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Linkspartei
Rechtsdrall der Linkswähler

Nicht wenige Linke-Wähler sind empfänglich für rechtspopulistische Politik. Eine Erklärung bietet die These, dass die Linke für viele ihrer Anhänger schon immer nur eine Protestpartei war. In den Punkten Arbeitsmarkt und Flüchtlingskrise trauen sie Rechtsparteien wie der AfD offenbar mehr zu.

Von Christoph Richter | 08.09.2016
    Ein Wahlplakat der Linke hängt an einem Zaun in Mecklenburg-Vorpommern, darauf der Slogan "Gleiche Chancen im ganzen Land"
    Mit Blick auf das Wahlergebnis hat es wenig genützt: "Gleiche Chancen im ganzen Land" - mit diesem Slogan warb die Linke in Mecklenburg-Vorpommern. (Deutschlandfunk / Silke Hasselmann)
    "Zum Kotzen ist das. Aber auch traurig." Nicht nur der 83jährige Kurt Dettmann ist geschockt. Auch viele andere der etwa 30 Gäste, die in die linke Bürogemeinschaft in die Anne-Frank-Straße in Stendal gekommen sind. Früher hat Guttmann mit seiner markanten Lederweste die SED, dann die PDS gewählt, jetzt die Linkspartei. Eigentlich wollte man feiern, dass Sachsen-Anhalts einstiger Linken-Spitzenkandidat Wulf Gallert in die Bürogemeinschaft mit einzieht, die sich in einem Stendaler Plattenbau befindet. Doch in den Gesichtern sieht man stumme Ratlosigkeit. Das Wahlergebnis in Mecklenburg Vorpommern hat alles verhagelt. Es ist für die Sozialisten in Sachsen-Anhalt wie ein Deja-Vu. Die Linken in Schwerin haben vergangenen Sonntag 5,2 Prozent verloren; sogar 7,4 hatten sie im März in Sachsen-Anhalt eingebüßt.
    "Also wir haben das Problem, dass diejenigen, deren Interessen wir vertreten, in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten muss man sagen, nicht ausreichend gespürt haben, dass ihre Interessen in der Politik eine Berücksichtigung fanden. Das ist leider ein Befund, den wir leider mal feststellen müssen."
    Der frühere Lehrer Wulf Gallert, immer noch eine Art Pop-Star der Linken in Sachsen-Anhalt, ist überfragt. Warum gerade ostdeutsche Linkswähler energisch mit dem Kopf nicken, wenn es gegen Flüchtlinge geht; warum sie klatschen, wenn Horst Seehofer, Thilo Sarrazin oder Wolfgang Bosbach die Flüchtlingspolitik Merkels harsch attackieren, Gallert versteht es nicht. Für den früheren PDS-Wahlkampf-Manager André Brie ist die Überraschung weniger groß. Ein Drittel der Linken-Wähler sympathisierten seit Ende der 1990er Jahre mit fremdenfeindlichen Sprüchen, sagte er zur Wochenzeitung "Der Freitag".
    Rechtsdrall der Linkswähler
    Politikwissenschaftler Tobias Jaeck vom Zentrum für Sozialforschung in Halle erklärt den Rechtsdrall der Linkswähler damit, dass die Linkspartei für viele von ihnen schon immer nur eine Protestpartei war. Lediglich 25 Prozent der Wähler der Linkspartei seien Stammwähler, der Rest seien – rechnet Parteienforscher Jaeck vor – Protestwähler.
    "Wenn wir uns angucken, was die aktuellen Probleme sind, da sagen die Leute zwei Sachen: Also die Arbeitsmarktsituation, das ist für sie wichtig, und die Flüchtlingskrise. Wenn wir uns dann die zugeschriebenen Lösungskompetenzen anschauen, sehen wir, dass sie der Linkspartei nichts zutrauen."
    Ein parteipolitisches Dilemma nennt das Parteienforscher Tobias Jaeck. Auflösen kann es Jaeck nicht. Auch in der Linkspartei hat niemand eine Antwort. Katerstimmung.
    "Man kann jetzt nicht die Losung ausgeben: weiter so."
    Sahra Wagenknecht, die Vize-Fraktionsvorsitzende im Bundestag.
    "Wir müssen unsere Ausstrahlung, unsere Positionierung, unsere Abgrenzung zu den anderen, das muss einfach geschärft werden. Wir dürfen nicht einen Wahlkampf machen, wo man uns für verwechselbar hält. Und man muss auch angriffslustig sein."
    Mehrfach ist Wagenknecht ihrerseits schon in der eigenen Partei mit Aussagen angeeckt, die ihr als rassistisch ausgelegt wurden. Etwa sprach sie nach der Kölner Silvesternacht von Gastrecht, das verwirkt sei. Ein Satz, der bei Parteimitgliedern immer noch für Unmut sorgt:
    "Nein, da ist kein Riss. Und ich glaube schon, dass bei vielen Menschen der Eindruck entstanden ist, die Linke, das sei die Partei, die womöglich noch mehr Menschen nach Deutschland holen würde, als es Frau Merkel schon gemacht hat. Und das ist einfach falsch. Es ist nicht links, viele Menschen hierher zu holen. Links heißt für mich zumindest, dass ich etwas dafür tue, in den Regionen, wo Menschen leben, dass sich dort Lebensverhältnisse verbessern."
    Tief sitzender Schmerz
    Ein tief sitzender Schmerz lähmt die Linke, kein Gegenmittel ist in Sicht. Die Magdeburger Landtagsabgeordnete Eva von Angern:
    "Es tut natürlich weh, was in Sachsen-Anhalt passiert ist, es tut weh, was in Mecklenburg-Vorpommern passiert ist."
    Ähnlich formuliert es die Stendaler Bundestagsabgeordnete Katrin Kunert:
    "Im Moment fühlt man sich einfach nur mies".
    Gregor Gysi und Berlins Spitzenkandidat Klaus Lederer haben vor wenigen Tagen in einem Gastbeitrag in der ehemaligen Hauspostille Neues Deutschland daran erinnert, dass die Gesellschaft durch die Linken gestaltbar sei, dass man die Hoffnung wieder auf die linke Seite holen müsse.
    Bis zu den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin in zehn Tagen wird es jedenfalls kein echtes Ringen um Antworten geben, das könnte den Wahlkampf nur stören.
    "Ich glaube, das ist Amputationsschmerz. Ich glaub ihnen wird erst jetzt langsam klar, was da passiert ist. Und wie sehr ihre Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft, in dieser Wahl eingeschränkt worden sind, also wie viel sie für die Zukunft verloren haben."
    Ein Erklärungsversuch des Politik-Psychologen Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal.
    "Wähler sind schwer zurückzugewinnen. Wenn die irgendwohin schwappen, dann ist das meistens ein Zeichen gebrochener Loyalität. Und die gehen dann aus Unsicherheit nicht einfach mal wieder zurück, sondern dann eher ins Nicht-Wählen, oder sie bleiben bei der neuen Partei."
    Die Sozialisten müssen sich wohl entscheiden, stimmen sie eher den asylkritischen Ton einer Sahra Wagenknecht an oder folgen sie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der für ein weltoffenes Deutschland eintritt, das auch wesentlich mehr Zuwanderung verträgt.
    So lange das aber nicht passiert, versucht man sich in Achselzucken und Trotz. Auch auf der Wahlkreisbüro-Party der Linkspartei in Stendal. Birke Bull – Landesvorsitzende der Linken in Sachsen-Anhalt - mimt die Berufsoptimistin.
    "Wofür es keine Gründe gibt liebe Genossinnen und Genossen, ist das, den Kopf in den Sand zu stecken. Zu resignieren. Ich zähl auf euch, wir zählen auf euch."