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Lily King: Euphoria
Von Liebe und Forschung

"Euphoria", der neue Roman von Lily King, beruht auf einer wahren Begebenheit im Leben von Margret Mead, der berühmten Ethnologin und Sexualforscherin. Gleichzeitig ist er aber weit mehr: Es ist eine Geschichte über Männer und Frauen, über Macht und Missbrauch, über Freundschaft und Liebe.

Von Sandra Hoffmann | 31.07.2015
    "Ich bin ganz zufällig auf diese Geschichte gestoßen, als ich gerade anfing, meinen dritten Roman zu schreiben - und keineswegs an einer weiteren Romanidee interessiert war. Ein Freund nahm mich mit zu einer Buchhandlung, die gerade zumachte, ich hatte das Gefühl, das ich etwas kaufen sollte, schaute mich also um, und das einzige, das mir in die Hand fiel, war eine Biografie von Margret Mead. Die schnappte ich mir, obwohl ich nicht glaubte, sie jemals zu lesen, kam nach Hause und fing sofort an, sie zu verschlingen. Es war unwiderstehlich, ich fand ihr Leben höchst spannend, aber ich dachte nicht im Traum daran, dass daraus ein Roman werden könnte. Aber dann las ich das Kapitel 12, ein sehr kurzes Kapitel, das nur eben die 5 Monate beschreibt, die ich später in gewisser Weise nachempfunden habe - aber bei mir wurde dann eben ein Roman daraus", erzählt Lily King, befragt danach, wie sie denn darauf gekommen sei, genau diese Liebes- und Forschungsgeschichte aus den Dreißigerjahren zu erzählen, die wir jetzt auch in ihrem Buch "Euphoria" auf Deutsch lesen können.
    Es ist bei der eher durchschnittlichen Zahl von 260 Seiten ein großer Roman, das sei vorausgeschickt, es ist ein Buch, das auf Arbeiten und der Biographie vor allem von Margret Mead, der berühmten Ethnologin und Sexualforscherin beruht, aber sich nicht daran festbeißt. Es ist eine Geschichte über Männer und Frauen, über Macht und Missbrauch, über Freundschaft und Liebe. Zuvorderst hat es einen sehr speziellen Stoff: Es erzählt von drei Ethnologen, in Neuguinea, die sich während ihres Aufenthalts in der Gegend des Stroms Sepik bei ihrer Arbeit mit den dort lebenden unterschiedlichen Eingeborenstämmen kennenlernen und näherkommen, und darüber, wie sich Menschen finden können.
    Lily King beschreibt es so: "Das geschieht alles Ende des Jahres 1933. Sie betreibt zusammen mit ihrem Mann Feldforschung in Papua Neuguinea, wo sie diesen Engländer treffen, Gregory Bateson, der einsam und verlassen ist. Als sie sich begegnen, fangen sie sofort Feuer, intellektuell, emotional und physisch. Margret Mead schreibt später in ihren Erinnerungen, dass sie sich 36 Stunden ohne Pause unterhalten hätten und sie sich sofort in ihn verliebt hätte. Es war sicher nicht einfach, das ausgerechnet in Neuguinea zu erleben, sie versuchten auch fünf Monate lang, ihre Liebe zu verbergen. Ich las dieses Kapitel fertig und dachte mir: Wow, was für eine Geschichte!"
    Eine erfolgreiche Frau an der Seite eines besitzhungrigen Mannes
    Ganz nebenbei will die gar nicht nebensächliche Tatsache erzählt werden, dass sowohl in der Wirklichkeit als auch in Lily Kings Roman Margret Meads Ehemann Fen in Neuguinea mit von der Partie war. Im Dreigespann setzen sich die Ethnologen intensiv über ihre Arbeit auseinander, geraten in diese begeisterte Stimmung, die der Titel des Romans benennt, vermessen anthropologische Methoden und wie es überhaupt möglich ist, sich zu Verstehen und sich zu Verständigen. Wie funktioniert Verbindung, wie Sprache, sei es auf der Zeichen-, der Körper- oder Schriftebene, und was kann sie anrichten. Und da sich viele Erkenntnisse im Roman auf einen historischen Stoff beziehen, fragt man sich natürlich in welchem Verhältnis Wirklichkeit und Fiktion in "Euphoria" zueinander stehen, und wie aus bloßer Recherche soviel Leben werden konnte.
    "Ich habe erst einmal sehr frei recherchiert und alle Entwicklungsmöglichkeiten offen gehalten. Wenn ich über Margret Mead und ihre Arbeit las oder die von Gregory Bateson, schrieb ich mir Details aus ihrem Leben auf, und daraus wurden schnell Szenen, ich hörte die beiden miteinander sprechen, und schon kam die Geschichte ins Laufen. Auf diese Weise haben sich von Anfang an Wahrheit und Erfindung ineinander verschränkt. Jetzt kann man es gar nicht mehr auseinanderhalten. Ich musste einfach ihre Geschichte erzählen, ich nannte diese Frau zuerst auch Margret Mead, wollte mich an die Fakten halten, aber das hielt ich gerade mal drei Seiten durch. Dann habe ich alle Namen geändert und spürte, dass der Roman längst seinen ganz eigenen Weg genommen hatte."
    Lily King schreibt den Roman aus zwei Perspektiven. Mit von Kapitel zu Kapitel wechselnden Stimmen erzählt einmal Nell Stone, die dabei ist, den Stamm der Tam zu erforschen: Eine Gemeinschaft, in der die Frauen entschieden mehr Macht und Einfluss haben als die Männer. Nell lebt als unkonventionelle, emphatische und in der Öffentlichkeit und Forschung bereits erfolgreiche Frau an der Seite ihres macht- und besitzhungrigen Ehemannes Fen in einem Haus inmitten des Stammes. Und erst spät erfährt Bankson, der Erzähler der anderen Kapitel, der bereits weitaus länger ganz in der Nähe am Sepik-Fluss forscht, von den despotischen Zügen des Mannes, Fen, der ihm auch zu einem nahen Menschen geworden ist. Aus diesen beiden Erzählperspektiven, die mitunter fiktive persönliche Aufzeichnungen sind, entwickelt sich facettenreich, bildhaft und von großer Menschenkenntnis durchdrungen ein berührend lebendiges und spannendes Kammerspiel im noch weitgehend unerforschten, zuweilen auch durchaus bedrohlich erscheinenden Dschungel im Papua-Neuguinea der 1930 Jahre. Am Ende ist die erzählte Geschichte jene des heimlich liebenden und schließlich Liebhabers Bankson geworden.
    Roman erzählt auch über das Schreiben von Büchern
    "Das war erst einmal ganz unbewusst, ich habe es nicht vorausgesehen. Als ich das zweite Kapitel schrieb, glaubte ich noch, dass ich diese Geschichte aus Nells Sicht erzählen wollte. Aber ich musste natürlich wissen, was Bankson dachte, bevor er die beiden traf, er war der Schlüssel. Deshalb beschloss ich einfach, mich auch in ihn hineinzudenken, und als ich dort war, in seinem Kopf, und ihn schrieb, fühlte sich das sehr gut an. Alles öffnete sich. Plötzlich war in ganz unerwarteter Weise alles möglich geworden."
    Nicht zuletzt ist "Euphoria" ein Roman geworden, der ganz beiläufig über das Schreiben von Büchern erzählt. Wer liest sie, und wie erfolgreich ist man damit? Wie werden Stoffe erzählt und wie besprochen? Es geht um Wahrheiten und um Erkenntnisse, um Erfolg und Misserfolg. Und es geht um die Möglichkeit des Missbrauchs von Texten und von wissenschaftlichen Theorien. In einem großen für alle drei Forscher (und für den Leser) sehr aufregenden Diskurs über Menschen, entwickeln Nell, Fen und Bankson in tage-und nächtelanger Arbeit "The Grid", ein Schema zur Beschreibung von Menschen, das Bankson schließlich als wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht: "Es war wohl so eine Art Typologie der Persönlichkeiten, sie sortierten Charaktere nach Arten und Ordnungen. Viel später, während des Zweiten Weltkriegs, haben die Nazis das in einer Weise benutzt, die sie nie vorausgesehen hatten. Das war außerordentlich schmerzhaft für Bankson und hatte nichts mit seinen Haltungen zu tun. So etwas kann leider passieren, dass sich die besten Absichten ins Gegenteil verkehren. Das Werk ist immer in der Hand des Lesers. Das ist ein sehr aufregender Gedanke, es kann aber auch ziemlich beunruhigend sein."
    Lily King, "Euphoria", Übersetzung Sabine Roth, Roman, C.H. Beck, 262 Seiten, 19,95 Euro