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Live-Coding-Konferenz
"Die Leute können sehen, wie Musik entsteht"

Live Coding nennt sich die Praxis, in Echtzeit zu programmieren und damit Musik oder Visuals zu erzeugen. Der Code wird dabei ständig verändert - so wirkt die Aufführung wie improvisiertes Jammen. Vergangenes Wochenende hat sich die internationale Live-Coding-Szene in Kanada getroffen.

Von Dennis Kastrup | 18.10.2016
    Die Gesichter der Mitglieder der Band "Benoît and the Mandelbrots" bunt ausgeleuchtet vor schwarzem Hintergrund
    Die Live-Coding-Band "Benoît and the Mandelbrots" (Daniel Bollinger)
    "Was man jetzt hier hört, ist quasi dieses Live-Coding-Gefühl: Man versucht, einen bestimmten Klang zu erreichen, aber man schafft es irgendwie nicht. Jeder Klang definiert, wo man jetzt weiter hin will. Man versucht, das Beste aus dem Klang zu machen."
    Holger Ballweg sitzt vor seinem Laptop in einem Unterrichtsraum der McMaster Universität Hamilton. Über den Bildschirm flimmern englische Wörter und Zahlen in verschiedenen Farben. Ständig tippt er auf seine Tastatur.
    "Im Moment spiele ich mit einer definierten Frequenz das ab, aber ich kann die Frequenz auch zufällig machen, und die Länge zufällig und dann bekommen wir irgendwie was Chaotischeres hin. Jetzt mache ich da noch Raumklang dazu, dass es sich ein bisschen mehr nach draußen anhört."
    "Wir teilen unseren Produktionsprozess"
    Ballweg ist Mitglied der Band "Benoit and the Mandelbrots", einer deutschen Live-Coding-Band aus Karlsruhe. Vergangenen Mittwoch spielte das Quartett auf der Konferenz. Das Publikum kann bei ihren Auftritten hinter den vier Laptops jeden einzelnen Code live auf einer Projektion mitlesen. Das ist das Herzstück des Live Coding, weiß auch Alex McLean:
    "Wir teilen unseren Produktionsprozess. Die Leute können wirklich sehen, wie die Musik entsteht. Wenn man an computergenerierte Musik denkt, blendet man die Person aus, die das Programm geschrieben hat. Man denkt dann vielleicht, dass die Computer selber kreativ sind. Das kann schon verwirrend sein. Für mich geht es beim Live Coding darum, den Menschen auf die Bühne zu bringen, der die Musik macht. Man kann also sehen, wie dann der Code geschrieben wird."
    In seiner Heimatstadt Sheffield organisiert McLean seit ungefähr vier Jahren so genannte "Algoraves", eine Wort-Kombination aus Algorithmus und Rave. Das Publikum im Club tanzt dabei zu den Codes.
    Die Künstler wissen vorher nie, wie ihr Auftritt aussehen wird. Vieles geht schief. Aber Fehler sind Teil des Konzepts. Das Duo Anne Veinberg und Felipe Ignacio Noriega versucht dem dennoch ein bisschen entgegen zu wirken. Die ausgebildete Pianistin improvisiert bei ihrer Aufführung, während der Mexikaner "livecodet". Auch die Zuschauer müssen mit ihren Smartphones mitmachen.
    "Das Publikum soll über Zeitintervalle entscheiden. Diese können zwischen 30 und 120 Sekunden sein und wir müssen darauf reagieren. Das bedeutet, wir müssen uns anschauen, wenn die Zeit vorbei ist. Da muss nichts passieren, aber wenn eine große musikalische Veränderung geschehen soll, dann zu diesem Zeitpunkt."
    Perspektiven der Live-Coding-Praxis
    Live Coding wird aber auch in anderen Bereichen benutzt: Es gibt Tanzvorführungen bei denen die Tänzer Computer-Befehle als Vibrationen wahrnehmen. Selbst Satelliten können so gesteuert werden. Besonders beliebt sind Visuals, die oft die Musik untermalen. Es kann aber auch in die entgegengesetzte Richtung gehen: Susanne Palzer dekonstruiert in ihrer Aufführung "On/Off" das Kodieren, indem sie laut gestikulierend auf einem Brett auf, on, und off, absteigt.
    Live Coding ist nichts Neues. Seit 2002 existiert die Praxis. Meistens sind die Programmiersprachen als "Open Source" nutzbar, also kostenlos zugänglich und für jede und jeden veränderbar. Damit verbunden ist auch ein politisches Statement: Wir sind unabhängig und offen für alle. Trotzdem wächst die "Community" nur langsam. Alex McLean glaubt wie viele andere, dass nur über die Musik die Popularität gesteigert werden kann:
    "Kodieren lässt dich wirklich über den Sound nachdenken, den du erzeugst. Es ist eine Art Ganzkörpererfahrung, weil du die Musik fühlst, aber gleichzeitig sehr auf die Struktur fokussiert bist."
    Trotzdem stecken sie irgendwie fest: Erstens liefert Live Coding keine neuen musikalischen Trends - die Sounds sind in der elektronischen Musik bereits bekannt. Zweitens schließt es Menschen aus, die keine Ahnung vom Programmieren haben. Bei Auftritten lässt sich das Publikum eher von den Codes auf der Leinwand als der Musik beeindrucken. Helfen könnte dabei ein Vorschlag, den Politiker ebenfalls immer mehr fordern: Wir müssen anfangen, neben Deutsch und Englisch den Kindern auch Programmiersprachen beizubringen. Das weiß auch David Ogborn, Initiator der Konferenz:
    "Es gibt so viele Menschen, die das machen könnten. Alle würden nur davon profitieren, wenn mehr und mehr Leute mitmachen würden. Ich hoffe, dass die Konferenz das erreicht."