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Lobbyismus
„Hier sollte Schönwetter gemacht werden für den Diesel“

Die nun durch Abgas-Tests an Menschen und Affen bekannt gewordene Einrichtung EUGT sei eine Lobbyorganisation, sagte Christina Deckwirth von der Initiative Lobbycontrol im Dlf. Die fordert mehr Transparenz bei Lobbyvereinen, die sich als wissenschaftliche Einrichtungen tarnen.

Christina Deckwirth im Gespräch mit Birgid Becker | 29.01.2018
    Rauch strömt aus dem Auspuff eines Autos
    Die Bundesregierung habe jahrelang die schützende Hand über die Autolobby gehalten, kritisiert Lobbycontrol (Imago)
    Birgid Becker: Studien mit menschlichen Probanden, Tierversuche - bestellt von einer Einrichtung namens: Europäische Forschungseinrichtung für Umwelt und Gesundheit im Transport. Bis vor wenigen Tagen weithin unbekannt. Aber zehn Jahre lang finanziert von BMW, Daimler, VW und Bosch. Mitte vergangenen Jahres wurde diese Einrichtung stillschweigend aufgelöst. Um was genau handelt es sich bei dieser und ähnlichen Einrichtungen, darüber habe ich vor der Sendung mit Christina Deckwirth von Lobbycontrol gesprochen. EUGT – was ist das? Eine wissenschaftliche Fassade für einen Lobbyisten-Verein?
    Christina Deckwirth: Ja, genau so würde ich es bezeichnen. Es ist eigentlich eine Lobbyorganisation, die sich den Anstrich gibt, wissenschaftlich zu sein. Im Beirat sind Professoren, so dass man denkt, na ja, da sind Wissenschaftler dabei. Aber wenn man sich den Vorsitzenden von diesem Forschungsbeirat anschaut, dann ist das auch ein spezieller Wissenschaftler, der Helmut Greim, der schon länger bekannt dafür ist, dass er sehr industrienahe Positionen vertritt, der Interessenskonflikte hat und so weiter. Es ist wirklich eine Lobbyorganisation, die sich einen wissenschaftlichen Anstrich gibt.
    Becker: Den Beiratsvorsitzende dieser EUGT – Sie haben ihn eben erwähnt -, Professor Helmut Greim, den kennen Sie nun wieder als NGO, die solche personellen Verquickungen auch unter die Lupe nimmt, noch aus anderen Funktionen – Stichwort Abgasuntersuchungsausschuss, der Ausschuss, der die Dieselgate-Affäre im Bundestag untersuchen sollte.
    Deckwirth: Genau. Dort ist uns aufgefallen, dass er dort auch sehr industriefreundliche Positionen vertreten hat. Die Stickoxide, die ja bei Dieselabgasen entstehen, hat er als unbedenklich erklärt. Da ist uns schon aufgefallen, dass er bei diesem EUGT ist, und insofern würden wir sagen, ein Sachverständiger, der so eng verknüpft ist mit einem industriefinanzierten Verein, der sollte nicht als unabhängiger Sachverständiger im Bundestagsausschuss aussagen oder sollte da sich als solcher zumindest zu erkennen geben.
    Beiratsvorsitzender vertrete industrienahe Positionen
    Becker: Noch eine Facette. Der emeritierte Professor, Toxikologe, Jahrgang 1935, ist ja nach Recherchen des MDR auch aufgefallen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Gutachter in Fragen der Unbedenklichkeit von Glyphosat.
    Deckwirth: Genau. Es war schon länger bekannt, dass Herr Greim doch sehr industriefreundliche Positionen vertritt, dass er auch immer wieder mit Interessenskonflikten zu tun hat, die er teilweise auch nicht benannt hat, für Monsanto gearbeitet hat oder geforscht hat, von ihnen Gelder bekommen hat, und gleichzeitig die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Glyphosat als nicht so schwerwiegend bezeichnet. Das ist natürlich umso problematischer, wenn so jemand dann in einem Untersuchungsausschuss auftritt.
    Becker: Nun ist, um das zu unterscheiden, Industriefreundlichkeit an sich ja nichts Böses. Darum geht es Ihnen nicht.
    Deckwirth: Nein! Es ist nur doch sehr auffällig, wenn jemand, der sehr nah zu der Industrie ist, um die es geht, wo es um die gesundheitlichen Auswirkungen geht, konkret jetzt bei Dieselabgasen oder bei Glyphosat, wenn dort jemand diese gesundheitlichen Auswirkungen, die Schäden immer wieder absiegelt, immer wieder bagatellisiert und gleichzeitig für die betroffene Industrie, von denen Geld bekommt, für die arbeitet und so weiter. Das ist ein ganz klarer Interessenskonflikt.
    "Der Diesel sollte sauber gewaschen werden"
    Becker: Nun gibt es offenkundig ja auch diesen Mechanismus, Lobbyarbeit mit einem wissenschaftlichen Tarnmantel zu umgeben, wie Sie sagen, das auch bei dieser EUGT der Fall ist. Rechtlich zulässig ist das, oder?
    Deckwirth: Ja, rechtlich zulässig mag das sein. Wenn etwas legal ist, muss es nicht gleichzeitig legitim sein. Hier wurde ein Forschungsinstitut gegründet von einer Lobbyagentur. Das muss man hier auch noch wissen. Nicht etwa aus der Wissenschaft heraus, sondern eine Lobbyagentur mit dem Namen Kaiserwetter, die für Schönwetter sorgen soll. Das heißt, hier war ganz klar das Ziel, nicht Wissenschaft zu betreiben und allgemein für Aufklärung zu sorgen, für neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern hier sollte konkret Schönwetter gemacht werden für den Diesel. Der Diesel sollte sauber gewaschen werden, um Regulierung abzuwenden, um ihm ein besseres Image zu verpassen und um ihn dann natürlich besser vermarkten zu können – in den USA, aber natürlich auch in Deutschland und in Europa.
    Becker: Man hat ja auch dafür gesorgt, dass diese EUGT nicht auf Abwege gerät oder andere Gedanken hat als vorgesehen, um das Namensspiel noch ein bisschen weiterzutreiben, wenn man sich andere Namen anguckt, die des Vorstandsvorsitzenden der EUGT oder des Geschäftsführers.
    Deckwirth: Die stammen ja auch beide aus der Autoindustrie, einer von VW und einer war früher beim VDA. Auch hier sieht man, das sind keine ganz unabhängigen Personen. Es ist einfach ein Institut, was von der Autoindustrie ganz klar gegründet wurde und mit diesem Namen "Forschungsinstitut" so tut, als wäre es was anderes. Und die geben natürlich auch Studien in Auftrag. Sie arbeiten ja mit wissenschaftlichen Methoden. Das ist etwas, was wir als Wissenschaftslobbyismus bezeichnen. Das heißt, sie tun so, als betreiben sie unabhängige Wissenschaft, arbeiten mit denselben Methoden, Studien in Auftrag geben und so weiter, die in wissenschaftlichen Publikationen erscheinen, oder auch in den USA wurde ja ein wirkliches Forschungsinstitut beauftragt. Aber in Wirklichkeit ist es, wie ich schon gesagt hatte, nicht das Ziel, für wissenschaftliche Erkenntnisse zu sorgen, sondern die eigenen Produkte zu vermarkten.
    "Sie tun so, als betreiben sie unabhängige Wissenschaft"
    Becker: Wie unterscheidet man denn jetzt Wissenschaft und wissenschaftliche Tarnorganisationen?
    Deckwirth: Ein wirklich unabhängiges wissenschaftliches Forschungsinstitut muss sehr genau darauf achten, wie es sich finanziert, ob es Interessenskonflikte gibt. Das ist ja ein wichtiges Thema in der Wissenschaft, dass sogenannte "conflict of interest", diese Interessenskonflikte auch angegeben werden müssen, unter Artikeln zum Beispiel. Das ist ein sehr umstrittenes wichtiges Thema in der Wissenschaft und das wird hier einfach so umgangen. Man kann sich diesen Namen Forschungsinstitut, Forschungseinrichtung geben, aber Wissenschaft ist das nicht nach meinem Einschätzen.
    Becker: Nun hat die Autoindustrie ja wahrscheinlich kein Patent auf solche Strategien. Haben Sie Beispiele für andere, andere Branchen, andere Strategien?
    Deckwirth: Die Autoindustrie sind bei weitem nicht die einzigen, die so etwas machen. Wir wissen das aus der Tabakindustrie, dass das dort schon vor vielen Jahren angewandt wurde. In den USA wurden sehr viele Wissenschaftler finanziert, aber auch in Deutschland. Es gab dort auch den sogenannten Forschungsrat Rauchen und Gesundheit, der von der Tabakindustrie gegründet wurde. Heute heißt das Stiftung Verum. Die haben sehr viele Gelder von Tabakkonzernen bekommen und haben auch Studien produziert, die die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens beschönigen.
    Klare Distanz zwischen Regierung und Lobby gefordert
    Becker: Was hilft denn nach Ihrer Einschätzung gegen solchen getarnten Lobbyismus? Gegen Lobbyismus ist ja nichts zu sagen. Aber was hilft gegen solchen getarnten Lobbyismus?
    Deckwirth: Wir brauchen auf jeden Fall dringend mehr Transparenz, damit wir erkennen können, wer eigentlich hinter solchen Organisationen steckt. Insgesamt brauchen wir mehr Distanz von der Politik gegenüber der Autoindustrie. Wir hatten es ja jahrelang so, dass die Bundesregierung immer ihre schützende Hand über die Autoindustrie gehalten hat, und das hat so ein bisschen auch den Boden bereitet, dass solche Methoden überhaupt passieren konnten, ohne dass dort irgendjemand mal eingegriffen hat. Hier gab es einfach viel zu enge Verbindungen zwischen Politik und Autolobby und hier muss die Bundesregierung einen klaren Schnitt machen, muss sich abgrenzen, muss Lobbyregulierung einführen, zum Beispiel ein Lobbyregister. Das ist das, was jetzt ansteht. Dafür steht jetzt auch noch mal dieser Fall, dass das wirklich dringend notwendig ist, eine klare Distanz zwischen Bundesregierung und Autolobby und klare Lobbyregulierung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.