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Liebesgedichte und Nichtmehrliebesgedichte

Versammelt in diesem Band sind 40 Gedichte, die, so Rezensent Oliver Seppelfricke, nicht der Hohen Form zuzuordnen sind. Doch in den Nichtmehrliebesgedichten, die sich hier finden, " kann das häufig vorkommende lyrische Ich sogar sprachlos werden vor Liebe".

Eine Besprechung von Oliver Seppelfricke | 16.02.2009
    Schon immer haben die Liebeslyriker die Ferne zur geliebten Heimat, zu einer vergangenen Zeit oder zur geliebten Person besungen. Der 1980 in Bern geborene Jürg Halter macht das in seinem Band "Nichts, das mich hält" etwas anders: Bei ihm entsteht aus der Sehnsucht heraus keine Gewissheit, keine Vorfreude, kein Herzklopfen, allenfalls bloß schale Melancholie:

    Die Liebe gehört niemandem

    Sag nicht, dass du an mich denkst, indem du mich
    vergißt.
    Sag nicht, du seist da für mich, indem du es nicht bist.
    Sag jetzt nichts.
    Du trägst ein Gesicht, um es zu verlieren.
    Was weiß ich.

    Alles könnte anders sein, doch ist alles so, wie es ist.
    Sag jetzt nichts.
    Du bist nicht alles für mich, bist viel weniger:
    Alles, was nicht mehr ist.
    Und was ich bin, das bleibt zu wenig für dich.

    Sag jetzt nichts. Ich wasche mein Gesicht,
    sehe in den Spiegel und sage: Nichts.
    Zerschlage ihn:
    Die Liebe gehört niemandem.
    Was weißt du, was weiß ich.


    Die Liebesgedichte oder vielmehr die Nichtmehrliebesgedichte des Schweizer Lyrikers Jürg Halter gehören zu den stärksten im Band "Nicht, das mich hält". In ihnen kann das häufig vorkommende lyrische Ich sogar sprachlos werden vor Liebe:

    Wo es hinführt

    Wo es hinführt, an die Liebe zu glauben und an Gott
    bloß zu zweifeln,
    müde zu werden vom Warten auf der hohen Kante,

    Schwächer zu werden, nicht schlafen zu wollen;
    Liebe ohne Gegenliebe – ein halbes Leben in Gedanken.

    Der Blick aus einem an die Wand gesprühten Fenster,
    ein stetes, leichtes Wippen mit dem Fuß.

    Die Suche nach immer neuen Bildern für etwas,
    das in Worte letztlich nicht zu fassen ist.

    Was es auch sei, ich glaube, ich bin ihm auf der Spur
    und
    wie Millionen andere Suchende doch sprachlos davor.


    Alle 40 der in diesem Band versammelten Gedichte ließen sich ohne Umstände der Alltags- und Sprechlyrik zuordnen. Die Hohe Form ist des Autors Sache nicht, der Reim kommt in seinen Prosagedichten nie vor, und manchmal erzählt ein Gedicht bloß eine Geschichte. Aber immerhin mit Pointe!
    Ansonsten kann man über diesen zweiten Band des Lyrikers und Lyrikperformers Jürg Halter nicht viel Gutes sagen. Das inflationär vorkommende lyrische Ich kommt sich regelmäßig abhanden, es spaltet sich auf in ein ungeliebtes Selbst, manchmal entsteht es erst durch den Leser und am besten sind die Gedichte noch dort, wo sie den Dunstkreis dieses klagenden und mutlos reflektierenden lyrischen Ichs endlich einmal verlassen:

    Gott betrachtet seine Hand

    Zwischen Zeige- und Mittelfinger, wo
    das Abendland einnickt und erwacht,
    leben die Menschen ängstlich
    zur Selbstdarstellung verdammt.

    Sie fliegen hoch und höher über den Wolken,
    tauchen tief und tiefer in die Meere.
    Auch sich selbst laufen sie ein Leben lang nach,
    sich alle Möglichkeiten offenzuhalten.

    Bis er sie doch wieder zu sich holt.
    Sein Gestirn liegt in Falten.
    Gott betrachtet seine Hand –
    ein unruhiger Geist bewohnt sie.


    Hier gelingt es einmal, den in den Gedichten allgegenwärtigen Weltschmerz, in dem das lyrische Ich sich beseelt, einmal beiseite zu lassen, und doch von der Verlassenheit und Ausgesetztheit des Menschen eindringlich zu reden. Ansonsten bleibt, wie im Abschlussgedicht, nur die allgemeine Rat- und Rastlosigkeit – und das ist dann doch auf Dauer zu wenig!

    Jürg Halter: Nichts, das mich hält. Ammann, 56 Seiten, Euro 15,90