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Literarische Zeitreise
Fünf Verlobungen und ein Diamantring

Im neuen Roman von J. Courtney Sullivan geht es um fünf verschiedene Verlobungen, die zwar simultan erzählt werden, jedoch zeitlich hintereinander versetzt stattfinden. Das verbindende Element: ein Diamantring. Getreu dem Motto "A Diamond Is Forever" wird der Leser auf eine Zeitreise mitgenommen.

Von Ursula März | 28.07.2014
    Paar im Sonnenuntergang am Strand (dpa / picture alliance / Zhang Jie)
    J. Courtney Sullivan erzählt in ihrem neuen Roman von fünf verschiedenen Verlobungen. (dpa / picture alliance / Zhang Jie)
    In ihrem Twitteraccount bezeichnet sich die 1982 in der Nähe von Boston geborene J. Courtney Sullivan als "Schriftstellerin, Feministin, enthusiastische Hundebesetzerin". Den Hund führt die bienenfleißige Bewohnerin eines Lofts in Brooklyn zu Beginn ihrer diszipliniert geplanten Tage aus. Ihren Feminismus darf man sich als undogmatisches Produkt im Geist von "Sex and the City" vorstellen.
    Die Schriftstellerei ging aus dem Journalismus hervor. Sullivan arbeitete und arbeitet für den Olymp amerikanischer Printmedien: New York Times, New York Observer, Chicago Tribune, Elle und Glamour. Im vergangenen Jahr erschien in Deutschland ihr zweiter Roman "Maine", in dem sie drei Frauengenerationen einer Familie in Zickenkriegen aufeinander prallen lässt. Massachusetts und die amerikanische Ostküste sind bislang die bevorzugten Schauplätze ihrer Bücher, in ihrem neuen Roman "Verlobungen" weitet sie das Setting des Erzählens allerdings erheblich aus: Historisch wie geografisch.
    Mischung aus Unterhaltungs- und Gesellschaftsroman
    Der Begriff Unterhaltung hat in der angelsächsischen Literatur einen besseren Klang als in der deutschen. Er verheißt nicht Trivialität, sondern Professionalität. Anders als hierzulande, wo Schreibwerkstätten wie das Leipziger und das Hildesheimer Literaturinstitut im Verdacht stehen, uninspirierte Prosahandwerker heranzuzüchten, genießen handwerklich versierte, leserfreundliche Schreibtechniken in den USA einen guten Ruf. Dies kommt der gehobenen Unterhaltungsliteratur zugute. Sie entfaltet sich in kultureller Nähe zur sogenannten Hochliteratur, entsteht im offenen Austausch mit deren ästhetischen Ansprüchen
    Keine andere amerikanische Unterhaltungsschriftstellerin der Gegenwart führt diesen Spagat so gekonnt vor wie J. Courtney Sullivan. Sie beherrscht den zeitgeistigen Schwung des Populären à la "Sex and the City". Und sie schmiegt sich in die Tradition des großen realistischen Gesellschaftsromans à la Jane Austen und Henry James. In ihrem neuesten Werk mit dem Titel "Verlobungen" wagt sie sich an eine ebenso raffinierte wie anspruchsvolle Erzählkonstruktion in der Short-Cuts-Dramaturgie. Denn es handelt sich hier, wie der Plural des Titels andeutet, tatsächlich um fünf aus unterschiedlichen Zeiten stammende Geschichten, um fünf Romane in einem.
    Fünf Geschichten in einem Roman
    Sie werden im Wechsel der Kapitel nebeneinander her erzählt, bis sie sich ganz am Ende bündeln. Das ist riskant. Denn der Roman unterbricht den Spannungsbogen der einzelnen Geschichten immer wieder und vertraut darauf, dass die Erinnerung des Lesers ihn bewahrt. Fünf Charaktere stehen im Zentrum der Geschichten, vier davon sind Teil eines Paares, die fünfte ist Junggesellin und sie ist die einzige authentisch-historische Figur: Mary Frances Gerety, die 1999 im Alter von dreiundachtzig Jahren nach einem höchst erfolgreichen Leben an der Spitze der amerikanischen Werbeindustrie verstarb.
    Mary Frances Gerety ist die Erfinderin des legendären, bis heute verwendeten Werbespruches: "A Diamond Is Forever", und sie ist die Erfinderin einer in den 50er Jahren gestarteten Werbekampagne für diamentenbesetzte Verlobungsringe. Ein solcher Diamantring ist auch das verbindende Objekt der fünf Romangeschichten. Er geht durch die Hände der vier Paare, bis er am Ende, im Jahr 2012, am Finger eines Homosexuellen landet, der die Hochzeit mit seinem künftigen Ehemann vorbereitet.
    Amerikanische Sittengeschichte im Wandel der Zeit
    Schon das zeigt, was J. Courtney Sullivan im Sinn hat: Eine amerikanische Sittengeschichte, dargestellt am Beispiel der Liebeswahl und der Ehe, im Wandel der Moral von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute. Das erste Kapitel spielt denn auch im Jahr 1947, es zeigt Mary Frances Gerety während einer schlaflosen Nacht, an deren Ende sie ihren Jahrhundertslogan findet. Für die Lehrerin Evelyn, Protagonistin der zweiten Geschichte und der 70er Jahre, bricht die Welt zusammen, als ihr Sohn sich scheiden lässt und ihr die geliebte Schwiegertochter samt Enkeltöchtern entreißt. James, dessen Geschichte Ende der 80er Jahre angesiedelt ist, kann selbst nicht glauben, dass seine Ehefrau bei ihm bleibt, obwohl ihm, einem Rettungssanitäter, im Leben wenig mehr gelingt als die stetige Anhäufung eines Schuldenberges.
    Für das neue Jahrtausend macht der Roman einen Sprung nach Europa, nach Paris. Dort lebt die Mittdreißigerin Delphine in einer Vernunftehe mit dem Besitzer eines Instrumentengeschäfts. Als ein junger genialischer Geiger das Geschäft betritt, lässt sie alle Vernunft sausen und folgt ihm Hals über Kopf nach New York. Nicht weniger entschlossen vollzieht sie ein Jahr später den Rachefeldzug gegen den Jüngling, nachdem sie von ihm betrogen wird. Und erst jetzt, im allerletzten Romanteil, zieht der Roman die Fäden um seine Hauptfiguren zusammen: Der Stargeiger ist ein Sohn des Rettungssanitäters James, der wiederum der Lehrerin Evelyn, mittlerweile eine alte Frau, an einem Weihnachtsabend beim Sterben beisteht - und ihr den Diamantring vom Finger zieht, der durch 600 Romanseiten rollt.
    Gut recherchierte Unterhaltungsliteratur
    Dass in diesem zur glatten Summe berechneten Handlungsverlauf einiges an Kolportage steckt, ist unbestreitbar. Aber sie ist, nach den Anforderungen gediegener Unterhaltung, glänzend durchgeführt. Und noch eine Qualität ist der Amerikanerin Sullivan unbedingt zuzugestehen: Intensiv recherchierte, empirische Milieu- und Weltkenntnis, ein Erbe des angelsächsischen Journalismus.
    Sie kennt sich en detail in den verschiedensten Berufsfeldern aus, nimmt den Leser in die moderne Werbeindustrie, in das Leben eines Rettungssanitäters in der amerikanischen Provinz, in die Geschichte einer Stradivari und in die Geschichte einer kalifornischen Familie mit, die mit der Ehe ihres homosexuellen Sohnes hadert. Ein Roman wie „Verlobungen" wird der Autorin nicht den Nobelpreis einbringen, sie wird wohl auch nie in einem Atemzug mit Klassikern der amerikanischen Gegenwartsliteratur genannt werden. Aber als Star des unterhaltenden Gesellschaftsromanes hat sie sich im Kosmos der Literatur einen Platz verdient.
    J. Courtney Sullivan: "Die Verlobungen"
    Aus dem Englischen von Henriette Heise.
    Deuticke Verlag, Wien 2014, 585 Seiten, 21,90 Euro.