M.A. Littler in Szene, der in diesem Jahr beim "Lichter Filmfestival" in Frankfurt am Main gezeigt wurde.
    "Armenia" erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich mit dem armenischen Schicksalsjahr 1915 auseinandersetzen muss, weil er seinen familiären Wurzeln nachgehen will. Die Geschichte des türkischen Genozids an den Armeniern, über den bis heute in der Türkei nicht geredet werden darf, beginnt für ihn damit, dass er in einem Bibliotheksregal ein verstaubtes, deutschsprachiges Buch über das Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufschlägt.
    Und darin eine Depesche der kaiserlichen deutschen Botschaft in der Türkei aus dem Juli 1916 findet: "Die Armenier-Verfolgungen in den östlichen Provinzen sind in ihr letztes Stadium getreten. Die türkische Regierung hat sich in der Durchführung ihres Programms der Vernichtung der armenischen Rasse weder durch unsere Vorstellungen noch durch die Vorstellungen der amerikanischen Botschaft beirren lassen."
    "Das Thema Wahrheit berührt alle"
    Depeschen resignierter Botschafter konnten vor 100 Jahren genauso ins Leere laufen wie heute der mutige Einsatz sogenannter Whistleblower. Wahrheiten über Behördenversagen oder Korruption an die Öffentlichkeit zu zerren, endet für die Überbringer der schlechten Nachricht oft böse. In einer Ausstellung im Festivalzentrum präsentierte das "Lichter-Filmfestival" hessische Whistleblower – wie etwa mehrere gesetzestreue Frankfurter Steuerfahnder, die von Vorgesetzten teilweise zu Fällen für die Psychiatrie gestempelt wurden, weil sie keinerlei Bereitschaft zur Korruption gezeigt hatten.
    Festivalleiter Gregor Maria Schubert: "Das Thema Wahrheit ist omnipräsent und berührt irgendwie alle. Und wenn wir unseren Teil dazu beitragen können, die Wahrheit wieder ins rechte Licht zu rücken, dann haben wir unseren Job getan."
    Miray (l) und Denizcan durchsuchen am 14.03.2017 in der Kinderbibliothek im Zukunftshaus Wedding im Paul Gerhardt Stift in Berlin ein Bücherregal nach ihren Lieblingsbüchern.
    Die Suche nach der Wahrheit hat in der Bibliothek zu beginnen. (dpa/picture-alliance/Gregor Fischer)
    Wer heutzutage über öffentliche Wahrheiten und Lügen redet, kommt an einer Debatte über den Zustand der Massenmedien nicht vorbei. "Vertrauensverlust" von Medien und anderen Großinstitutionen war das Thema eines Podiums mit dem in der Schweiz lehrenden Philosophen Martin Hartmann sowie Mathias Müller von Blumencron, dem Online-Chef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
    Martin Hartmann vertrat erst einmal die These, dass der Vertrauens-Begriff im öffentlichen Raum schlichtweg zu inflationär gebraucht werde: "Ich finde es so toll, in Bern, wenn ich da so lang gehe, da gibt es eine Apotheke, da steht so groß auf dem Fenster: 'Treten Sie ein in den Raum des Vertrauens'. Also, wenn ich in eine Apotheke gehe, da auch! Und das könnte man natürlich unendlich fortführen. Die Banken machen damit Werbung, zeigen uns Personen, Gesichter, denen man vertrauen soll. Ganz wichtig, Faces müssen da sein, damit wir dieses abstrakte Etwas irgendwie zugänglich machen. Ich würde es verteidigen wollen, gegen diese – Alt-Frankfurterisch hätte man gesagt – gegen diese Kolonisierung des Begriffes durch Medien, Wirtschaft und so weiter.
    Vertrauen gleich Verlässlichkeit?
    Martin Hartmann plädiert dafür, eine neue Askese beim normativ aufgeladenen öffentlichen Umgang mit dem Vertrauensbegriff zu entwickeln und sich im Alltag etwa mit der "Verlässlichkeit" zu begnügen: "Ich will von einer Bank, dass sie verlässlich ist. Wenn ich ihr mein Geld gebe, dann soll sie damit gut umgehen. Ich muss meiner Bank nicht vertrauen. Das ist für mich ein – auch normativ – aufgeladenes Verhältnis, das ich mit einer Bank in der Regel nicht herstelle."
    Eher vielleicht mit meinen Leib- und Magenblatt, das ich beim Frühstück lese. Oder mit der Leib- und Magen-Homepage, die viele heute oftmals schon vor dem Frühstück zuerst aufrufen. Doch auch im Internet-Nutzungsverhalten gibt es große Unterschiede. So erfährt es in seinem Arbeitsalltag der FAZ-Online-Chef Mathias Müller von Blumencron, der vor einigen Jahren von "Spiegel online" aus Hamburg nach Frankfurt kam:
    "Was ich sehr interessant finde, bei der FAZ im Unterschied zu Spiegel online: Die klassischen Mechanismen des Soft-Boulevard, mit dem wir – klar – bei Spiegel online am Anfang gespielt haben, am Ende natürlich nicht mehr, diese Mechanismen funktionieren bei dem FAZnet-Leser nicht. Der wiederum flippt aus, wenn die Schweizer Nationalbank den Frankenkurs freigibt. An dem Tag haben wir mehr Treffer gehabt als zwei Wochen vorher bei dem Anschlag auf Charlie Hebdo."
    Womit wir dann wieder bei der Wahrheit sind, die hier ganz klar auf der Hand liegt: Der FAZ-Net-User ist eine unpolitische Krämerseele. Sonst kämen andere Klick-Zahlen zustande. Diese Erkenntnis verdanke ich einem Filmfestival. Das ist nichts als die Wahrheit.