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Linken-Parteitag
Kommt jetzt der Gyxit?

Vor dem Parteitag der Linken wird über die Zukunft des Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi spekuliert: Macht er weiter oder hört er auf? Verkündet Gysi auf dem Parteitag den "Gyxit", seinen Abschied aus der aktuellen Politik? Sein Stellvertreter Dietmar Bartsch verspricht vor allem eines: eine spannende Rede.

Von Wolf-Sören Treusch | 04.06.2015
    Der Linken-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi steht vor Stühlen im Thüringer Landtag in Erfurt.
    Der Linken-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi im Thüringer Landtag in Erfurt. (imago / Jan Huebner)
    "Als ich im Neuen Deutschland dazu ein Interview gegeben habe, dann am nächsten Tag der Kurier das aufgegriffen hat und den schönen Begriff Öffi-Flatrate kreiert hat …"
    Diskussionsveranstaltung im Bürgerbüro von Harald Wolf im Berliner Bezirk Lichtenberg. Wolf ist verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Am vergangenen Wochenende hat seine Partei beschlossen, für Berlin eine sogenannte Öffi-Flatrate zu fordern: Fahrscheinlose Nutzung von Bussen und Bahnen rund um die Uhr. 14 Bürger sind gekommen, um sich von ihrem Abgeordneten darüber informieren zu lassen. Der mögliche Abschied von Gregor Gysi aus der Politik ist erst hinterher Thema.
    "Ich erwarte, dass er sagt: Jawoll, ich bleibe, mit meinen, glaube ich, 67 ist er oder so ähnlich, dabei und mache den Parteivorsitzenden, aber, es kann auch anders sein."
    Die Frau, die sich später als Rosi aus Lichtenberg vorstellt, schätzt Gysis Arbeit sehr. Er sei derjenige, der den Laden zusammenhalte, die Identifikationsfigur der Linken. Zugegeben, Gregor schwächele ein wenig, sagt sie, aber Ausstieg aus der Politik? Das glaubt sie nicht.
    "Nee, nee, er ist schon auch ein bisschen eitel. Das wissen wir ja auch alle, er möchte das auch schon sein, er möchte: Die Seele möchte man schon streicheln wollen, und ich glaube, das passiert jetzt. Und dann wird alles gut."
    Harald Wolf dagegen hält sich bedeckt. Sieben Jahre Fraktionschef der Berliner PDS, neun Jahre Wirtschaftssenator: Er weiß, dass es im Vorfeld eines Parteitags am geschicktesten ist, sich um eine konkrete Antwort herumzudrücken. "Ja, weil ich jetzt auch keine personelle Spekulation machen will. Sie wissen so wenig wie ich, wie die Entscheidung von Gregor Gysi ausfällt, und ich respektiere es auch, dass es seine Entscheidung ist, nach alldem, was er für die Partei getan hat, ich weiß, wie aufreibend der Job ist."
    Bartsch noch zurückhaltend
    Ortswechsel: Regierungsviertel. Im ersten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses befindet sich das Bundestagsbüro von Dietmar Bartsch. Wenn einer weiß, was am Sonntag passiert, dann er, Gysis Stellvertreter in der Fraktionsspitze. "Ich arbeite mit Gregor Gysi, seit ich im Jahre 1990 Schatzmeister der PDS geworden bin, sehr eng zusammen, wir haben alle Höhen und Tiefen der PDS und der Linken gemeinsam durchschritten, durchlitten und gefeiert, und da, glaube ich, gehört es mit dazu, dass man dann auch weiß, was die Kernaussagen einer solchen Rede sein werden."
    Und: Wie schaut er also aus, der "Gyxit", das persönliche Ausstiegsszenario von Gregor Gysi? "Ein Gyxit, das sind ja wunderbare Wortkreationen, ich weiß mehr, aber auch Ihnen werde ich das nicht verraten." Dietmar Bartsch schmunzelt. Immerhin bestätigt er, dass seine eigenen Ambitionen, einer der beiden Nachfolger Gysis zu werden, durch dessen Rede einen Schub bekommen könnten. "Eines ist doch ganz klar: Wird Gregor Gysi im Herbst antreten, werden wir keine Doppelspitze haben. Dafür gibt es keine Mehrheit in der Fraktion. Tritt er nicht an, werden wir eine Doppelspitze haben. Diese Fakten liegen auf der Hand. Und seien Sie in einem sicher: Wenn es eine Wahl im Herbst gibt, werde ich sicherlich auch kandidieren."
    Und würde damit dem Wunsch seines Mentors nachkommen. Wenn es nach Gregor Gysi geht, sollen Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht seine Nachfolger als Fraktionsvorsitzende werden - wenn er denn irgendwann mal tatsächlich aufhört. Nur: Wagenknecht hat zur allgemeinen Verwirrung im März erklärt, sie habe gar kein Interesse mehr an dem Amt.
    Bis zum Sonntag kann man sich noch gedulden
    Im ersten Stock der Parteizentrale der Bundes-Linken ist der Berliner Landesverband beheimatet. Auf der Vorstandssitzung am Dienstag habe die politische Zukunft Gysis keine Rolle gespielt, erzählt Landeschef Klaus Lederer. Er kann mit den Gerüchten um Gysis möglichen Abgang gut leben. "Und ich kann sogar sehr gut nachvollziehen, dass er sagt: 'Das teile ich als allererstes der Partei mit'. Der Ort, an dem sich die Partei trifft, ist eben so ein Parteitag. Insofern, dass jetzt ganz viele an ihm rumzuppeln, dass jetzt ganz viele spekulieren und dass jetzt ganz viele ganz schnell wissen wollen, was jetzt wird, dafür habe ich wenig Verständnis, bis zum Sonntag kann man sich nun wirklich noch gedulden."
    Aus der Bundestagsfraktion war zuletzt zu hören, Gregor Gysi lasse Dinge, die ihm früher wichtig waren, schleifen, er habe nicht mehr den nötigen Biss. Das seien eindeutige Hinweise darauf, Gysi wolle sich nun aus dem Tagesgeschäft der parlamentarischen Arbeit zurückziehen. Berlins Landesgeschäftsführerin Katina Schubert widerspricht. "Wenn er hier bei uns auftritt, ist er aufmerksam, konzentriert, und sehr auf die Sache orientiert, dass ihm der Biss fehlt, oder dass ihm das Engagement oder die Lust fehlt, das kann ich nicht bestätigen, ist mir auch so nicht präsent."
    Vor dem Linken-Parteitag in Bielefeld ist klar: Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen werden es schwer haben, Aufmerksamkeit zu erzielen. Es zählt einzig und allein Gysis Botschaft. Vielleicht wird es ein fulminantes Adieu, vielleicht aber auch nur ein "Weiter so". Dietmar Bartsch rührt schon mal die Werbetrommel. "Kommen Sie am Sonntag hin, es wird wirklich eine spannende Rede sein, es wird eine herausragende Rede sein, und sie wird sicherlich die Linke wie auch immer ein Stück weit prägen."