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Lichtseite des viktorianischen Imperialismus

Sir Richard Francis Burton gehört zu den legendären Entdeckergestalten des 19. Jahrhunderts, zu den Weltreisenden mit faustischem Erkenntnisdrang, Völker nicht nur zu unterwerfen, sondern ihre Kulturen verstehen zu wollen. Sie markieren die Lichtseite des viktorianischen Imperialismus. Seine Geschichte wurde von einem Wesensverwandten aufgeschrieben: Ilja Trojanow kennt die Kontinente, die sein Held bereiste.

Von Florian Felix Weyh | 02.04.2006
    "Er ekelte sich vor dem klebrigen Stumpfsinn eines Lebens, das dem Billard und dem Bridge gewidmet war, er weigerte sich, seine Dienstdauer zu durchwarten, versunken in Polstern, so tief wie muffig, einen starren Blick auf Fingernägel gerichtet, in denen sich Sand und Staub ansammelte. Es gab nur eine Möglichkeit, sein Leben nicht zu verplempern: Sprachen lernen. Sprachen waren Waffen. Mit ihnen würde er sich von den Fesseln der Langeweile befreien, seine Karriere anspornen, anspruchsvolleren Aufgaben entgegensehen. Auf dem Schiff hatte er genug Hindustani aufgelesen, um sich grob zu orientieren, um sich vor den Einheimischen nicht lächerlich zu machen, und das war mehr – wie er zu seinem Erstaunen festgestellt hatte –, als selbst jene Offiziere vermochten, die vom Hind seit längerem gezeichnet waren. Einer von ihnen redete ausschließlich im Imperativ; ein anderer benutzte stets die weibliche Konjugation – alle wussten, er plapperte seine einheimische Geliebte nach."

    Richard Francis Burton, Offizier Ihrer Majestät, Königin Viktoria von England. Hinter die Mauern seiner standesgemäßen Villa im zentralindischen Baroda dringt wenig vom exotischen Alltag draußen – zu wenig für einen von Neugierde und Forschungsdrang beseelten Mann, der das viktorianische Militär als Reiseunternehmen betrachtet, um an Orte zu gelangen, die ihm sonst unerreichbar blieben. Nicht nur das unterscheidet ihn von den Kameraden deutlich: Für sie, die mittleren und hohen Chargen der britischen Armee, bedeuten Kontakte zu Einheimischen allenfalls eine Belästigung, die man abwehren muss, handelt es sich doch fast immer um dreiste Bettelversuche! Hauptmann Burton ist bereits gewarnt, als er in Bombay von Bord geht. Dennoch lässt er sich auf ein Gespräch mit jener seltsamen Gestalt ein, die sich wie eine Klette an seine Füße heftet:

    "
    – Je schneller Sie einen Diener finden, desto besser.
    – Was kümmert es dich?
    – Ich, Ramji Naukaram, werde Ihr Diener sein.
    – Wieso denkst du, dass ich einen Diener suche?
    – Sie haben schon einen Diener?
    – Nein. Ich habe noch keinen Diener. Auch noch kein Pferd.
    – Jeder Saheb braucht einen Diener.
    – Und wieso gerade du? Wieso sollte ich dich nehmen? (..) Ich gebe mich nur mit dem Besten zufrieden.
    – Ach, Saheb, was heißt schon Bestes? Es gibt Männer und es gibt Frauen, und die Männer, die eine Frau nicht nehmen, weil um die Ecke vielleicht bessere Frau, schönere Frau, reichere Frau wartet, die Männer bleiben am Ende ohne Frau. Heute nehmen ist besser als Versprechen von morgen. Heute ist sicher – niemand weiß, was morgen ist. "

    Das könnte der Beginn einer turbulenten Abenteuerkomödie sein, erinnert es in der Herr-Diener-Paarung nicht zufällig an Phileas Fogg und Passepartout aus den "80 Tagen um die Welt" von Jules Verne. Doch Ilija Trojanows britischer Offizier ist keine Phantasiegestalt. Der später zum Diplomaten aufgestiegene und geadelte Sir Richard Francis Burton gehört zu den legendären Entdeckergestalten des 19. Jahrhunderts, zu den Weltreisenden mit faustischem Erkenntnisdrang, Völker nicht nur zu unterwerfen, sondern ihre Kulturen verstehen zu wollen. Sie markieren die Lichtseite des viktorianischen Imperialismus. Von den Zeitgenossen wurden sie meist verspottet, doch schützte sie das britische Bürgerrecht auf Exzentrik vor Übergriffen, so lange sie nicht direkt in Konflikt mit der Staatsmacht kamen. Burton, der Indien-, Orient- und Afrikareisende, erwies sich mit seiner Sprachlernlust und -begabung sogar als nützlich, da er die Fassade arroganter Blasiertheit, die jede Kolonialmacht auszeichnet, für Erkenntnisse durchlässig machte, allerdings unerfreuliche; im Stab der britischen Armee will sie niemand hören. So berichtet der Hauptmann an seinen General:

    "Die Einheimischen sehen uns ganz anders, als wir uns sehen. Das klingt banal, doch wir sollten uns diese Einsicht im Umgang mit ihnen stets vor Augen führen. Sie halten uns keineswegs für mutig, für klug, nicht für großzügig, für zivilisiert, sie sehen in uns nichts anderes als Schurken. Sie vergessen kein einziges der Versprechen, die wir nicht eingelöst haben. Sie übersehen keinen einzigen der bestechlichen Beamten, die unsere Gerechtigkeit durchsetzen sollen. Sie empfinden unsere Manieren als anstößig, und natürlich sind wir gefährliche Ungläubige. (…) Sie durchschauen unsere Heuchelei, genauer gesagt, die Widersprüche in unserem Verhalten addieren sich in ihren Augen zu einer allumfassenden Heuchelei. Wenn die Angrezi besonders viel Frömmigkeit an den Tag legen, sagte mir ein älterer Mann in Hyderabad, wenn sie uns die Ohren vollstopfen mit Märchen von der aufgehenden Sonne des Christentums, wenn sie die Ausbreitung der Zivilisation beschwören und die unendlichen Vorzüge, mit denen wir Barbaren beschenkt werden würden, dann wissen wir, die Angrezi bereiten einen weiteren Diebstahl vor. "

    Spricht hier der historische Richard Francis Burton oder ein fiktiver? Der historische hat selbst viel publiziert, und zweifelsohne kennt Ilija Trojanow all diese Schriften. Tatsächlich aber stellt das Leben Burtons eine große, weiße Fläche auf der Landkarte dar. Denn:

    "Das Kamelleder brennt, eine Grimasse knackt, Seitenzahlen brennen, Pavianlaute glühen, Marathi, Gujarati, Sindhi verdampfen, hinterlassen krakelige Buchstaben, die als Funken aufflattern, bevor sie als Kohlenstaub hinabsinken. Er, Massimo Gotti, ein Gärtner aus dem Karst nahe Triest, erkennt im Feuer den verstorbenen Signore Burton, in jungen Jahren, in altmodischer Kluft. Massimo streckt seinen Arm aus, versengt sich die Haare auf seinem Handrücken, die Seiten brennen, die Zettel, die Fäden, die Lesezeichen und das Haar, ihr seidenes schwarzes Haar, langes schwarzes Haar, das vom vorderen Ende eines Schragens herabhängt, im Klagewind treibt. "

    Mit einem verbürgten Fanal beginnt das Buch: Burtons italienische Witwe verbrannte alle Tage- und Notizbücher ihres Gatten aus 40 Jahren und schuf damit nicht nur die Legitimität, sondern die schiere Notwendigkeit, das sagenhafte Leben ins Nachempfundene zu wenden. Lange hat’s gedauert, nun ist es geschehen, vollbracht von einem Wesensverwandten. Ilija Trojanow kennt nicht nur die Schriften seines Helden, er kennt auch die Kontinente, die Burton bereiste, und er kennt die Verlockungen des umfassenden Identitätswechsels über alle kulturellen Schranken hinweg. In Bulgarien geboren, nach Deutschland emigriert, hat Trojanow in Afrika und Indien gelebt und – wie Burton 150 Jahre vor ihm – als Konvertit (oder doch nur als perfekter Simulant?) die Hadsch vollzogen, die islamische Wallfahrt nach Mekka. Somit ist der Autor ein "Weltensammler" wie sein Held. Zugleich einer, der die Welten zusammenbringen will, ja ihre schroffen Gegensätze durch empfindsame Aufklärung abmildern möchte. Vor allem im mittleren Buch mit der Reise nach Mekka tritt dieses Motiv ins Zentrum. Zunächst erzählt Trojanow von Indien, der ersten Station auf Richard Francis Burtons Lebensreise. Hier beginnt der Offizier, fremde Sprachen zu erlernen. Sein Diener Naukaram – eben jener, der ihn so forsch angesprochen hat –, macht einen Brahmanen ausfindig, der willens ist, dem Engländer ein Fenster in die fremde Welt zu öffnen:

    "Wie oft fluchen Sie über den Kommandanten, der Sie nach Baroda eingeteilt hat? Deswegen treffen wir uns heute, antwortete Burton, ich will der Ennui entkommen, indem ich lerne. Ennui? Sie mögen ungewöhnliche Wörter? Sie müssen Sanskrit lernen. Die Welt ist erschaffen aus den einzelnen Silben dieser Sprache. Alles stammt vom Sanskrit ab, nehmen Sie das Wort Elefant, auf Sanskrit Pilu, wo besteht denn die Ähnlichkeit, werden Sie fragen, folgen Sie mir, nach Iran, dort wurde daraus Pil, weil die Perser kurze Endvokale ignorierten; im Arabischen wurde aus dem Pil ein Fil, denn das Arabische kennt kein P, wie Sie bestimmt wissen, und die Griechen, die hängten gerne ein -as an alle arabischen Begriffe, gekoppelt mit einer Konsonantenverschiebung haben wir schon ein elephas, und von dem ist es nur noch ein etymologischer Katzensprung zum Elefanten, wie Sie ihn kennen. Ich sehe, wir werden uns vergnügen. Übrigens, was bedeutet Ennui? Er ließ kein Schweigen aufkommen, es sprudelte weiter aus diesem alten Mann heraus, kaum dass die letzten Silben von Burtons Erklärung verklangen. Upanitsche ist mein Name, Sie haben ihn schon gehört, nun schreiben Sie ihn nieder, Upa-nitsche, in Devanagari-Schrift, so werde ich erkennen, wie es mit Ihren Kenntnissen bestellt ist. "
    Diese Indien-Episode von 200 Seiten – der ganze Roman ließe sich in drei eigenständige Bücher zerlegen – ist prall und exotisch, zugleich ein literarisches Kunststückchen. Nichts wäre einfacher, als das Leben Burtons geradlinig-dokumentarisch zu erzählen. Doch Trojanow verwendet einen raffinierten Trick: Um eine Vielzahl von Perspektiven zu bekommen, lässt er den Diener Naukaram berichten, wie sich der fremde Offizier durch die Widrigkeiten des Militärdienstes schlägt und welch bedeutende Rolle er, der Diener, dabei gespielt habe. Als Analphabet muss Naukaram dies alles einem gedungenen Schreiber diktieren, der seinerseits Stoff hinzufügt, anderes durch kritische Fragen ins Lot rückt. Nach und nach treten delikate Geheimnisse zutage, etwa dass Herr und Diener sich eine Geliebte teilten. Das ursprüngliche Erzählmotiv Naukarams – er braucht ein Empfehlungsschreiben, mit dem er sich einem neuen Herrn andienen kann – tritt immer mehr in den Hintergrund. In Wahrheit geht es ihm um ein Gemisch aus Beichte und Rechtfertigung, während der Schreiber ein großes Erzählkunstwerk wittert, mit dem er sich unsterblich machen kann. Während in diesen Passagen burleske Erlebnisse überwiegen, ist der Tonfall des auktorialen Erzählers, der dazwischen scheinbar objektive Informationen einstreut, eher melancholisch. Gewiss, in diesen Textabschnitten stehen eindrückliche Liebespassagen, doch beschäftigt den nachdenklichen Hauptmann vor allem die Unvereinbarkeit des britischen Denk-, Straf- und Rechtssystems mit dem Fühlen der Einheimischen. So ist es nicht ungewöhnlich, dass ein zu Tode Verurteilter jemand anderes zur Hinrichtung schickt, der sich als gar nicht dankbar erweist, wenn man ihn von seiner "Aufgabe" entbindet:

    "Der Mann, der dem Seil um einen Hauch entronnen war, überschüttete Burton mit wüsten Beschimpfungen. Möge deine Nase abfallen, du Schweinefresser, schrie er. Er wollte nichts davon hören, dass Burton ihm das Leben gerettet habe. Erst viel später, als er sich beruhigt und mit der Aussicht auf sein Weiterleben angefreundet hatte, beantwortete er die Frage, wieso er sich auf einen derartigen Tausch eingelassen habe. Ich war mein Leben lang arm, sagte er ruhig. So arm, ich wusste nicht, wann ich das nächste Mal wieder essen würde. Mein Magen war immer leer. Meine Frau und meine Kinder sind halb verhungert. Das ist mein Schicksal. Aber dieses Schicksal übersteigt meine Geduld. Ich habe zweihundertfünfzig Rupien erhalten. Mit einem kleinen Teil dieses Geldes habe ich mir den Bauch vollgeschlagen. Den Rest habe ich meiner Familie hinterlassen. Sie werden versorgt sein, für einige Zeit. Was könnte ich auf Erden mehr erreichen? Burton erstattete erneut Bericht. Die Augenbrauen des Generals sahen aus wie Schnüre.
    – Wie können wir diesem Missstand ein Ende bereiten?
    – Indem wir die Armut abschaffen?
    – Wenn mir der Sinn nach etwas Geistreichem steht, schlage ich nach bei Lukian. Verstanden, Soldat?
    – Ziehen Sie die Alethe Dihegemate vor, oder vertiefen Sie sich lieber in die Nekrikoi Dialogoi?
    – Einem Mann von Ihrer Begabung steht üblicherweise die Welt offen. Doch bei Ihrer Chuzpe, Burton, fürchte ich, werden Sie gegen einige Türen knallen. "
    In der Tat ist Richard Francis Burton da schon für die Armee verloren. Mittlerweile befinden wir uns im Sindh, einer heute zu Pakistan zählenden Provinz, und mehr noch als von den Sprachlektionen seines Brahmanen-Lehrers wird Burton von den Riten des Islam angezogen. Seine Mimikry nimmt Züge der Besessenheit an, und die Militärkameraden glauben kaum noch, dass er dies alles tut, um Informationen zu sammeln. Selbst als er von den Briten mit einheimischen Verdächtigen zusammen ins Gefängnis geworfen wird, gibt er seine Identität nicht preis – und überschreitet damit eine Grenze. Naukaram befreit ihn, doch das Schicksal des Offiziers ist besiegelt. Er flüchtet in eine vorgespiegelte Krankheit, um dem restlichen Militärdienst zu entkommen. Zuvor aber muss er sich von einem islamischen Lehrer den Kopf zurechtrücken lassen:

    "Glaubst du, so einfach kannst du die Seiten wechseln. Was du getan hast, hast du allein deiner Eitelkeit zuliebe getan. Worauf Burton Saheb antwortete: Ihr denkt immer nur in groben Mustern, Freund und Feind, unser und euer, schwarz und weiß. Könnt ihr euch nicht vorstellen, dass es etwas dazwischen gibt? Wenn ich die Identität eines anderen annehme, dann kann ich fühlen, wie es ist, er zu sein. (…) Burton Saheb flehte fast, so sehr wollte er an die Wahrheit seiner Worte glauben. Der Lehrer aber war nicht gnädig. Du kannst dich verkleiden, soviel du willst, du wirst nie erfahren, wie es ist, einer von uns zu sein. Du kannst jederzeit deine Verkleidung ablegen, dir steht immer dieser letzte Ausweg offen. Wir aber sind in unserer Haut gefangen. Fasten ist nicht dasselbe wie Hungern. "
    Stichwort für einen Szenenwechsel. Einige Jahre später erleben wir Burton als Sheikh Abdullah auf der Hadsch, dem Weg nach Mekka. Äußere Verkleidungen sind nicht genug, das weiß er nun, also hat er sich vollkommen in den Islam vertieft und beherrscht selbst die abgelegensten Verhaltensregeln. Als vermeintlicher Arzt erringt er schnell das Vertrauen der Einheimischen, und sein Coup gelingt tatsächlich: Burton dringt zum Allerheiligsten des Islam vor, berührt die Kaaba und macht einen Saulus-Paulus-Wandel durch:

    "Er fühlt sich von diesem Ort aufgenommen. Zur Ruhe gebettet. Wie ausgehebelt von allen Fallen und Stricken des Lebens. Er ist in al-Islam hineingewachsen, schneller als erwartet, er hat Buße und Entbehrung übersprungen und gleich Eingang in diesen Himmel gefunden. Keine andere Tradition hat eine so schöne Sprache für das Unsagbare geschaffen. Von dem Gesang des Korans bis hin zu den Dichtungen aus Konya, Bagdad, Shiraz und Lahore, mit denen er begraben werden möchte. Gott ist im Islam allen Eigenschaften enthoben, und das erscheint ihm richtig so. Der Mensch ist befreit, keiner Erbsünde untertan und dem Verstand anvertraut. Natürlich ist diese Tradition wie alle anderen kaum in der Lage, den Menschen zu bessern, den Gebrochenen aufzurichten. Aber in ihr lässt es sich stolzer leben als in den schuldbeladenen, freudlosen Niederungen des Christentums. "
    Heimgekehrt nach London publiziert er dennoch ein Buch, in dem er sich zur Frevelei bekennt, die er aus Sicht des Islam begangen hat, was Ilija Trojanow eine weitere erzählerische Variante ermöglicht. Dieses Buch nämlich veranlasst die osmanische Obrigkeit zu einer Untersuchung, in deren Verlauf zahllose Zeugen gehört werden. Wie im ersten Teil ergibt sich daraus ein Kaleidoskop an Meinungen über den geheimnisvollen Fremden. Die klügste Einschätzung gibt der Kadi, der Untersuchungsrichter, ab:

    " Ich denke, dieser Mann steht außerhalb des Glaubens. Nicht nur unseres Glaubens. Das erlaubt ihm, hinzugehen, wohin sein Wille ihn treibt. Ohne Gewissensbisse. Er kann sich an dem Glauben anderer bedienen, er kann annehmen und verwerfen, auflesen und weglegen, wie es ihm beliebt, als wäre er auf einem Marktplatz. Als wären die Mauern, die uns umgeben, weggefallen, als stünden wir draußen auf einer endlosen Ebene und hätten Sicht in alle Richtungen. Und weil er an alles und an nichts glaubt, kann er sich, zumindest dem Äußeren nach, nicht aber in der Festigkeit, in jeden Edelstein verwandeln. "

    Ist das der Schlüssel zum Charakter dieses Getriebenen? Die Widersprüche zwischen Trojanows Unterstellung einer innerlichen Islam-Entflammung und dem äußeren Akt des publizistischen Verrats sind evident. Geschickt zieht sich der Autor aus der Affäre. Die Wallfahrt-Episode endet so:

    " An äußeren Details wird er nicht sparen, der natürlichen Wissenschaft breiten Raum einräumen, um die Fehler zu beseitigen, die seine Vorgänger in die Welt gesetzt haben. Ungenauigkeiten sind ihm ein Dorn im Auge. Aber seine Gefühle wird er nicht verraten. Nicht alle. Zumal, er ist sich seiner Gefühle nicht immer sicher gewesen. Er will nicht weitere Unklarheit in die Welt setzen. Es wäre unangemessen; zudem kann er es sich nicht leisten. Wer in England wird ihm ins Dämmerreich folgen können, wer wird verstehen, dass die Antworten verschleierter sind als die Fragen? "

    "Natürliche Wissenschaft" kann auch als Synonym publizistischer Eitelkeit gelten, und dieser profanen Spur folgt der letzte Teil des Buches. Noch dreimal bricht Burton in die weite Welt auf, zwei Episoden – die Erforschung Somalias und die Teilnahme am Krimkrieg – überspringt Trojanow, um sich aufs letzte Abenteuer zu konzentrieren, das den Terrain mentaler und religiöser Erweckungswünsche freilich gänzlich verlässt.

    "Die höchste Anerkennung lockt. Belohnt mit einem Adelstitel, einer Lebensrente. Das Rätsel der Nilquellen zu lösen, das seit mehr als zweitausend Jahren alle Erstaunten beschäftigt. Und damit einen ganzen Kontinent zu öffnen. Er hat keine Angst vor seinem Ehrgeiz. Es darf kein anderes Ziel geben, als den weißen Flecken auf den Karten einen Sinn einzuschreiben. "
    Zusammen mit John Hanning Speke – auch er eine authentische Figur – macht sich Burton zur vermuteten Quelle des Nils auf, die beide nicht finden, wobei Speke immerhin auf den Viktoriasee stößt, während Burton von Malaria geschlagen daniederliegt. Die gemeinsame Entdeckung des südlicher gelegenen Tanganyikasees ist dagegen eine verhältnismäßig unspektakuläre Tat, so dass der ganze dritte Teil gegen die beiden ersten abfällt: Es mangelt an Spannung. Das liegt weniger an der Konstruktion – Berichterstatter ist neben dem auktorialen Erzähler ein greiser afrikanischer Scout – als am Ehrgeizmotiv der beiden Forscher. Leben die beiden ersten Teile des Buches davon, dass die exotische Welt zugleich immer eine komplexe geistige Herausforderung verkörpert, so entfällt dieser Mehrwert bei den afrikanischen Stämmen gänzlich. Ihr religiöser Animismus kann einen Richard Francis Burton nicht annähernd so fesseln, wie es Hinduismus und Islam getan haben, und bar dieser spirituellen Komponente nähert sich sein Entdeckerehrgeiz einer imperialistischen Geste. Doch Ilija Trojanow bleibt niemanden etwas schuldig, hat er seine Leser doch vorab gewarnt:

    "Dieser Roman ist eine persönliche Annäherung an ein Geheimnis, ohne es lüften zu wollen."

    Nein, das Geheimnis lüftet sich nicht: Richard Francis Burton bleibt ein Phänomen, dessen Beschreibung zu keinen Antworten führt, wie genau sie auch immer ausfällt.Aber dazu ist Literatur auch nicht verpflichtet. Ilija Trojanow hat über weite Strecken einen außerordentlich bezwingenden Roman geschrieben, der von Wissen, Erfahrung und Empathie lebt – ein seltener Dreiklang! – und sich dennoch nie anmaßt, den richtigen Weg vorzuzeichnen. Symptomatisch dafür ist die auffallende Bevorzugung des Wortes "Achtsamkeit" vor der geläufigen westlichen "Aufmerksamkeit" – hier drückt sich die Nähe zum indischen Kulturkreis aus. Achtsam zu sein, impliziert weit mehr, als etwas nur zur Kenntnis zu nehmen; sie enthält ein Geborgenheitsversprechen. Wenn man Welten sammelt – wie Burton, wie Trojanow – und sich dabei achtsam verhält, dann hat jede Welt ihren Eigenwert. In Zeiten eines kulturellen Zusammenpralls ist das schon eine außerordentliche Botschaft.