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"Lieblingsplatten Live"
Ein Festival feiert das Album

Platte auflegen und ein Album vom ersten bis zum letzten Ton durchhören - in Zeiten von Streaming scheint das anachronistisch. Das "zakk" in Düsseldorf widmet dem Format deshalb ein ganzes Festival.

Von Ina Plodroch | 10.12.2016
    Die deutsche Rockband "Fehlfarben" mit ihrem Frontmann Peter Hein bei einem Auftritt. Auch sie tritt beim "Lieblingsplatte" Festival auf.
    Die deutsche Rockband "Fehlfarben" mit ihrem Frontmann Peter Hein bei einem Auftritt. Auch sie tritt beim "Lieblingsplatte" Festival auf. (imago / momentphoto / Killig)
    Die Band Fehlfarben probt in Düsseldorf, ihrer alten Heimat, in der heute keiner von ihnen mehr lebt.
    "Nochmal, Schneider hat verkackt. Dass ich das noch erleben darf."
    Und dass die Fans das noch erleben dürfen: 36 Jahre nach der Veröffentlichung von "Monarchie und Alltag" spielen die Herren das Album von vorne bis hinten live auf der Bühne des Düsseldorfer zakk. Das haben sie noch nie gemacht.
    Peter Hein, Sänger der Band: "Wir haben wahrscheinlich alle Stücke mal gespielt, wenn ich mich recht erinnere. Aber nie jetzt den Ganzen so in der Reihenfolge. Logisch. Warum auch?"
    Autorin: "Aber warum nicht?
    Hein: "Ja, weil dann kann ich mir auch eine Platte auflegen Zuhause, das ist einfacher."
    Michael Kemner: "Das war ja auch nicht unsere Idee, die ist an uns heran getragen worden."
    Von Miguel Passarge, dem künstlerischen Leiter des zakk in Düsseldorf.
    "Die Idee waberte schon lange im zakk und in meinem Kopf."
    Ausdrucksmittel der Popmusik
    Bands spielen ein komplettes Album auf der Bühne. Von Anfang bis Ende.
    "Ich bin eben ein Fan von dem Format Album, Musiker sind offensichtlich auch ein Fan des Formats Album, weil das eben die künstlerische Form ist, mit der man sich am besten ausdrücken kann. Was in der Klassik eine Sinfonie oder ein Konzert ist, ist in der Popmusik ein Album."
    Diesem Format widmet Miguel Passarge die Veranstaltung "Lieblingsplatte", ein Festival, das einem in sich geschlossenen Album gleicht: Denn Bühne wechseln, weiter skippen wie auf anderen Festivals geht nicht. Jeden Abend spielt nur eine Band. Also durchhören und dabei in deutscher Musikgeschichte schwelgen.
    "Michael Rother ist das erste Album."
    "Flammende Herzen" heißt das erste Soloalbum vom Gitarristen des Krautrock Duos Neu! aus dem Jahr 1977, als sich Alben noch in großer Stückzahl verkauften.
    "Dieses Album hat damals 150.000 Einheiten verkauft. Was heute unvorstellbar wäre, heute wäre das eine Nummer 1 in den deutschen Charts. Damals war es keine, weil eben noch viel mehr Alben verkauft wurden."
    Album nur noch ein Nischenprodukt?
    Obwohl nur fünf Titel mit sieben bis neun Songminuten auf "Flammende Herzen" gepresst wurden. Ganz anders als ein Hip Hop-Album von ASD oder Torch mit fast 20 Titeln und kurzen Stücken zwischen den einzelnen Songs. Sie werden auch auf dem Lieblingsplatte-Festival auftreten.
    "Wenn man nur vom Rock kommt und dann so ein Hip Hop-Album hört, dann denkt man auch: Was ein Quatsch, mit diesen Interludes, die dann extra humorig sein sollen. Das ist eine ganz eigene Ästhetik."
    Die Passarge auf dem Festival hervorheben will. Aber ist das Album als künstlerisches Format nicht hoffnungslos anachronistisch? Denn trotz allem Vinyl-Hype der letzten Jahre, ist die Lieblingsplatte im Vergleich zur Chill-Out-Playlist beim Streaming-Dienst des Vertrauens ein Nischenprodukt. Und der DJ und Produzent Felix Jaehn beispielsweise tourt durch die Welt, auch ohne jemals ein Album veröffentlicht zu haben.
    "In den 80er hieß es: Wir brauchen keine Alben mehr, wir brauchen Singles. In den 90ern hieß es: Rock und diese ganze Alben, das ist von gestern. Wir müssen Raves machen. Und dann kommt das Streaming."
    Kurt Dahlke von den Fehlfarben: "Das Musikformat an sich hat sich ja verändert durch das Streaming. Dass heute viel mehr Playlisten gehört werden als ganze Alben, das finde ich ein bisschen schade."
    "Ich habe in meinem Leben noch keine Playlist gehört. Ich fange damit auch nicht an."
    Betont Peter Hein und Bandkollege Kurt Dahlke bekräftigt:
    "Es ist so: Für den Künstler ist das Album immer noch wichtig. Weil er möchte natürlich mehr sagen als nur einen Song. Insofern sind wir altmodisch."
    Kein Ende in Sicht
    Genau wie fast alle Musiker, Bands, Produzenten – denn die meisten veröffentlichen schließlich mal mit mehr, mal mit weniger Spektakel: ein Album. Und auch Max Müller, der mit Berliner Band Mutter, das Album "Hauptsache Musik" spielen wird, meint:
    "Es gibt ja dieses, man kann die Sachen ja einzeln runter laden, es wird rausgesucht: Ich nehme jetzt nur noch das Lied, oder das. Oder was ich am besten finde. Das hat sich halt verändert. Aber für uns hat sich eigentlich nichts verändert, weil wir machen ja immer noch ein Album."
    Selbst wenn Kanye West ein Fortsetzungsalbum ankündigt, ist es ja doch noch ein Album. Und wenn Erlend Øye davon spricht, dass das Album keine Zukunft mehr hat, erzählte er das während der Promo-Tour zu seinem letzten Album. Es gäbe also Musiker, die möglicherweise darauf verzichten würden und eine zeitgemäßere Form suchen würden, um Musik zu veröffentlichen. Aber einfach nur Singles.
    Hein: "Das bringt ja nichts, da gibste nur Kohle aus. Ja aber das verkaufst du ja nicht. Das bringt ja nichts, da gibst du ja nur Kohle aus. Du musst ja ein Produkt haben, sonst hast du keine Gigs. Und hast du keine Gigs, kriegst du kein Produkt. Das ist ja ein Teufelskreis."
    Album veröffentlichen, Musikpresse berichtet, auf Tour gehen und das bisschen Geld, was es noch zu holen gibt, für das nächste Album mitnehmen. Das Album ist so tot wie schon in den 80ern. Ein Ende ist also nicht in Sicht. Seit die Vinyl-Verkäufe im Minimalbereich wieder steigen und kleine Festivals die Lieblingsplatte loben, erst recht nicht.