Dirk Knipphals: "Der Wellenreiter"

Wie wird einer zum Schriftsteller?

Buchcover Dirk Knipphals: "Der Wellenreiter"
Dirk Knipphals ist Literaturkritiker bei der "taz", nun hat er seinen ersten Roman veröffentlicht. © Rowohlt / imago/Reichwein
Von Carsten Hueck · 24.08.2018
Westdeutschland, irgendwann in den 70ern: Der 15-jährige Albert quält sich durch den spießigen Alltag. Ablenkung findet er durch Tolstoi, Mann oder Kafka. Das Debüt von Literaturkritiker Dirk Knipphals ist ein Roman über das Erwachsenwerden durch Literatur.
Fritz J. Raddatz hat es getan, Volker Hage, Hellmuth Karasek, Martina Zöllner, Ijoma Mangold – gerne schreiben Literaturkritiker neben ihrer journalistischen Arbeit auch mal einen Roman. Die einen werden dann große Schriftsteller, Theodor Fontane oder Mark Twain zum Beispiel, vielleicht auch Christian Kracht, die anderen setzen sich weiter dafür ein, der Literatur im Ganzen zur Wirklichkeit zu verhelfen. Wie Dirk Knipphals, seit nahezu 20 Jahren Literaturredakteur der "tageszeitung".

Uwe Johnson statt "Robinson Crusoe"

Er hat seinen Debütroman "Der Wellenreiter" veröffentlicht. Den Einband aber ziert die Abbildung eines Bonanzarads – Kultobjekt für jene, die wie Knipphals in den frühen 1960er-Jahren geboren sind. Seine Geschichte spielt Ende der 1970er-Jahre inmitten einer Vorortsiedlung, irgendwo in der Nähe der norddeutschen Küste. Es gibt einen Schreibwarenladen im Ort, viele Berufspendler, Rasenmäher und gepflegte Hecken. In der Schule unterrichten Weltkriegsteilnehmer, doch der eine oder andere 68er – Cordhose, Wildlederschuhe, Renault 4 – ist schon als Deutschlehrer ins Kollegium vorgedrungen.
Albert, der Held der Geschichte, wird Berti genannt. Seine Eltern heißen Heinrich und Bärbel, auch sie sind Lehrer. Albert ist gerade 15 geworden. Während Freund Martin schon auf ein Profirennrad umgestiegen ist, quält sich Albert noch auf dem Bananensattel den Berg hinauf. Literarisch aber bevorzugt er S-Klasse: die Jugendausgabe von "Robinson Crusoe" kommt in den Keller, stattdessen liest er Tolstoi, Thomas Mann, Kafka und Uwe Johnson. Und macht sich so seine Gedanken. Über die Zeit, seine Umwelt, das Leben und die Bücher.

Befreiung durch Literatur

Dirk Knipphals' Roman handelt vom Erwachsenwerden in der Provinz und der Befreiung durch Literatur. Vom muffigen, ereignislosen Alltag bundesrepublikanischer Prägung und vom Erwachen durch Kunst, von Selbstzweifeln, zaghafter Rebellion und kühnen Träumen. Albert ist anders als die anderen, doch kein Sonderling. Er verpatzt eine Biologiearbeit, weil er die Blutkörperchen miteinander reden lässt. Bei seinen Klassenkameraden kommt das gut an und er bekennt sich von nun an dazu, Schriftsteller werden zu wollen.
Katrin, die Tochter des Schreibwarenhändlers, nennt ihn Al und zupft "Greensleeves" auf der Gitarre für ihn. Lange Spaziergänge und Gespräche über Literatur schließen sich an. Albert ist verliebt. Aber Katrin fängt erst etwas mit seinem Freund Martin, dem Wellenreiter, an, dann kommt ein Aussteiger aus Berlin zurück in die Vorortsiedlung, und sie ahnt, dass dieser ihre Zukunft sein könnte. Bevor sie mit ihm noch vor dem Abi nach Berlin verschwindet, wird gekifft, gesoffen und Iggy Pop gehört. Der liebeskranke Albert emanzipiert sich von seinen pubertären Sehnsüchten und schreibt fleißig. Am Ende gar lässt ihn Knipphals mit Max Frisch, Günter Grass und Uwe Johnson zusammentreffen – für den angehenden Jungschriftsteller ein Kick wie für den Surfer eine traumhafte Welle.

Wenig Wellenreiten, viel Strampeln

"Der Wellenreiter" ist eine Coming of Age-Geschichte. Wie wird einer zum Schriftsteller? Oder zum Journalisten? Das ließe sich mit einem weiteren Roman trefflich weiter verfolgen. Dirk Knipphals vermittelt auf gut 300 Seiten erst einmal viel von der Begeisterung für Literatur. Milieuschilderungen und Zeitkolorit hingegen spielen mit Klischees. Die Figuren sind liebevoll gezeichnet, doch dem Protagonisten nimmt man nicht immer seine Reflexionen ab: Durch den angehenden Autor Albert spricht doch recht laut der Redakteur Knipphals. Von Eleganz und Freiheit eines Wellenreiters ist dabei wenig zu spüren. Umso mehr vom Strampeln auf dem Bonanzarad.

Dirk Knipphals: "Der Wellenreiter"
Rowohlt Verlag, Reinbek 2018
346 Seiten, 22 Euro