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Literarische Landluft

Zwei Jahre lang versuchte der Niederländer Gebrand Bakker einen Verlag für sein Romandebüt zu finden - vergebens. Schließlich gelang es ihm doch, und "Oben ist es still" wurde zum erfolgreichsten Debüt seit Jahren.

Von Volkmar Mühleis | 17.08.2009
    "Oben ist es still" ist ein karger Roman, und das beginnt bei der Sprache, denn gesprochen wird von den Protagonisten nicht viel: Da ist zunächst ein Bauer, der allein seinen alten Vater versorgt, ein Viehhändler, die Jungen vom Nachbarhof. Nicht selten enden ihre Gespräche mit einem sturen "darum". Dabei spielt die Geschichte in der Gegenwart, auch wenn diese unzeitgemäßer kaum sein kann, wie der Bauer zunehmend erfährt – von vorbeirudernden Touristen, die von der "Idylle hier" schwärmen, oder der städtischen Gemeinde, die das Land schon lange kaufen will, um den Touristen lieber einen Erlebnisbauernhof zu bieten, statt ein einsames Gehöft am Wegrand. Denn der Ort des Geschehens liegt keineswegs fern von jeder Stadt irgendwo in Friesland, sondern unweit von Amsterdam. Gerbrand Bakker meint zu dem kargen Ton seines Buchs:

    "Viele Leute glauben, mein Roman sei ein typisches Beispiel dafür, wie ein Text aus einer Überfülle von Seiten zusammengekürzt worden ist, um ihn noch nüchterner, noch trockener in seinen Beschreibungen zu machen. Was überhaupt nicht stimmt. Ein Kapitel habe ich auf Anraten des Verlegers neu geschrieben, ansonsten ist alles genau so, wie es entstanden ist."
    Das gilt auch für den umgekehrten Eindruck: Man könnte nämlich meinen, dass die ländliche Szenerie und Fixierung auf Vater und Sohn Stoff für eine Novelle oder lange Erzählung abgegeben hätte, anstatt für einen Roman, dessen Eigenart erst mit Handlung und anderen Figuren entsteht, Verwicklungen, Entwicklungen. Diese treten denn auch nach und nach auf, etwa in Gestalt von Riet: Der Bauer hatte einen Zwillingsbruder, der bei einem Autounfall mit seiner Jugendliebe Riet tödlich verunglückt war. Nach Jahrzehnten sucht sie unerwartet Kontakt mit dem eineiigen Bruder, und es entspinnt sich der Rückblick auf ihre Jugend ebenso wie die Frage, was sich davon in der Gegenwart – gebrochen, verzerrt – noch spiegelt? Sie bittet den Bauern, ihren eigenen Sohn bei ihm arbeiten zu lassen, dass er überhaupt etwas mit sich anzufangen lerne, und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Zugleich bleibt als Grundton das Verhältnis des Bauern zu seinem Vater in der Schwebe: Der Vater liegt im Sterben, und lebt doch zäher, als die anderen es vermuten. Der Sohn von Riet etwa freundet sich selbst mit ihm an und scherzt:

    "Wie geht's denn mit dem Sterben, Herr van Wonderen? (...)
    "Sehr gut", antwortete Vater, genauso munter, aber leise."


    "Ob Schwarzer Humor oder nicht, es ist immer sehr gefährlich für einen Autor, humorvoll sein zu wollen. Der Leser merkt sofort, ob etwas tatsächlich humorvoll ist oder bloße Rhetorik. Bücher etwa, die besonders unterhaltsam oder witzig sein sollen, sind es natürlich auch manchmal, aber meistens liest man doch ihren Vorsatz mit: Gleich wird's lustig! Für Überraschungen mag das genügen, aber nicht für einen Roman wie diesen. Da muss das Ganze doch feiner abgestimmt werden."

    Worin Gerbrand Bakkers Roman besonders zur Geltung kommt, sind denn auch die nuancierten Balanceakte, mit denen er sehr genau zu erzählen weiß, wovon seine Protagonisten lieber schweigen, was sich in Andeutungen nur ergibt, oder in Überlistungen – wenn der Vater des Bauern sich etwa schlafend stellt, um seinem Sohn die Worte zu entlocken, die dieser einmal ehrlich an ihn richten würde. Er tut es auch, die Gelegenheit nutzend, dem senilen Vater endlich die Meinung sagen zu können, leise nur, doch ehrlich genug. Von Liebe ist in dieser Enge keine Rede. Mit dem Tod des Vaters endet dieser Grundton der Geschichte. Dass sie sich dabei durchaus als Romanentwurf erweist, zeigt sich im Nachklang daran, dem letzten Kapitel: Erst mit dem Tod des Vaters wird der Hof selbst fragwürdig und löst sich für den Protagonisten auf, worüber er sich trotz allem identifizierte. Der Einbruch dieser Identität wird aber keineswegs als verstörend erfahren, sondern als nur mehr befreiend. Was im klassischen Bildungsroman weiter dargestellt worden wäre – die Selbstfindung der Hauptfigur –, darauf gibt Bakker nur einen Ausblick, ganz im Sinne des bislang Geschilderten. Sein Buch liest sich so wie eine lange und dichte Vorgeschichte bis zu diesem Umschwung:

    "Ich habe jetzt meinen zweiten Roman abgeschlossen, nach 'Oben ist es still'. Das erste Buch endet damit, dass Helmer, der Bauer, seine Kühe verkauft und seinen Hof damit im Grunde aufgibt, auch wenn er ihn selbst noch nicht veräußert. Erst beim Lesen des zweiten Manuskripts merkte ich jetzt, dass als Nebenfigur darin ein Bauer auftaucht, von dem es heißt, er habe schon lange keine Kühe mehr. Dabei war mit diesem anderen Bauern gar nicht der erste gemeint, aber so ergeben sich indirekt Verknüpfungen, die mir durchaus gefallen!"
    Wie etwas indirekt seinen Weg nimmt, davon zeugt auch Bakkers Umgang mit anderen Inspirationsquellen: Als begeisterter Leser der Bücher von Iris Murdoch habe er lange in einem ähnlich assoziationsreichen Stil geschrieben, bis die Idee zu "Oben ist es still" und die ländliche Szenerie darin ihn gezwungen habe, rudimentärer und knapper zu arbeiten, was der Qualität seines Schreibens an sich zu Gute gekommen sei. Man könnte auch sagen: Er hat seinen Stil gefunden, auch wenn dies seine kommenden Bücher erst zeigen müssen. Der Roman "Oben ist es still" ist in jedem Fall mehr als ein Beginn, seine Welt hat einen eigenen, unverwechselbaren Duft: sehr herb, nach heraufziehendem Regen und ein wenig Tabak in der Hand. So sieht man den Bauern vor sich – während er selbst bereits die Koffer packt, den Hof zu verlassen.

    Gerbrand Bakker: "Oben ist es still", aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, Suhrkamp Verlag 2009, 320 Seiten, 19,80 Euro"