Donnerstag, 25. April 2024

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Literatur
"Distanz ist das große Thema der Männerfreundschaft"

In der Literatur sei der Tod häufig der Beginn wunderbarer Männerfreundschaften, sagte der Autor Andreas Kraß im DLF. Passionierte Freunde stünden ständig unter dem Verdacht der Homosexualität. Nach dem Tod eines Freundes werde aber "nichts Schlechtes" mehr über ihn gesagt.

Andreas Kraß im Gespräch mit Birgid Becker | 12.02.2017
    Drei Männer sitzen am 17.07.2014 in Berlin bei Sonnenuntergang auf dem Teufelsberg.
    Wie wird in der Literatur über Männerfreundschaft im Spannungsfeld zu Homosexualität gesprochen? Das hat der Literaturwissenschaftler Andreas Kraß untersucht. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Der Literaturwissenschaftler Andreas Kraß hat ein Buch darüber geschrieben, wie Männerfreundschaft in der Literatur dargestellt wird und welche Ideale und Bilder davon vermittelt werden. So existiere das Ideal der Freunde, die zugleich Politiker sind - wie etwa in der Antike. "Politische Freunde nehmen für sich in Anspruch, tolle Politiker zu sein, sich auf die Tugend auszurichten, etwas für ihr Volk zu tun - unabhängig davon, ob das auch tatsächlich realisiert wird."
    Je nach Milieu fänden Männer unterschiedliche Bezeichnungen für ihre Beziehung, etwa "Freunde", "Kameraden" oder "Buddies", sagte Kraß. Der Bezugspunkt sei aber ein Ideal von Männerfreundschaft, das durch die Jahrhunderte hindurchgewandert sei, "wenn es sich auch immer wieder verändert hat". So stamme etwa die enorm aufopferungsvolle Form eher aus lange vergangener Zeit. Als Beispiel für Urbilder der Männerfreundschaft nannte der Autor und Literaturwissenschaftler Achill und Patroklos. Deren Geschichte sei bis heute immer wieder nacherzählt oder abgewandelt worden.
    Passionierte Männerfreundschaft unter dem Verdacht der Homosexualität
    Das dominierende Thema aller Männerfreundschaften sei Distanz, "die maximale Distanz ist der Tod". In den 25 Geschichten, die Kraß in seinem Buch untersucht hat, entdeckte der Autor ein wiederkehrendes Modell: "Und zwar, dass der eine Freund gestorben sein muss, damit der andere Freund den Tod zum Anlass nehmen kann, um in Form einer Klage über das Wesen der Freundschaft sprechen zu können. Es scheint, als wenn sich der Affekt der Freundschaft in der Trauer verbergen müsste."
    Kraß spricht in diesem Zusammenhang von einer "diskursiven Lizenz", der Erlaubnis, über Dinge zu sprechen, über die man nicht immer sprechen kann. Denn passionierte Freunde müssten sich immer wieder gegen den Verdacht der Homosexualität absichern. Dieser entfällt nach Ansicht von Kraß mit dem Tod des einen Freundes, weil dann niemand mehr Kritik üben könne. "Man sagt ja über Tote nichts Schlechtes und auch nicht über diejenigen, die über verstorbene liebe Menschen klagen", erläuterte der Literaturwissenschaftler.
    Im Übrigen sei auch echte Freundschaft zwischen Männern und Frauen möglich sowie zwischen Frauen. "Es gibt ja auch eine Literaturgeschichte der Frauenfreundschaft", sagte Kraß.
    Das Interview mit Andreas Kraß steht sechs Monate zum Nachhören für Sie in der Mediathek.