Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Lieder aus dem Frankreich des 15. Jahrhunderts

Das ostdeutschen Label "raumklang" hat zwei neue CDs produziert. Unter dem Titel "Le Jardin de Plaisance", "Garten des Vergnügens" veröffentlichte das Ensemble "La Morra" unter der Leitung des Lautenisten Michał Gondko und der Flötistin Corina Marti Lieder aus französischen Handschriften des späten 15. Jahrhunderts.

Von Christiane Lehnigk | 30.11.2003
    Dies ist die erste CD der neuen Edition "schola cantorum basiliensis", einer Koproduktionsreihe, in der junge Musiker und Ensembles vorgestellt werden, die ihre Ausbildung an der renommierten "Schola Cantorum" in Basel erhalten haben. Dabei stehen Programme im Mittelpunkt, die sich abseits des üblichen Repertoires der Alten Musik bewegen. "La Morra" ist ein Ensemble, das sich auf die Musik des späten Mittelalters spezialisiert hat. Es wurde 1998 gegründet und nähert sich den unterschiedlichen Klangwelten dieser Zeit mit Hilfe der neuesten musikwissenschaftlichen Forschung ebenso wie der nötigen kreativen Umsetzung, wie sie bei dieser Musik und der oft unsicheren Quellenlage unabdingbar ist.

    Das Ensemble, dessen Name sich auf ein Werk des Komponisten Heinrich Isaac bezieht, tritt in unterschiedlicher Zusammensetzung auf, auf dieser CD sind es Rosa Dominguez und Raphael Boulay – Gesang, Viva Biancaluna Biffi – Fidel, Corina Marti und Luis Beduschi – Flöten, Marie Bournisien – Harfe sowie Michał Gondko – Laute.
    Ihr Debüt hatte "La Morra" vor drei Jahren bei der "Young Artist Presentation" in Antwerpen und ist seitdem zu Gast bei renommierten Festivals wie zum Beispiel dem "Festival van Vlaanderen".

    - Musikbeispiel: Johannes Tinctoris/Alexander Agricola: "Tout a par moy"

    Sie hörten das Ensemble "La Morra" mit instrumentalen Adaptionen des Chansons
    "Tout a par moy" von Johannes Tinctoris und Alexander Agricola.

    Aufgrund zumeist fehlender Informationen und einer oft nur rudimentären Quellenlage bleibt die Liedkunst des 15. Jahrhunderts, so der Leiter des Ensembles Michał Gondko, nach wie vor ein Experiment. Die Musiker entschieden sich bei diesem Repertoire für die vokal-instrumentale Ausführung der meisten Lieder, in denen eine Singstimme für die Vermittlung des Textes zuständig ist. Andere Stücke sind in einer rein instrumentalen Ausführung zu hören, eine Praxis, die den Spielleuten und Amateurmusikern des 15. Jahrhunderts selbstverständlicher gewesen sein dürfte, als heute angenommen wird. Dabei geht "La Morra" auf eine sehr behutsame Weise mit den Vorlagen um und beweist eine große Stilsicherheit.

    Gedruckte Sammlungen spätmittelalterlicher französischer Dichtkunst erschienen noch bis ins 16. Jahrhundert hinein. Als die umfangreichste gilt dabei "Le jardin de plaisance et fleur de rhetoricque" von Antoine Verard, die 1501 in Paris veröffentlicht wurde und mehr als 672 Gedichte enthält, von denen eine Vielzahl in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts vertont wurden.

    Die vorliegende Aufnahme konzentriert sich auf dieses hoch entwickelte Liedrepertoire, dessen größter Teil in den 1460er und -70er Jahren in mehreren eng miteinander verwandten Handschriften niedergeschrieben wurde. Entgegen früherer Expertenmeinung stammen diese kleinformatigen, oft reich illuminierten Lied-Anthologien nicht aus Burgund sondern wohl eher aus der königlichen französischen Domäne des Loire-Tals. Diese "Loiretal-Liederbücher" scheinen die hoch entwickelte Kultur weltlicher Musik aus dem Umfeld des Königshauses von Bourbon in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts widerzuspiegeln.

    Von 1460-65 waren zwei der fruchtbarsten Liedkomponisten des späten 15. Jahrhunderts im Pays de Loire tätig: Johannes Ockeghem, "premier chappellain" und Hofmann König Charles' VII. von Bourbon, bekleidete das ehrenhafte Amt des Schatzmeisters an der Stiftskirche St. Martin in Tours. Ebenfalls dort als Sänger angestellt war Antoine de Busne, genannt Busnoys, der mit einer großen Anzahl von Liedern vertreten ist. Ockeghem und Busnoys gehören zu den bemerkenswertesten und angesehensten Komponisten ihrer Zeit und schufen in der Nachfolge von Binchois eine völlig neue musikalische Sprache.

    Aber die Sammlung enthält auch unbekanntere, nicht weniger interessante, vielleicht lokale Meister wie: Barbignant oder Delahaye.

    Hören Sie hier die Bergerette "Ja que lui ne s'i attende" von Busnoys, in der , so Gondko, geradezu experimentell, kurze melodische Motive in "minimalistischer" Weise innerhalb eines Geflechtes von drei sich stark unterscheidenden Stimmen verwendet werden. Im Text heißt es zu Beginn: "Auch wenn er es nicht erwartet,/weil alle anderen Herzen schon gebrochen sind,/liebe ich ihn mehr als genug/so dass es alle wahrnehmen sollen.
    Es singt Rosa Dominguez.

    - Musikbeispiel: Antoine Busnoys - "Ja que lui ne s'i attende"

    Die Einspielung des Ensembles "La Morra" mit Liedern aus französischen Handschriften des 15. Jahrhunderts ist die erste CD in der neuen Edition "schola cantorum basiliensis" der "edition raumklang". Junge Musiker, die eine gemeinsame Ausbildung an der Basler Hochschule verbindet, sollen hier vorgestellt werden, und dies allein bürgt schon für Qualität. In diesem Jahr feiert die Schola Cantorum, die von Paul Sacher gegründet wurde, ihr 70-jähriges Bestehen. Das Arbeitskonzept ist auch heute noch aktuell und diese Hochschule gehört weltweit mit zu den renommiertesten Ausbildungsstätten für Alte Musik. Das Arbeitsgebiet reicht vom frühen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert und durch die enge Zusammenarbeit von Musikern und Wissenschaftlern sind Forschung, praktische Ausbildung, Konzert und Publikationen vorbildlich eng miteinander verbunden.

    Das Engagement der "edition raumklang" ist recht vielseitig und so enthält der Katalog auch noch einige weitere Reihen wie z. B. "Sächsische Musiklandschaften im 16. und 17. Jahrhundert" oder Aufnahmen mit dem Dresdner Kammerchor. Das gesamte Spektrum reicht von Kompositionen der Hildegard von Bingen bis Johann Sebastian Bach, aber es gibt z.B. auch Einspielungen von Klavierwerken Frederic Chopíns auf dem Hammerflügel.

    Dabei ist der Name "raumklang" auch zugleich Programm, werden doch die Einspielungen ohne klangliche Nachbearbeitungen produziert und oft nur mit einem Mikrophon aufgenommen, um den Klang "im Raum" wirken zu lassen. Informative Texthefte ermöglichen dem Hörer ein besseres Verständnis der oft unbekannten Musik.


    Eine weitere neue Veröffentlichung widmet sich "Sweelinck, dem Organistenmacher". Diese Aufnahme soll aufzeigen, welch großen Einfluss der niederländische Komponist Jan Pieterszoon Sweelinck auf die Orgelmusik des 16. und 17. Jahrhunderts ausübte. So stehen neben zwei Werken Sweelincks vor allem dessen Schüler wie Heinrich Scheidemann, Melchior Schildt und Paul Siefert auf dem Programm. Gespielt werden diese Stücke von Léon Berben an der Orgel der Kirche St. Jacques zu Lüttich. Diese mitteltönige Orgel aus dem Jahre 1600 wurde im Stile des späten 16. Jahrhunderts und in Anlehnung an Sweelincks große Orgel in Amsterdam rekonstruiert. Jan Pieterzoon Sweelinck war nicht nur ein bedeutender Organist an der Oude Kerk in Amsterdam sondern auch ein Komponist, in dessen Werken der italienische, englische und spanische Einfluss erkennbar ist, - und das, obwohl Sweelinck selbst offensichtlich nie im Ausland gewesen ist.

    Viele Organisten reisten Anfang des 17. Jahrhunderts nicht nur aus den Niederlanden sondern auch aus Deutschland, Polen und Schweden nach Amsterdam, um bei dem berühmten Sweelinck zu studieren. Und da Sweelincks "Clavierwerke" weder im Autograph noch im Druck überliefert sind, haben wir es seinen Schülern zu verdanken, dass sich seine Werke in mehr oder weniger zuverlässigen Abschriften haben erhalten können.

    Der Organist und Cembalist Léon Berben, Jahrgang 1970, ist Schüler von Rienk Jiskoot, Bob van Asperen, Gustav Leonhardt und Ton Koopmann und fungiert seit März 2000 als versierter Cembalist bei Musica Antiqua Köln. Er spielt nun noch zum Abschluss Sweelincks Toccata Nr. 20 .

    - Musikbeispiel: Jan Pieterzoon Sweelinck - Toccata XX

    "Le Jardin de Plaisance"
    Ensemble: La Morra
    Label: edition raumklang
    Bestell-Nr.: schola cantorum basiliensis edition RK 2301

    "Jan Pieterszoon Sweelinck – Der Organistenmacher"
    Solist: Léon Berben, Orgel
    Label: edition raumklang
    Bestell-Nr.: schola cantorum basiliensis edition RK 2205
    Le Jardin de Plaisance
    Le Jardin de Plaisance (edition raumklang)
    Jan Pieterszoon Sweelinck – Der Organistenmacher
    Jan Pieterszoon Sweelinck – Der Organistenmacher (edition raumklang)