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Kongress in Berlin
Welche Alternativen gibt es zu Tierversuchen?

Jedes Jahr werden in Deutschland rund drei Millionen Tiere bei Tierversuchen eingesetzt. Gleichzeitig gibt es einen Trend zur Vermeidung solcher Versuche. In Berlin wird derzeit auf einem Kongress über Alternativen sowie ethische und rechtliche Probleme diskutiert.

Von Daniela Siebert | 05.04.2017
    Eine Maus in einem Forschungslabor in Prag
    Mäuse werden am häufigsten für Versuche verwendet. (Imago)
    Es gibt ganz klar positive Trends zur Vermeidung und Reduzierung von Tierversuchen. So hat die Bundesregierung beispielsweise 2015 das "Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren" ins Leben gerufen, das sich darum kümmert, alternative Methoden voran zu treiben. Weitere Ziele des Zentrums sind die zahlenmäßige Reduktion von Versuchstieren und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.
    In einigen, wenigen Bereichen wie der Toxikologie und der Kosmetikherstellung sind bereits Alternativen zu Tierversuchen zugelassen und in der Anwendung.
    Weitere tierfreie Prüfmethoden sind in der Entwicklung oder sogar schon fertig. Sie setzen häufig auf Zellkulturen oder Simulationen mithilfe von elektronischen Chips. Auch Monika Schäfer-Korting sucht als Professorin für Pharmakologie an der Freien Universität Berlin seit vielen Jahren nach Alternativen zum Tierversuch. Eine ihrer Lösungen lautet: selbst rekonstruierte Menschenhaut statt lebende Mäuse:
    "Wir machen es jetzt so, dass wir Haut-Reste von OP-Material, das andernfalls weggeworfen würde, bekommen, wir trennen es auf in die wichtigsten Zelltypen, die kultivieren wir, wir expandieren die in großer Menge und dann bauen wir uns die Haut wieder zusammen."
    40 Mäuse für einen Patienten
    Am Robert-Koch-Institut wird gerade nach alternativen Möglichkeiten der Botulismus-Diagnose geforscht. Eine lähmende Nerven-Erkrankung des Menschen, die durch kontaminierte Lebensmittel wie zum Beispiel Wurst ausgelöst werden kann. Für einen einzigen Patienten mit Verdacht auf Botulismus bekommen derzeit zur Diagnose-Sicherung 40 Mäuse ein Serum-Gemisch gespritzt, erklärt Daniel Stern vom Robert-Koch-Institut. Die neue Alternative ohne Tiere:
    "Wir bilden sozusagen Teile der Wirkung im Körper in einem künstlichen System ab. Es geht in Richtung immunologischer Nachweis, also Flüssigkeiten und Festphasen, es sind kleine Plastikkügelchen, an denen praktisch Moleküle immobilisiert werden, wir haben spezifische Antikörper dagegen hergestellt und weisen das dadurch nach."
    Praxistauglich könnte das in zwei bis drei Jahren werden, glaubt Daniel Stern.
    Alternativen zur Botox-Prüfung
    Auch das "Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren" hat nach anderthalb Jahren seiner Existenz schon Erfolge vorzuweisen. Etwa bei der Überprüfung von Botulinumtoxin als Arzneimittel. Die Substanz ist vor allem als Mittel zur vorübergehenden Faltenbeseitigung bekannt, von Hause aus ist es aber eigentlich ein Medikament gegen Krämpfe.
    "Botox wird jetzt zumindest von den zwei großen Firmen mithilfe einer Alternativmethode geprüft. Da haben wir jahrelang drauf hingewirkt und es ist insbesondere durch den Einsatz der Industrie gelungen, Alternativmethoden zu etablieren, die dazu führen, dass jetzt auch keine Tierversuche zur Chargentestung mehr eingesetzt werden," sagt der Toxikologe Gilbert Schönfelder, der Leiter des Zentrums. Auch mit mathematischen Modellen und Recherche in bereits publizierten Daten habe sein Haus schon Wege aufgezeigt, Versuchstiere einzusparen. Etwa durch die kritische Untersuchung einer bestimmten gängigen Methode namens "gene set enrichment". Ergebnis:
    "Dass man in bestimmten Bereichen auf bestimmte Tiermodelle wahrscheinlich verzichten kann, weil man aus verschiedenen Versuchen heraus ablesen kann, dass das eine oder andere Tiermodell tatsächlich nicht auf den Menschen übertragen lässt."
    Verschwinden werden Tierversuche nicht
    Außerdem erforscht das Zentrum, welche Haltungsbedingungen und Versuchskonstellationen den Tieren das Leben angenehmer machen. Das bedeutet zum Beispiel weniger Schmerzen für Mäuse im Rahmen von Experimenten.
    Das wird von Bedeutung bleiben, denn komplett verschwinden werden Tierversuchen wohl noch lange nicht - sagen selbst die wohlwollenden Experten.
    Das komplexe Zusammenspiel menschlicher Organe könne bislang noch keine Alternativmethode nachstellen bestätigt beispielsweise Gilbert Schönfelder.
    Im Bereich gentechnisch veränderter Versuchstiere steigt die Zahl derzeit noch aus einem anderen Grund steil an: CRISPR/Cas. Das ist eine neue, vergleichsweise einfache Methode der Genveränderung. Tilo Weber vom Tierschutzbund:
    "Es hieß zwar: Jetzt ist es einfacher, jetzt werden weniger Tiere dafür verwendet, aber das stimmt eigentlich nicht, weil eigentlich werden jetzt mehr Versuche gemacht, weil es einfacher ist."
    Rechtliche und ethische Probleme
    Ohnehin würden Tiere noch nicht ausreichend geschützt. Weil deutlich mehr Fördergelder in die Forschung mit Tieren flössen als in die ohne. Und weil in den Zulassungen von Tierversuchen ethische Aspekte vernachlässigt würden:
    "Versuchstiere werden leider immer noch größtenteils ignoriert von der wissenschaftlichen Community, es gibt zwar Ansätze, dass Tierversuche reduziert werden sollen, aber für viele ist das kein Thema mehr, nachdem das zwar vor dreißig Jahren ein großes Thema war, aber viele ignorieren das. Ich bin auch Biologe, ich habe das selbst im Studium nicht so mitbekommen, wie das eigentlich ein Thema sein sollte."
    Rechtliche und ethische Probleme sieht auch Monika Schäfer-Korting, vor allem weil Versuchstiere ja nicht selbstbestimmt einwilligen, in das was mit ihnen geschieht und auch keinen Nutzen daraus ziehen. Zum Vorteil des Menschen würden aber gerade in der Arzneimittelforschung besonders viele Tiere verbraucht.
    "Man wertet das Recht des Menschen höher als das Recht des Tieres."
    Eine Reduzierung der Tierversuche auf Null hält aber auch Monika Schäfer-Korting für unrealistisch. Die Professorin setzt sich aber dafür ein, zu verhindern, dass Substanzen an Tieren erprobt werden, die dann später doch nicht auf den Märkten eingeführt werden. Das geschehe sowohl bei Arzneimitteln als auch bei Nahrungsergänzungsmitteln durchaus häufig.