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Schule
Keine Zeit für Debatten

Demokratie lebt von der politischen Debatte. Gerade junge Menschen sollten das üben, meint der Leipziger Theologe Christian Wolff. Und hat einen Gesprächs-Workshop für Jugendliche gegründet. Denn in der Schule würde über aktuelle Themen wie die AfD und die Flüchtlingskrise viel zu wenig gesprochen, kritisiert Wolff.

Von Alexandra Gerlach | 15.03.2016
    Die schmalen Tagungstische im Veranstaltungsraum der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung stehen im Carré, die Teilnehmer sitzen sich gegenüber, jeder kann jedem ins Gesicht schauen. Zehn Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren sind der Einladung des ehemaligen Thomaskirchenpfarrers gefolgt. Es ist ein Experiment, sagt Christian Wolff, der sich bewusst dafür entschieden hat, diese Debatten-Übung nicht im kirchlichen Raum stattfinden zu lassen:
    "Das Ziel ist es, den Streit, den Diskurs einzuüben, zu praktizieren, unterschiedliche Meinungen auszusprechen, auch zu ertragen und gleichzeitig aber auch dadurch auch teilzunehmen, teilnehmen zu können an der demokratischen Gestaltung der Gesellschaft."
    Die Jugendlichen haben die Themensetzung bei dieser Premiere selbst übernommen, wie Schüler Tim Wildermuth erläutert:
    "Bevor wir überhaupt angefangen haben zu diskutieren, haben wir verschiedene Themen, die uns momentan beschäftigen, aufgeschrieben und dann geguckt, wo ist das größte Interesse, wo wollen wir vielleicht anfangen zu diskutieren und dann noch zu anderen Themen übergehen."
    Aktuelle Themen zur Auswahl
    Eine große Pinnwand an der Stirnseite des Raumes nimmt die Vorschläge auf. Jedes Thema erhält einen eigenen Zettel. Das Spektrum reicht von Fragen nach der Zukunft Europas über den Euro bis hin zu der Frage, warum man in einer Demokratie zur Wahl gehen sollte. Die Mehrheit der jungen Leute entscheidet sich an diesem Nachmittag für das Thema "AfD und Rechtsruck in der Gesellschaft". Ein Zettel lautet: "Wann wird Rechts rechtsextrem?" Apfelsaft und Wasser stehen bereit, die Diskussion ist schnell in vollem Gange.
    Eine Schülerin: "Ich denke das Problem mit der AFD ist auch, dass sie den Rassismus wieder so salonfähig gemacht haben, also dass jetzt quasi auf jeder Party, auf der man ist, dass das Menschen sein können, die ganz offen sagen, ja ich finde das gut, was die sagen, das finden ja auch Hundertausende andere Menschen, das ist ein Riesen-Problem, dass man darüber gar nicht mehr nachdenkt, was für menschenverachtende Gedanken man sich da ausgesucht hat, denen man zustimmt."
    Ein Schüler: "Wenn man sich anguckt, was eigentlich die Lehren daraus sein müssten, was wir vor 70 Jahren für Zustände in Deutschland hatten, kann es ja definitiv nicht in der Konsequenz bedeuten, dass man jetzt wieder anfängt, Menschen auszuschließen aufgrund ihrer Herkunft und das dann auch noch öffentlich kundzutun und dabei auch noch zu denken, dass man absolut im Recht ist."
    Während die Jugendlichen sich rege melden, schaut Pfarrer Wolff in die Runde, ordnet die Wortmeldungen und hört konzentriert zu . Hin und wieder nutzt er die Gelegenheit, um die Diskussion weiter zuzuspitzen:
    "Was haltet Ihr von folgender Einschätzung, dass die Flüchtlingsfrage nur der Auslöser war, aber nicht die Ursache für die AfD?"
    Einige Schüler nicken, einer von ihnen, der Abiturient Friedemann Schmidt ergreift das Wort:
    "Ja, vielleicht, hinzu kommt noch, dass natürlich die Leute generell dem Wandel ziemlich "fremdlich" gegenüber stehen und man hat jetzt die Flüchtlingskrise, wo viele neue Menschen kommen, man hat die neue Sache mit dem Terrorismus, wo die Leute einfach Angst haben."
    "Mit Lehrern gibt es nur selten einen Diskurs"
    Diskussionsleiter Wolff will wissen, wie das Thema Flüchtlingskrise in den Schulen diskutiert wird. Die Bilanz fällt ernüchternd aus:
    Ein Schüler: "Ich würde behaupten, teilnahmslos bis ignorant, also es gibt kaum Meinungsäußerungen, wenn dann tatsächlich relativ extrem, kaum einer traut sich, seine Meinung zu sagen, mit Lehrern gib es nur selten einen Diskurs."
    Eine Schülerin: "Dann langweilt sich meist der Rest der Klasse, und die beteiligen sich dann auch nicht dran. Wir haben kein Problem mit Zuhören sondern wirklich ein Problem damit, sich selbst einzubringen, ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie selbst sich ihrer Meinung nicht sicher sind, oder keine Lust haben oder nach Hause wollen…"
    Grund für die Malaise der Diskussionskultur seien übervolle Lehrpläne, die keine Zeit für Debatten ließen, sagen die Jugendlichen. Viele Lehrer hätten zudem Angst, sich politisch zu positionieren. Manche, vor allem ältere Lehrkräfte zögen sich auf den Standpunkt zurück, das habe man schon vor Jahren alles so kommen sehen.
    Nach gut 90 Minuten ist alles vorbei, die Premiere des Debatten-Workshops gelungen. Das Fazit von Friedemann Schmidt:
    "Also, mir hat es sehr gut gefallen, ich wurde von Tim eingeladen und es war wirklich sehr interessant, mit Jugendlichen in meinem Alter auf bestimmte politische Themen in der Diskussion einzugehen und die unterschiedlichen Meinungen mal zu hören und meine eigene Meinung zu verteidigen."
    Fortsetzung folgt. Am 18. April soll es wieder einen Debattier-Club in Leipzig geben. Anmeldungen politisch interessierter Jugendlicher sind ausdrücklich erwünscht.