Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Literatur
Vor 150 Jahren erschien Dostojewskis Roman "Der Idiot"

1868 erschien die erste Folge des Romans "Der Idiot" von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. An Spannung und Tiefgang hat er bis heute nichts eingebüßt. Denn er behandelt eines der großen Menschheitsthemen: Das Drama des guten Menschen in einer verdorbenen Gesellschaft.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 12.01.2018
    Der Schreibtisch des russischen Dichters Fjodor Michailowitsch Dostojewski im Museum in der Kusnetschni Straße in Sankt Petersburg. (Aufnahme vom Januar 1992). Dostojewski wurde am 11. November 1821 in Moskau geboren und starb am 9. Februar 1881 in St. Petersburg. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Die Brüder Karamasow", "Schuld und Sühne" und "Der Idiot".
    Der Schreibtisch des russischen Dichters Fjodor Michailowitsch Dostojewski im Museum in der Kusnetschni Straße in Sankt Petersburg (picture-alliance / dpa / Tass)
    Es war die Januarausgabe des Jahrgangs 1868 der Moskauer Monatszeitschrift "Russischer Bote", in der die erste Folge des Romans "Der Idiot" von Fjodor Michailowitsch Dostojewski erschien. Im Zentrum steht der junge russische Fürst Lew Myschkin.
    "Seine Augen waren groß, blau und ruhig, in ihrem Blick lag etwas Stilles, aber Bedrücktes, etwas von jenem eigentümlichen Ausdruck, an dem manche auf den ersten Blick erraten, dass der betreffende Epileptiker ist."
    Der Held schlittert schnell in Liebesnöte
    Fürst Myschkin kehrt nach mehrjähriger Behandlung seiner Krankheit aus einem Schweizer Sanatorium nach Russland zurück. In Petersburg gerät er in die gutbürgerlichen Kreise der Hauptstadt. Die offene, kindliche und vertrauensvolle Art, mit der er von seinem Leben, von seiner Krankheit, von der Natur, von der Schönheit und der Liebe spricht, kontrastiert beklemmend mit dem moralisierenden und durchtriebenen Geschwätz der Gesellschaft. Das Urteil über Myschkin ist, hinter vorgehaltener Hand, rasch gesprochen: Er ist ein "Idiot".
    "In der Umgangssprache ist es eben ein Verrückter, einer, der aus dem herausfällt, was die Gesellschaft als normativ ansieht. Myschkin ist einer, der die Normen auf eine sehr gute Weise verletzt, er verhält sich so, wie es sonntags in der Kirche gepredigt wird."
    Der Schriftsteller Ingo Schulze hat sich für seinen vor Kurzem erschienenen Roman "Peter Holtz" auch von Dostojewskis "Idiot" inspirieren lassen. Dostojewski, der an Epilepsie litt, lässt seinen Helden schon nach wenigen Stunden der Romanhandlung in Liebesnöte schlittern. Die reizende, mädchenhaft-romantische Aglaja hat es ihm angetan – aber auch Nastassja, die als "gefallene" Frau von überirdischer Schönheit für Furore sorgt, jedoch, zu Myschkins Pein, von dem brutal-sinnlichen Kaufmann Rogoschin fasziniert ist, der den Fürsten erst brüderlich umarmt und dann zu erdolchen versucht. Myschkin zergeht vor Mitleid mit allen – nur nicht mit sich selbst.
    "Ich habe mich immer gefragt, warum kann Myschkin keine glückliche Liebe eingehen. Und da merkt man dann, so unerklärlich die Liebe sein mag, dass es natürlich auch einen Schuss Egoismus braucht, also auch sozusagen ganz auf dem Eigenen zu bestehen und sich nicht immer sozusagen für den anderen aufzuopfern."
    Die ganze Bandbreite der russischen Gesellschaft
    Im Laufe des Romans begegnet der infolge einer Erbschaft wohlhabend gewordene Myschkin der ganzen Bandbreite der russischen Gesellschaft, darunter trunksüchtige Ex-Generäle, aufgekratzte höhere Töchter, wichtigtuerische Beamte und sogenannte Normalmenschen. Auf den schönen Veranden der Sommerhäuser von Pawlowsk bespricht man Heiratsfragen, Berufsaufstiege, Familienzwiste, Krankheiten, die Politik, die Presse, die Justiz und die kulturellen Folgen des modernen Verkehrswesens. Unterm Strich geht es immer um Geld.
    "Für Fürst Myschkin ist Geld etwas, das er sofort weggibt. Geld hat für ihn eigentlich keine wirkliche Bedeutung."
    Aus Mitleid bietet er einer Gruppe von Sozialrevolutionären Geld an – die Reaktion des von Bluthusten gequälten Anführers spricht Bände.
    "So mögen Sie denn wissen, dass … ich Sie … von allem auf dieser Welt … am meisten hasse, Sie Jesuit, Sie Sirup Seele, Sie Idiot, Sie Millionär und Wohltäter!"
    "Für mich ist das Großartige und in gewisser Weise der Kern dieses Buches, dass es eine Figur gibt, die die christlichen Maßstäbe, ja, auf eine kindliche Weise praktiziert. Und das konfrontiert eben die Gesellschaft mit sich selbst. Und da geht dieser Myschkin wie so ein Scheinwerfer, wie so eine starke Kerze durch dieses Buch hindurch."
    Nachdem sich Myschkin endlich doch noch durchgerungen hat, die schöne Nastassja zu heiraten, flüchtet sie vom Traualtar weg geradewegs in die Arme des grausamen Rogoschin. Der Fürst eilt ihr nach und findet sie, von Rogoschin aus Eifersucht erstochen, tot auf dessen Bett. Myschkin verliert vor Kummer den Verstand.
    "Der Fürst blickte hin und fühlte, dass ... die Totenstille im Zimmer immer drückender wurde. Auf einmal fing eine ... Fliege zu summen an, flog über das Bett hinüber und verstummte am Kopfende."