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Lindner: Ich bin kein Verlegenheitskandidat

Laut Beschluss der rot-grünen Landesregierung finden die Neuwahlen in NRW am 13. Mai statt, dem letztmöglichen Termin innerhalb der 60-Tage-Frist. Für die FDP wird Ex-Generalsekretär Christian Lindner in den Wahlkampf ziehen. Die Wahl sei richtungsweisend für die Zukunft seiner Partei, sagte Lindner.

Christian Lindner im Gespräch mit Jürgen Liminski | 16.03.2012
    Jürgen Liminski: Die FDP hat ihren früheren Bundesgeneralsekretär Christian Lindner gestern Abend auf den Schild gehoben. Er ist nun Spitzenkandidat der FDP bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, soll auch Vorsitzender in diesem Landesverband werden. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Lindner.

    Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Liminski. Ich grüße Sie.

    Liminski: Herr Lindner, mit vollem Engagement wollen Sie in den Wahlkampf ziehen, heißt es. Es wäre eine Titelzeile wert gewesen, wenn Sie das nicht gewollt hätten. Aber Engagement und Programm sind zweierlei. Was sind die programmatischen Schwerpunkte für den Wahlkampf?

    Lindner: Hier in Nordrhein-Westfalen geht es ja erstens um eine Richtungsentscheidung. Das hat sich ja in den letzten Beratungen des Landtags auch angedeutet. Zentral ist die Frage, nehmen wir die Entschuldung des Staates ernst, nehmen wir wirklich jetzt Konsequenzen vor, aus der Staatsschuldenkrise in Europa. Hier hat sich die Minderheitsregierung verweigert, hat keine klare Perspektive in Richtung auf Entschuldung eingeschlagen, die wir gefordert haben, und wir waren hier dann konsequent. Es gibt bildungspolitische Fragen, beispielsweise den Erhalt des Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen, weil das eine erfolgreiche Schulform ist.

    Zum Zweiten aber geht es in Nordrhein-Westfalen noch auf einer höheren Ebene um etwas, nämlich darum, dass es weiter in den deutschen Parlamenten eine Stimme der Freiheit gibt, eine konsequent liberale Partei. Es geht also hier um die FDP. Das ist für uns eine ganz entscheidende Wahl, und in diese Machtauseinandersetzung gehe ich mit vollem Engagement rein, weil ich zutiefst davon überzeugt bin. Ob man jetzt im Einzelnen immer das teilt, was die FDP sagt, eine solche Partei braucht es als Gegengewicht zu den anderen.

    Liminski: Ihre Partei krebst bei zwei Prozent herum, das ist hart an der Wahrnehmungsgrenze. Weshalb soll der Wähler FDP wählen, was ist das Alleinstellungsmerkmal Ihrer Partei?

    Lindner: Ich mache mir keine Illusionen über die Lage. Es ist ja auch nur wenig Zeit bis zur Wahl. Aber die Ernsthaftigkeit und Konzentration, mit der wir die Aufgabe jetzt angehen, das ist ja zugleich auch ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass die FDP wieder Unterstützung verdient, dass wir dabei sind, die FDP auch neu aufzustellen. Und ich habe gerade gesagt, die FDP ist eine Partei der Freiheit. Denken Sie bitte an die Kritik, die an Joachim Gauck geübt worden ist. Da hieß es, Herr Gauck stünde ja nur für den Wert der Freiheit, nur für den Wert der Freiheit, und das zeigt, dass wir in Deutschland dazu neigen, wenn es uns gut geht, den Wert der Freiheit zu gering zu schätzen, und dann braucht es eine politische Kraft, die im Zweifel für die Privatheit ist, im Zweifel für geordnete Märkte, aber eben solche, wo nicht der Staat das Kommando gibt, sondern die Initiative von Unternehmen und die Entscheidungen der Konsumenten die Richtung bestimmen. Eine solche Partei, also für soziale Marktwirtschaft, Rechtstaatlichkeit, eine tolerante Gesellschaft, braucht es, die hat Tradition in Deutschland und wir werden hier zeigen, sie hat auch Zukunft in Deutschland. Dafür treten wir an, dafür kämpfen wir jetzt die nächsten 60 Tage.

    Liminski: Das gilt natürlich auch für den Bund und nicht nur für die Wahl in Nordrhein-Westfalen.

    Lindner: Selbstverständlich! Aber man muss doch sehen, da eine Wahl im größten Bundesland, insbesondere jetzt auch in der Abfolge der drei Wahlen, dass das eine besondere Signalwirkung hat, und deshalb habe ich mich auch persönlich entschieden, hier in Nordrhein-Westfalen Verantwortung zu übernehmen. Es hat am gestrigen Tag wirklich sehr, sehr viele E-Mails, Briefe, Anrufe, SMS gegeben, nicht nur jetzt von Führungskräften der FDP, sondern insbesondere von ganz einfachen Überzeugungstätern vor Ort, also den Leuten, die Ihre Hörer so in der Fußgängerzone immer sehen mit den Flugblättern, die mir geschrieben und gesagt haben, mit dir gemeinsam wollen wir das hier wuppen, dann gehen wir auf die Straße und kämpfen dafür, dass die FDP hier parlamentarisch bleibt, und dem konnte und wollte ich mich nicht entziehen und deshalb gehe ich jetzt mit vollem Elan, mit allem was ich kann hier in diesen Landtagswahlkampf.

    Liminski: Sie sind jetzt also der Hoffnungsträger der Partei in Nordrhein-Westfalen, aber auch Mitglied des Bundestages. Werden Sie, falls die FDP in den Landtag einzieht, das Bundestagsmandat aufgeben?

    Lindner: Jetzt stellen Sie schon wieder so Fragen für den Tag danach. Ich werde – deshalb habe ich ja auch den Landesvorsitz übernommen; das ist auch ein politisches Signal, wie ernst wir es nehmen -, ich werde in jedem Fall für das Land Nordrhein-Westfalen und auch für meinen FDP-Landesverband in jedem Fall weiter Verantwortung übernehmen. Das ist kein Projekt für kurze Zeit, sondern es ist auf länger angelegt, dessen können Sie sicher sein.

    Liminski: Das kann man auch als Überraschung bezeichnen, dass Sie den Landesvorsitz der FDP übernehmen. War das eine Bedingung für die Spitzenkandidatur?

    Lindner: Ja! Aber wir haben dort eine Teamlösung gefunden. Ich bin Daniel Bahr, der den Landesverband ja in einer schwierigen Zeit übernommen hat, sehr dankbar, dass er den Verband so gut geführt hat und jetzt auch entschieden hat, mit uns gemeinsam, mit Gerhard Papke, dem Fraktionsvorsitzenden, und mir, dass wir die Ernsthaftigkeit unserer Kandidatur, unserer gemeinsamen Bemühungen jetzt auch dadurch unterstreichen müssen, dass ich die Augenhöhe bekomme zu den Kandidatinnen und Kandidaten unserer Wettbewerber. Das ist für mich eine Bedingung gewesen, weil ich nicht ein Verlegenheitskandidat bin, sondern ich gehe hier mit Macht rein und will die FDP geschlossen in diesen Wahlkampf führen, aber eben auch als Nummer eins des Landesverbands, der Landespartei.

    Liminski: Welche Rolle spielte denn der Bundesvorsitzende bei Ihrer Nominierung?

    Lindner: Philipp Rösler war am gestrigen Abend da. Zu dem Zeitpunkt, als er gesagt hat, dass er nach Düsseldorf kommt, hatten wir letzte Entscheidungen noch gar nicht getroffen. Er hat an den Beratungen teilgenommen und war ein willkommener Gast.

    Liminski: Wären Sie denn bereit zu einer Ampelkoalition, wenn es für Rot-Grün nicht reicht?

    Lindner: Na, Herr Liminski, es liegen ja überhaupt noch keine Programme vor, weder unseres, aber auch nicht die unserer politischen Mitbewerber. Wir haben ja in den vergangenen zwei Jahren gezeigt im Landtag, dass wir bereit sind zu konstruktiven Gesprächen. Zum Beispiel hat die FDP ermöglicht, dass es einen Stärkungspakt für die Kommunalfinanzen gibt – es ist ja ein großes Problem, dass öffentliche Infrastruktur vor Ort nicht erhalten werden kann, weil die Kommunalfinanzen nicht in der Balance sind -, da haben wir geholfen. Aber wir haben uns verweigert, als es etwa darum ging, jetzt in Nordrhein-Westfalen eine Gemeinschaftsschule einzurichten in der Perspektive der nächsten Jahre. Darauf läuft ja der sogenannte Schulkonsens hinaus, das erfolgreiche Gymnasium abzuschaffen. Das heißt, wir haben fallweise entschieden, und genauso müsste man es jetzt auch in der Zukunft machen, an der Basis der Programme sehen, wo kann man eine gute Politik für Nordrhein-Westfalen erreichen. Im Bund arbeiten wir gut mit der CDU zusammen, im Land werden wir sehen, inwieweit es programmatische Gemeinsamkeiten auch mit anderen geben kann.

    Liminski: Also mehr Sachpolitik, weniger Parteipolitik?

    Lindner: Ist das nicht ein Zeichen der Zeit? Ich habe den Eindruck, dass viele Leute ein wenig angenervt sind davon, dass im politischen Betrieb immer so mit kleinem Karo gearbeitet wird, immer der kleine parteitaktische Vorteil gesucht wird. Jetzt geht es mal darum, was wirklich wichtig ist. In Nordrhein-Westfalen ist das, den Staat aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte zu befreien – nicht so, wie mein Vorredner Gregor Gysi gesagt hat, dadurch, dass wir Märkte abschaffen oder alles verstaatlichen, sondern dadurch, dass der Staat keine Schulden mehr aufnehmen muss - und zum Zweiten für beste Bildung sorgen. Das sind die Fragen, die jetzt hier den Menschen auf den Nägeln brennen, das sind wesentliche Zukunftsfragen, und da haben wir im Regierungshandeln in Düsseldorf 2005 bis 2010 und in unserem Regierungshandeln seit 2009 in Berlin gezeigt, dass wir es können. Jetzt müssen wir mit Ernsthaftigkeit zeigen, dass wir auch wieder politisch wähl- und unterstützbar sind, dass wir als Partei Konsequenzen gezogen haben, Konsequenzen ziehen wollen, die FDP neu aufstellen wollen nach für uns gewiss auch enttäuschenden Monaten.

    Liminski: Wie die FDP die Wende schaffen will – das war hier im Deutschlandfunk der Spitzenkandidat der FDP in Nordrhein-Westfalen, Christian Lindner. Besten Dank für das Gespräch, Herr Lindner.

    Lindner: Gerne, Herr Liminski. Auf bald!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.