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Liebe und Ökonomie

Wie die Teile eines Mobiles drehen sich Serhij Zhadans Figuren im Kreis, angetrieben weniger vom Wind des Wechsels der politischen Systeme als von der eigenen kriminellen Energie, von schnöder Geldgier - und vom unauslöschlichen Streben nach Glück.

Von Hartmut Kasper | 13.04.2010
    Ukraine, Jetztzeit. "Wer echte Verzweifelung kennt, wird mich verstehen", sagt der namenslose Ich-Erzähler dieser Sammlung novellenförmiger Geschichten. Die Sammlung heißt, man weiß nicht recht warum, "Hymne der demokratischen Jugend".

    Thema der Geschichten:

    "Liebe und Ökonomie, Business und Leidenschaft in ihren absurdesten Erscheinungsformen. Wie viele junge Seelen sind verloren, weil sie keinen Business-Plan erstellen konnten, wie viele Herzen hat die Privatisierungspolitik zerrissen.

    Und dann erzählt er, dieser namenlose Erzähler, einige Geschichten, die er immer nur vom Hörensagen kennen will, Geschichten, durch die die immer gleichen Figuren vagabundieren. Von diesen Figuren tritt mal die eine, dann die andere in den Vordergrund und versucht auf ihre Weise, Business und Leidenschaft zu verbinden, ihr Glück in Liebe und Ökonomie zu finden.
    Ich denke, wir verraten nicht zu viel, wenn wir verraten: dass sie allesamt scheitern werden. Aber wie sie scheitern, und wie Zhadan von ihrem Scheitern erzählt, das hat Stil und wächst zu einem verzweifelt-lachlustigen Lamento zusammen, das in seinen besten Passagen an Zhadans großen Landmann Nikolai Gogol erinnert.

    In der ersten Geschichte der Sammlung steigt der Held, ein gewisser San Sanytsch, ins Big Business ein. Sanytsch hat zuvor lange Jahre der Assoziation "Boxer für Gerechtigkeit" angehört, einer Leistungssportgruppe, die einem eher undefinierbaren Leistungssport nachging mit unerfreulich hoher Sterblichkeit in den Reihen der Aktiven. Irgendwie hat der ausgeübte Sport mit dem Verticken einheimischer Elektro- und Haushaltsgeräte in Polen zu tun.

    Sanytsch kennt einen gewissen Goga Bruchadse, Rigipshändler von Beruf und Tschetschenienveteran. Goga hat sich einen Sandwichladen gekauft, einen Imbiss mit Namen Butterbrot-Bar. Mit der Butterbrot-Bar möchte Goga sich einen Jugendtraum erfüllen: einen eigenen Klub besitzen, aus dem er, weil Besitzer, nicht jeder Nichtigkeit wegen herausgeworfen wird.

    Um die Butterbrot-Bar in einen mondänen Klub zu transformieren, braucht es erstens einen verlässlichen Kompagnon – eben Sanytsch -, zweitens eine zündende Geschäftsidee. Die Idee naht in Gestalt des Art-Direktors Slawik.
    Slawiks Referenzen überzeugen:

    "Ich bin seit zwanzig Jahren im Showbiz, ich habe das Charkiwer U2-Konzert organisiert." - "U2 hat ein Konzert in Charkiw gegeben?" – fiel ihm San Sanytsch ins Wort. – "Nein, sie haben es abgesagt", - erwiderte Slawik.

    Slawik als Mann von Welt weiß, wie die Dinge laufen, U2 hin oder her:

    "Man muss eine Marktlücke suchen, wenn ich mich verständlich ausdrücke. Und in diesem Business gibt es nur eine Marktlücke – den Schwulenklub. Was für einen Klub? – Schwulenklub, - das heißt einen Klub für Schwule. Diese Lücke will gefüllt werden."

    So wird die ehemalige Butterbrot-Bar als Schwulenklub wiedergeboren. Allerdings weigert sich die Zielgruppe beharrlich, den ihr zugedachten Klub zu frequentieren. Da hilft nichts: weder der Auftritt der Sängerin Raissa Solomonowna mit dem städtischen Zigeunerensemble noch das Engagement der Bokins, zweier Zirkusclowns, Vater Iwan und Sohn Petja, die sich nach dem Konkurs des Zirkusses gezwungenermaßen ihrer Solokarriere widmen:

    In Pharaonenkostümen betraten die Bokins die Bühne. Musik erklang. Die Spots flammten auf. Petja Bokin bog sich grazil zur Brücke. Iwan krächzte, und machte auch eine Brücke. Das Publikum applaudierte. Grischa Oschwanz, der schon betrunken gekommen war, sprang auf, konnte sich aber nicht halten und ging zusammen mit einem Kellner zu Boden.

    Wachleute greifen ein, großes Hallo, die Bühne geht zu Bruch, eine Schlägerei beginnt, verlagert sich in die Toilette, dann hört man, eine Explosion – Grischa Oschwanz, einer gegen alle, hatte eine Handgranate aus der Jackentasche geworfen. Die Kloschüssel zerbarst wie eine Walnuss.

    Als dann auch noch der Kassierer mit der Tageskasse verschwindet, muss man auch diesen Abend zu den misslungenen Versuchen zählen, den Schwulenklub zu einer nennenswerten Szenegröße zu befördern.

    Am Ende scheitert man auf der ganzen Linie, die Betreiber die Schwulenklubs und ihr Art Direktor wie auch alle anderen zwielichtig-bunten Gestalten, die diese Erzählungen bevölkern.

    Erzählungen, die Titel tragen wie "Inhaber des besten Schwulenklubs der Stadt", "Vierzig Waggons usbekischer Drogen", "Besonderheiten beim Schmuggel von inneren Organen" oder "Lass den Priester nur reden, das Lustigste kommt zum Schluss".

    Mit solchen Titeln ist der Miniaturkosmos der Erzählungen treffend umschrieben. Die Helden sind im osteuropäischen Neo-Kapitalismus gestrandete Existenzen, Gauner, Hochstapler und Huren mit rauer Schale, aber nicht unbedingt böswilligen Herzen.

    Der Autor Serhij Zhadan, 1974 im ostukrainischen Starobilsk geboren, zeichnet seine Figuren nie weich, sondern verleiht ihnen kantig-groteske Gestalt. Ihre Verzerrungen und Verrenkungen verdanken sie den ökonomischen Tumulten eines postsowjetischen Systems ebenso wie den eigenen Trieben. So ist man unterwegs: Richtung Polen, wo man auf einem Schnäppchenmarkt die Produkte der heimischen Elektroindustrie an den Mann bringen möchte, Richtung Italien, wo man sich eine Anstellung in einem seriösen Bordell erhofft, oder wo immer sonst man das Paradies glaubt oder wenigstens einen Ort, an dem es besser ist als hier.

    Man gerät aneinander, umschlingt einander, und ob daraus eine Umarmung aus Liebe wird oder ein Ringkampf auf Leben und Tod, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich.

    Die einen steigen, wenn die anderen fallen und ihr Aufstieg und Fall hängen zusammen wie die Teile eines Mobiles. Und wie die Teile eines Mobiles drehen sich Zhadans Figuren bei aller Bewegtheit im Kreis, angetrieben weniger vom viel besungenen Wind des Wechsels der politischen Systeme als von der eigenen kriminellen Energie, von zeitlos-schnöder Geldgier und vom – wie es scheint – unauslöschlichen Streben nach Glück.
    Sie drehen sich, und das kann gar nicht genug gelobt werden, zum großen Vergnügen der Leser.

    Serhij Zhadan: "Hymne der demokratischen Jugend"
    185 Seiten, Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2009
    Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr, EUR 19,80