Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Linkin Park
Ein Weltrekord und ein Todesfall

Der Sommerhit "Despacito" wurde bislang über 4,5 Milliarden Mal gestreamt, und der Sommer ist noch nicht zuende. Die Band Linkin Park feiert Welterfolge, doch gestern kam die Nachricht, dass Sänger Chester Bennington gestorben ist. Die Musikmeldungen der Woche.

Jenni Zylka im Gespräch mit Thekla Jahn | 21.07.2017
    Sänger Chester Bennington auf einem Konzert in Prag am 11. Juni 2017. Bennington war am 20.7.2017 in seinem Haus in Kalifornien tot aufgefunden worden.
    Sänger Chester Bennington auf einem Konzert in Prag am 11. Juni 2017. Bennington war am 20.7.2017 in seinem Haus in Kalifornien tot aufgefunden worden. (dpa / CTK / Ondrej Deml)
    Thekla Jahn: Wie die Sommergrippe, so ereilt uns mit schöner Regelmäßigkeit auch der Sommerhit. Aber in diesem Jahr sprengt der globale Sommerhit alle bisherigen Rekordmarken. "Despacito", der Song von Sänger Luis Fonsi und Rapper Daddy Yankee wurde schon im Winter digital veröffentlicht, millionenfach geteilt, gelikt, gecovert, landete in über 20 Ländern auf Platz eins der Charts, wurde in einer weiteren Version gemeinsam mit Justin Bieber veröffentlicht – und nun hat er die Schallgrenze überschritten. "Despacito" ist der am häufigsten gestreamte Song aller Zeiten. Fast viereinhalb Milliarden Mal. Und wer ihn noch nicht kennt, der kann jetzt hineinhören.
    "Despacito erfüllt leider die Merkmale eines Sommerhits"
    Die beiden Puertoricaner Luis Fonsi und Daddy Yankee können zufrieden sein – sie haben den weltweit am meisten gestreamten Song geschrieben. Noch dazu landete der Sommerhit in den Billboard-Charts, was übrigens das letzte Mal 1996 dem Sommerhit "Macarena" gelang. Aus Berlin zugeschaltet ist uns die Musikjournalistin Jenni Zylka. Was macht "Despacito", diese eher einfach gestrickte Latin-Pop-Nummer zum besonderen, zum absolut besonderen Sommerhit?
    Jenni Zylka: Also ich möchte mal sagen, der erfüllt leider die Merkmale für das, was allgemeinhin als Sommerhit bezeichnet wird. Und "Despacito" ist Reggaeton, das ist dieser typische Rhythmusmix aus Latin- und Raggae-Beat, also Damtata-Damtatata. Und das erinnert die Leute – zusammen mit den entsprechenden Videos – an Urlaub am sonnigen Strand; und dann tanzen mit schönen Mädchen in Bikinis, also Ferien. Diese ganzen Klischees bedient so ein Song – oder sollte so ein Song bedienen.
    Und dazu darf dann ein Sommerhit nicht allzu schwierig sein. Also eher simpel geschrieben von der Harmoniefolge her. Das stimmt bei "Despacito" ebenfalls. Und die Rhythmen sollten auf jeden Fall auch nicht so kompliziert und auch gut zu remixen sein, und all das passt sehr gut zu "Despacito".
    "Doppelter Boost"
    Jahn: Welche Rolle hat denn das World Wide Web gespielt für den enormen Erfolg von "Despacito"? Man muss sich ja vorstellen: 4,5 Milliarden Mal – das heißt also, mehr als die Hälfte der Menschheit, wenn jeder einmal anklicken würde, hätte diesen Song schon gehört. Also welche Rolle spielt das Netz?
    Zylka: Eine sehr große! Radios sind ja nunmal leider Gottes nicht mehr die Haupt-Influencer, sondern das ist das Netz und seine Tricks. Und in dem Fall gab es ja sogar einen doppelten Boost, durch diese zweite Einspielung mit Justin Bieber, die auch noch die ganzen "Belieber" - also die Bieber-Fans, die nennen sich ja "Belieber" – eingefangen hat. Also von verschiedenen Seiten anzugreifen sozusagen, dann doch Air-Play, also über Radio, im Netz überall – ja, und dann klappt das halt ganz gut.
    "Ich will, dass Du meinem Mund deine Lieblingsstellen zeigst"
    Jahn: Wir haben den Song gespielt. In Malaysia darf der Song nicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gespielt werden. Er ist verboten, weil der spanische Text pornografisch und obszön sei. Der Song – das muss man erläuternd dazu sagen – ist allerdings ein, ja, ein eher unspektakulärer Love-Song. Einzig bei einer Passage wird es ein bisschen fleischlicher, da heißt es: "Ich will, dass du meinem Mund deine Lieblingsstellen zeigst, lass mich deine gefährlichen Zonen überschreiten, bis du schreist und deinen Nachnamen vergisst. Vorsichtig und langsam werden wir es an einem Strand in Puerto Rico machen." Wenn man jetzt bedenkt, dass die Musiker Daddy Yankee und Luis Fonsi aus Lateinamerika kommen und dort die Songtexte fast immer sexuell aufgeladen sind – und das meist deutlich machistischer und aggressiver – dann kann das Verbot ausgerechnet dieses Songs doch eher nur verwundern, oder?
    Zylka: Absolut. Also das ist eher dolle romantisch, würde ich mal sagen. Also das ist tatsächlich … Normalerweise stimmt das. Die Vorwürfe in Bezug auf Reggaeton und Sexismus, sind auf jeden Fall, stimmen auf jeden Fall. Da gibt es jede Menge Songs, die ganz grob menschen- beziehungsweise frauenverachtend und sexistisch sind oder sexuelle Gewalt verherrlichen. Aber bei dem Song ist es tatsächlich einfach nur relativ harmlos.
    Chester Bennington während eines Konzerts von Linkin Park 2015.
    Chester Bennington: "Wir wollten als Band Genre-Grenzen schmelzen" (ITAR-TASS, Vyacheslav Prokofyev, dpa)
    Jahn: Ganz anderes Thema – eine tragische Meldung aus der Musikwelt. Chester Bennington, der Sänger US-amerikanischen Rock- und Crossover-Band "Linkin Park" wurde gestern tot in seinem Haus in der Nähe von Los Angeles aufgefunden. Der 41-Jährige hat vermutlich Selbstmord begangen. Die Band "Linkin Park" ist mit sechs Nummer-eins-Alben in den USA enorm erfolgreich. In den sozialen Medien ist "Linkin Park" ohne Konkurrenz – 57 Millionen Menschen haben die Facebook-Seite der Musiker abonniert. Worin liegt ihr Geheimnis?
    Zylka: Na, die haben erst mal schon früh die Vermarktungschance Internet gesehen und auch genutzt – und ganz schlau genutzt. Also haben da sehr viel gemacht, haben auch ein Spiel rausgebracht, also sie hatten da nie Angst vor, wie vielleicht andere Bands. Die Band gibt es ja auch schon seit über 20 Jahren – da haben andere Bands noch ganz anders dazu gestanden. Und musikmäßig haben die sich einfach immer das Beste aus allem rausgesucht: Die haben diesen Crossover aus Hardrock und Hip-Hop gemacht, zwar auch nicht zum ersten Mal, aber das ist ja so eine ganz klare, in der Highschool-Szene angesiedelte Geschichte, Musik, die so ein bisschen so eine Mischung ist aus Aggressivität und Rebellion und Romantik und so Spaß. Und das passt alles ganz zu diesen Jugendlichen, zu einem bestimmten Mainstream und zu einer bestimmten Lebensart. Und zu diesem Ganzen, wie er das selber gesehen hat, dieses ganze Crossover, dazu gibt es auch einen Interview-Ausschnitt von Bennington, aus einem Gespräch mit dem Radiosender Z100.
    "A band that kind of melts the walls of genre"
    Und da erklärt er: "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir als Band Genre-Grenzen schmelzen und so was Eigenes schaffen wollen".
    Ich finde jetzt nicht, dass der Sound unbedingt so eigen ist. Aber, wie gesagt, der trifft den Geschmack von vielen und tut dabei keinem weh. Und das meine ich gar nicht so böse, das ist sozusagen sehr gut verkäuflicher Highschool-Mainstream.
    "I'm about to break"
    Jahn: Was weiß man denn jetzt über den verstorbenen Sänger der Band, Chester Bennington?
    Zylka: So viel eigentlich nicht. Der hatte ja vorher bei "Sunrise" und bei den "Stone Temple Pilots", die kennen vielleicht einige, gesungen. Dass er Depressionen hat, wegen Missbrauch in seiner Jugend oder als Kind, das hat er schon öfter - öffentlich auch - erzählt. Also da hat er schon öfter auch zu kämpfen gehabt, auch Alkohol- und Drogenmissbrauch. Und wenn man jetzt die Songs von Chester Bennington mal ernst nimmt: Da ist das Thema, auch wenn es vielleicht ein bisschen deutlich und ein bisschen gekünstelt ist, aber schon immer drin. Es gibt Songs, da singt er "I'm about to break" oder "Numb", wo es darum geht, sich betäuben zu wollen. Und man darf auch wirklich nicht vergessen, dass der Druck auf solche Frontleute wie den, also so einen Sänger, der da vorne steht und immer mit voller Emotion alles rausschreien muss - auch wenn uns das vielleicht gekünstelt vorkommt - der Druck ist enorm hoch.
    "Man muss abwarten"
    Jahn: Der Druck ist hoch. Und der Sänger fehlt jetzt der Band "Linkin Park". Wird die Band weitermachen können wie bis jetzt?
    Zylka: Das ist halt eine gute Frage. Weil es gibt ja bei "Linkin Park" dieses Konzept dieser zwei Sänger – also neben Bennington gibt es ja auch noch Mike Shinoda, der für die Rap-Parts zuständig ist. Also theoretisch könnten sie sich einfach einen neuen Sänger suchen. Die Band hat darüber noch nichts gesagt – die sind wahrscheinlich auch erst mal geschockt – und da muss man jetzt abwarten.
    Jahn: Ich danke Ihnen ganz herzlich. Das war die Musikjournalistin Jenni Zylka zu den Musikmeldungen der Woche.