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Lobby für die Forschung

Forschungspolitik. – In Europa haben sie ein schlechtes Image, in den USA sind sie wichtiges und geachtetes Element des politischen Entscheidungsprozesses: Lobbyisten sind Interessenvertreter und finden an den Sitzen der Europäischen Union ein zunehmend fruchtbares Betätigungsfeld.

Von Michael Lange | 22.02.2007
    Europäisches Sprachengewirr in der Lobby des Charlemagne-Gebäudes der EU-Kommission in Brüssel. Susan Kentner kommt gerade von einer Informationsveranstaltung. Es ging mal wieder um das siebte Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union:

    "Wir sind Dienstleister, wir sind die Wegweiser. Wir haben das Spezialwissen über EU-Forschungsförderprogramme."

    Susan Kentner stammt aus den USA. Sie leitet das Brüsseler Büro der Helmholtz-Gemeinschaft, einer Vereinigung großer deutscher Forschungszentren. Damit gehört sie zu einer wachsenden Gruppe von Vertretern der Wissenschaft in Brüssel. Man kann sie auch als Lobbyistin bezeichnen, denn sie informiert nicht nur Wissenschaftler über Europa, sie wendet sich auch an die Entscheidungsträger in Brüssel und liefert ihnen Information von der Klimaforschung bis zur Krebsforschung. Kentner:

    "Wir müssen auch die Parlamentarier überzeugen: Das sind Themen von europäischer Bedeutung, die wichtig sind, um die Lebensqualität der Bürger in Europa zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit von Europa zu sichern ... Das sind Dinge, die wir kommunizieren müssen... unsere Wissenschaft sozusagen nach Europa transportieren."

    Es gibt viele Wege mit EU-Beamten oder Parlamentariern in Kontakt zu kommen. Je origineller, desto besser. So plant Susan Kentner, die Schülerlabore der Helmholtz-Gemeinschaft im Europäischen Parlament aufzubauen. Kentner:

    "Wir versuchen einfach hier im Parlament zu zeigen: Das ist ein Weg, um junge Leute für naturwissenschaftliche Themen zu interessieren. Wir machen das absichtlich im Parlament, damit die Parlamentarier diese Versuche mitmachen können. Um auch ganz banale Fragen beantworten zu können, wie: Warum trennen sich Essig und Öl, wenn man sie mischt? Oder: Kann man aus einem Pfirsich DNA machen? Was ist Schwerelosigkeit eigentlich?"

    Zwei Stockwerke über dem Büro der Helmholtz-Gemeinschaft in der Brüsseler Rue du Throne residiert Kowi, die Koordinationsstelle EG der Wissenschaftsorganisationen. Kowi vertritt insbesondere die deutschen Hochschulen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG. Es ist 18 Uhr. Kowi-Leiterin Annette Doll-Sellen kommt gerade aus Berlin. Der Koffer steht noch in der Tür. An der Freien Universität hat sie deutsche Wissenschaftler über das neue Forschungsrahmenprogramm informiert, eine ihrer Hauptaufgaben. Doll:

    "Also Brüssel durchsichtig zu machen, lesbar zu machen, zu helfen, möglichst wenig Papierberge durchwühlen zu müssen, um ganz gezielt den Wissenschaftlern zu sagen: Hier ist eine wichtige Ausschreibung für euch, das könnte inhaltlich in eure Arbeit hineinpassen. Also da das Leben leichter zu machen."

    In den letzten drei Jahren, als das siebte Forschungsrahmenprogramm entstand, war aber auch bei Kowi klassische Lobby-Arbeit gefragt. Doll-Sellen:

    "Das ist ein unendliches Konsultieren, miteinander Diskutieren... Dann war es in der Kommission, dann im Parlament, dann in den Mitgliedsstaaten. .... Klar, was das eine intensive Phase der Vermittlung von Interessen an die eine oder andere Seite."

    Und die Wissenschaft und ihre Vertreter haben ein Wort mitgesprochen, auch als um den Haushalt gerungen wurde. Denn zeitweise sah es nicht gut aus bei den europäischen Forschungsmitteln. Es war sogar von einer Nullrunde die Rede. Doll-Sellen:

    "Dann hat es eben diese phantastische Erhöhung für den Forschungsetat gegeben. Ich will es noch einmal in Zahlen ausdrücken: Wir haben im sechsten Rahmenprogramm pro Jahr fünf Milliarden ausgegeben für Forschung in Brüssel, und wir geben im siebten Rahmenprogramm pro Jahr 7,2 Milliarden aus."

    Und dass diese Erhöhung um über 40 Prozent in sieben Jahren zustande kommt, ist sicher nicht nur dem Verhandlungsgeschick von Forschungskommissar Potocnik zu verdanken. Auch die Lobby für die Wissenschaft hat daran mitgewirkt.

    Mehr über die Forschungslandschaft Europa finden Sie in der Werkstatt Europa.