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"LiMo" am Neckar

Das neu eröffnete Literaturmuseum der Moderne in Marbach präsentiert die Sammlung des Deutschen Literaturarchivs zum 20. und 21. Jahrhundert, in dem ganze 1100 Nachlässe zu finden sind. Die Dauerausstellung Marbach umfasst 1400 Exponate, künftige Wechselausstellungen sind geplant.

Michael Köhler im Gespräch mit Christian Gampert | 06.06.2006
    Michael Köhler: Die Erhebung der Herzen durch deutsche Verse in vaterländischen Dramen wie der Hermannsschlacht von Heinrich von Kleist ist aufgeklärteren Zeiten gewichen und doch erfüllen Museen auch für moderne Literatur ein bisschen nationale Aufgaben. Sie konstituieren, was zuvor nur eine Ahnung war, ein Erbe, eine Tradition. Sie verbinden, was herumlag. Vor allem aber sichern sie, sie bewahren, machen öffentlich. Museumsbestand ist die Sammlung des Deutschen Literaturarchivs zum 20. und 21. Jahrhundert, darunter ganze 1100 Nachlässe. Die Dauerausstellung in Marbach umfasst 1400 Exponate und zudem sind Wechselausstellungen geplant. In den nächsten Minuten, gegen 18 Uhr etwa, eröffnet Bundespräsident Horst Köhler die Ausstellung. Frage an Kollegen Christian Gampert, wir haben hier schon über die Architektur gesprochen, über unterirdische Räume und Tropenhölzer, wie präsentiert sich denn jetzt das Museum der Moderne?

    Christian Gampert: Es gibt einen großen holzgetäfelten Hauptraum, wo die ständige Ausstellung aufgebaut ist, und zwar in einer Unmenge von schrankhohen Vitrinen. Man kommt also in diesen Raum rein und ist quasi geblendet von Glas. Das hat etwas kirchliches, sakrales, aber vielleicht aber auch hermetisch Eisiges. Es ist sehr kühl und es ist ein bisschen so, als ob man da auch niederknien könnte. Und in der Tat ist es so, wenn man in die Knie geht, kann man in diesen Vitrinen eben diese Manuskripte eben auch von der Unterseite betrachten. Und dort kommt zum Teil Erstaunliches zutage. Zum Beispiel sehen wir ein Metroticket von Paul Celan aus den 60er Jahren, wenn wir in die Knie gehen und die andere Seite betrachten sieht man, dass Günter Grass dort seine Adresse hinterlassen hat, als er nach Berlin umzog. Diese Glaskästen sind in vier Straßen angeordnet. In der ersten Straße sieht man Manuskripte, darunter Kafkas "Prozess", man kann die erste Seite lesen "Irgendjemand musste Josef K. verläumdet haben", verläumdet mit ä, schrieb man damals offenbar so, wunderbar zu sehen, dass das irgendwie auf einem ganz normalen Papier, in dieser alten Schrift geschrieben ist. Dann gibt es eine Straße mit Briefen, wo also auch die Beziehungen zwischen Literaten etwas durchschaubarer werden. Und natürlich mag man sich fragen, was hat jetzt das Taufkleid von Thomas Mann oder Kästners Aktentasche da zu suchen, sind das nicht Kuriosa? Vielleicht schon. Aber, wenn man weiß, dass Kästner immer im Café geschrieben hat, und eben wie ein mittlerer Angestellter da mit der Aktentasche auftauchte, dann sagt es uns vielleicht doch was.

    Köhler: Ich greife mal das Bild von den Straßen auf, dann ist der Besucher eine Art Verkehrsteilnehmer vielleicht. Nun lebt ja eine Ausstellung von den Exponaten und ihrer Inszenierung. Sie haben einiges schon geschildert, also Handschriften und Lebenszeichen. Wie wirken die auf Sie, denn letztlich ist es ja totes Material?

    Gampert: Ja, die große Frage ist, kann man Literatur ausstellen? Und bei Besichtigung dieser Ausstellung muss man sagen: Ja, man kann. Natürlich kann das das Lesen nicht ersetzen, aber es kann einen Zugang liefern. Wir haben ja ein ganzes Jahrhundert zu bewältigen, man setzt ein mit Fontane und Nietzsche und man endet mit der Totenmaske von Heiner Müller und dem Lesexemplar des Don Quichotte von Peter Handke. Und im Laufe dieses Jahrhunderts, da kann man sich quasi an seinen eigenen Leserlebnissen entlang tasten. Und man kann sehen, dass meinetwegen WG Sebald ganz minutiös seine Sachen in Aktenordnern oder Kästen ablegte, man kann aber natürlich auch zu den Lebenszeugnissen gehen und da irgendwelche Kuriosa anschauen, welche Pillen Karl Wolfskehl nahm, zum Beispiel, oder dass Kurt Tucholsky ein großer Kuchenesser war, der immer im Café Kranzler Kuchen holte.

    Köhler: Herr Gampert, ich will ja nicht skeptisch klingen, aber das klingt so ein bisschen nach Studienratsmuseum, für wen ist das gemacht eigentlich am Ende?

    Gampert: Also, die Studienräte werden da sicher sehr willkommen sein mitsamt ihren Sachulklassen. Ich glaube, dass das schon auch so ein Haken ist, der Leute an Literatur ranziehen soll. Bislang ist es ja so, dass das Deutsche Literaturarchiv, dessen Schaufenster dieses Museum ja sein will, eher ein Ort ist, wo sich die Spezialisten treffen. Und nun muss man sagen, Literatur als Reliquie ist eine angreifbare Sache. Was natürlich gar nicht aufstellbar ist, ist der Literaturbetrieb als solcher. Wir haben vorhin Peter Handke erwähnt und seinen Don Quichotte, da sind wir ja schon mitten im Thema, also der Streit, der jetzt um Handke entbrannt ist, das ist eben auch Literatur und das kommt dann natürlich nicht vor, das kann auch nicht vorkommen. Was aber sehr wohl vorkommt ist die Einsamkeit, in der Literatur produziert wird, das Leiden, die ökonomische Not, die in vielen Briefen auch durchscheint. Und wenn Schüler oder auch Studenten sich damit näher befassen, dann glaube ich, kann man nicht nur über Literatur, sondern auch über deren Produktionsbedingungen einiges lernen.

    Köhler: Und schließlich haben Sie noch erlebt, wie man Hunger und Durst nach Literatur auch stillen kann?

    Gampert: Ja, es gibt noch einen weiteren großen Raum, wo der Literaturautomat des Hans Magnus Enzensberger ausgestellt ist. Und dort kann man auf einen Knopf drücken und innerhalb von zweieinhalb Minuten rechnet dieser Automat einem dann ein neues Gedicht aus. Und das Gedicht, das aufschien auf dem Display, als ich dort war ist Folgendes: "Überflüssige Melancholie unter der Hirnrinde. Dieser staubige Todeswunsch nach der Heirat und diese zweideutigen Ohnmachten, das kennt man. Übrigens gelingt uns einfach zu viel. Stattdessen schnell noch rasende Geräusche insgeheim absahnen." Also abzusahnen gibt es eine Menge in diesem Museum und ich denke, dieses Gedicht ist auch nicht viel schlechter als die Produktion der deutschen Gegenwartslyrik.

    Köhler: Staub der Moderne. Geradezu euphorisch, Christian Gampert über das Literaturmuseum der Moderne in Marbach war das.