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Liebe, Macht und Mord

Das Werk "Written on Skin" erzählt von einem reichen Landlord, der mit einem 14-jährigen Mädchen zusammenlebt. Seinen Gast, einen jungen Maler, bringt er um, weil das Mädchen sich für diesen interessiert. In Bonn wurde die Oper von einem jungen ungarischen Team inszeniert.

Von Frieder Reininghaus | 30.09.2013
    Bernhard Helmich, der neue Bonner Generalintendant ließ seine erste Spielzeit mit einem noch fast druckfrischen Werk eröffnen – mit "Written on Skin" des englischen Dirigenten und Messiaen-Schülers George Benjamin. Dessen bislang einzige Oper wurde im vergangenen Sommer beim Festival in Aix-en-Provence unter Regie von Katie Mitchell uraufgeführt und seitdem in europäischen Metropolen herumgereicht.

    Das Theater Bonn vertraute den Gegenentwurf einem jungen ungarischen Regie- und Ausstattungs-Team an: Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka wurden auch in Coburg und Gießen bereits erprobt. "Written on Skin" basiert auf einem razó des 13. Jahrhunderts. Die okzitanische Ballade erzählt von einem Landlord, der sich mit der schönen Agnès eine 14-jährige Frau hält und einen jungen Maler in seinen Haushalt aufnimmt. Diesen beauftragt er, ihn und seine guten Werke in einem Buch zu verewigen. Agnès wird bald neugierig und der Protektor misstrauisch. Er bringt den naiven Künstler um, schneidet ihm das Herz aus der Brust und serviert es gut gegart. Das triste Souper endet mit dem Tod der jungen Frau.

    Erst einmal fängt die Zeitreise hochgemut an. "Bevölkert den Himmel mit Engeln", singen weiße Gestalten von einem erhöhten Steinweg herab. Ein Teil der Bruchsteinmauer, die den Bühnenraum versperrt, ist mit einer großen Plane verhängt. Vorn ist der Boden übersät von durcheinander gekegelten Büchern. Das Luft- und Bodenpersonal des christlichen Gottes, das sich zunächst zu Wort meldet, verkündet zweischneidige frohe Botschaften: "Reißt die Kabel heraus und bedeckt das Land mit Gras! Zwingt Chrom und Aluminium in die Erde zurück". Aus der Sphäre der Parkhäuser und Flughäfen geht es im Direktflug in die mittelalterliche Agrargesellschaft Aquitaniens.

    Doch anders als Katie Mitchel, die zur Uraufführung letztes Jahr in Aix-en-Provence in einer gespaltenen zweistöckigen Bühneninstallation die changierenden Übergänge zwischen einem heutigen Theater und dem mittelalterlichen Herrenhaus des namenlosen Protektors wie ein Krimi-Szenarium (und brillant!) zu nutzen wusste, verzichten Magdolna Parditka und Alexandra Szemerédy auf optische Polarisierung. Es werden keine Kontraste zwischen moderner und mittelalterlicher Welt gezeigt. Die Engel ziehen beim Abgang in höhere Sphären die Plane weg. Es kommt so etwas wie ein Bunkerraum zum Vorschein. In ihm hält der Protektor seine Agnes an einer goldenen Hundekette.

    Als hätte das Produktionsteam der Handlung und der Musik nicht getraut, sorgte es dafür, dass ständig was los ist auf der vollgepferchten Bühne. Da fahren Koffer ins Bild und kippen um, wird geduscht in einer Sammeldusche, ein Lamm ausgenommen und auch sonst etwas Blut vergossen; es werden Leichen weggetragen, aber auch Kinder geboren und am Fließband abtransportiert. Mit dem mittelalterlichen Hintergrund der Dichtung und Handlung hat die Inszenierung erkennbar nichts im Sinn. Sie bleibt mit ihrer geschäftigen Vermüllung und partiellen Verhässlichung auf eine Weise dekorativ, die stark an die Bühnenwelten erinnert, die in den 80er-Jahren in Budapest, Bratislava, Prag oder kleineren polnischen Häusern zu sehen waren. Offensichtlich wird Theatergerümpel der Vorwendezeit, das den Anforderungen eines merkwürdig travestierten "Realismus" und einer absurden "Volkstümlichkeit" entsprach, nun mit nostalgischer Lust an die Wessis gebracht. Sie mussten es damals nicht erdulden, und finden es jetzt womöglich chic (oder wenigstens anheimelnd).

    Hendrik Vestmann sah im Vergleich zu George Benjamin, der die Uraufführung mit einem exzellenten Orchester selbst bestreiten konnte, weniger vorteilhaft aus: Die Melange der Anleihen aus verschiedenen Zonen der Moderne mit Spolien ganz alter Musik und Bezugnahmen aufs barocke Oratorium ("Seht wie ihr Körper gefallen ist!"), die in Aix-en-Provence relativ luzide geklungen hatte, wirkte nun beim Beethoven Orchester Bonn gröber und unzusammenhängender.

    Miriam Clark bringt als Agnès nicht die körperlichen Vorzüge von Barbara Hannigan mit, die eine sehr junge zwangsverheiratete Frau trefflich darzustellen wusste und die kurze Nacht ihrer großen Liebe mit frühlingshafter Leichtigkeit erfüllte. Clark singt mit mehr Vibrato und hörbar angestrengter, scheint auch in Tonarten, die der Tonalität enthoben sind, weniger zuhause. Als schon geraume Zeit leidende Lebenspartnerin entwickelt sie auf plausible Weise Glaubwürdigkeit. Evez Abdulla, der Bonner Protektor, gibt einen Macho, der es vom Türsteher zum Geschäftsmann gebracht hat. Dem kräftigen Körperbau entspricht die kraftvollgebieterische Stimme, die das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand zu geben verspricht.

    Was immer ansonsten auch Anfängen gerne "innewohnt" – bei diesem Saisonstart in Bonn war es alles andere als ein Zauber. Dabei hätte sich, wenn schon nicht Verzauberung, so doch ein gewisser Grad an Bezirzung einstellen können. Schade.