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Lobbyismus in Brüssel und Berlin
Leise Geschäfte an lauten Orten

Berlin und Brüssel sind voll von Lobbyisten. Das Business boomt. Die genaue Zahl der Interessenvertreter lässt sich aber nur schwer erfassen, denn die meisten von ihnen agieren im Verborgenen. Gefordert wird deshalb ein verpflichtendes Lobbyregister - doch aus dem Bundestag kommt Widerstand.

Von Stefan Maas und Thomas Otto | 09.09.2015
    Lasst den Lobbyisten die Luft raus! steht auf einem Transparent vor dem Bundestag in Berlin.
    Seit vielen Jahren regt sich schon der Protest gegen den Lobbyismus in Deutschland (Archivbild 2005) (imago/Rolf Zöller)
    Berufsverkehr auf der Reinhardtstraße in Berlin Mitte. Auto an Auto schiebt sich die schnurgerade Straße entlang. Fahrradfahrer schlängeln sich dazwischen hindurch. Viele von ihnen tragen Anzug. Christina Deckwirth deutet auf mehrere Häuser auf beiden Seiten der Straße. Sie arbeitet für die Organisation Lobby Control und will an diesem ziemlich lauten Ort über ein sehr leises Geschäft sprechen.
    "Die Reinhardtstraße ist wirklich eine der Lobbymeilen. Also hier ist Lobbyakteur dicht an dicht. Es ist vor allem die Lobbymeile der Energie- und Gesundheitswirtschaft."
    Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen hat hier ein Haus, aber auch die Ärzteorganisation Marburger Bund, dazwischen der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Die Lage hier ist heiß begehrt, dicht an der Spree, alle Sehenswürdigkeiten fußläufig. Wichtiger aber noch: Auch das Kanzleramt, viele Ministerien und der Bundestag sind nur einen Katzensprung entfernt. Wer Nähe zur Politik sucht, ist hier genau richtig. Wer eilig die Reinhardtstraße entlangläuft, merkt davon ebenso wenig wie der Tourist, der vor dem Brandenburger Tor steht, während dort, am Pariser Platz, kräftig Politik gemacht wird, sagt Christina Deckwirth. Ein Beispiel:
    "Schauen wir uns dieses Eckhaus an, das ist das Palais am Pariser Platz, wo man so ganz klein die Fahne von Quebec sieht. Ich habe gerade gesehen, da weht auch die Fahne von Tui auf dem Gebäude, denn dort befindet sich auch die Konzernrepräsentanz von Tui. Dort sind auch die Lobbybüros der Rüstungskonzerne Diehl und Kraus-Maffei-Wegmann, Sky, Vodafone und Telefonica, das ist wirklich ein Gebäude, in dem sehr viele Lobbyisten sitzen."
    Akteure agieren im Verborgenen
    Geht alles gut – aus Unternehmens- oder Verbandssicht – hört man von der Arbeit der Interessenvertreter in der Öffentlichkeit möglichst nichts. Genau das ist das Problem, sagt Lobby Control-Interessenvertreterin Deckwirth:
    "Lobbyismus, wie er derzeit funktioniert, ist vor allem durch Intransparenz und Machtungleichgewichte geprägt, das heißt, viele Lobbyakteure agieren im Verborgenen, wir wissen teilweise nicht, wie sie sich finanzieren, in wessen Auftrag sie agieren. Das ist ein großes Problem, weil die Bürger natürlich wissen wollen, wer Politik beeinflusst."
    Es ist eines der vielen Unterkapitel einer Großen Koalition mit 80-Prozent-Mehrheit, dass bei einer winzigen Opposition auch die Kritik am Lobbyisten-Einfluss im Parlament schwächer ausfällt. Sie bleibt den Nichtregierungsorganisationen und Medien überlassen. Die Unternehmen pumpen derweil weiter Geld ins Geschäft mit dem Einfluss. Rund 5.000 Interessenvertreter arbeiten in der Hauptstadt – geschätzt. Die genaue Zahl lässt sich jedoch nicht erfassen, sagt Timo Lange, der auch im Berliner Büro von Lobby Control arbeitet. Längst sind es nicht mehr nur die Verbände, die für ihre Branche sprechen.
    "Wir haben hier in Berlin etwa 150 Hauptstadtrepräsentanzen von Unternehmen, die ihre eigene Lobbyarbeit parallel zu den jeweiligen Branchenverbänden betreiben und organisieren. Wir haben viele große internationale Agenturen, aber auch kleine inhabergeführte Lobbyagenturen, die spezialisierte Dienstleistungen anbieten."
    Dazu kommen noch Stiftungen, Thinktanks, Nichtregierungsorganisationen. Diese Zahl sei wahrscheinlich zu hoch gegriffen, sagt Dominik Meier. Der Vorsitzende der degepol, der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung.
    "Also in der Form von Interessenvertretung, nehmen wir auch die Verbandsstrukturen zusammen, die wirklich Interessenvertretung machen, betragen nicht mehr als 2.000 Leute."
    Verpflichtendes Lobbyregister gefordert
    Um einen verlässlichen Überblick über die Zahlen, über Verflechtungen der Akteure und ihre genaue Arbeit zu bekommen, fordert nicht nur Lobby Control ein Register, in das sich alle Interessenvertreter eintragen und zum Beispiel offenlegen müssen, wer sie bezahlt. Das sehen nicht alle so:
    "In den letzten Jahren hat eine Dämonisierung fast dieses Themas stattgefunden."


    Bernhard Kaster ist seit 2005 parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion. Interessenvertretung sei in einer Demokratie völlig legitim, sagt der CDU-Politiker. Aber schon der Blick auf die Akteure sei nicht wertfrei:
    Der rheinland-pfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Kaster gestikuliert auf dem Parteitag der rheinland-pfälzischen CDU zur Aufstellung der Landesliste für die Wahl zum Deutschen Bundestag am Samstag (28.02.2009) in Montabaur
    Bernhard Kaster (CDU) (dpa picture alliance / Thomas Frey)
    "In einer großen Zeitung war mal zu diesem Thema die Aussage getroffen, wenn wir von bösen Interessenvertretern sprechen, nenne wir sie Lobbyisten, wenn wir von guten sprechen, dann nennen wir sie Nichtregierungsorganisationen, das klingt dann etwas anders."
    Denn auch Greenpeace, Gewerkschaften, und Lobby Control sind Interessenvertreter. Die Abgeordneten stolperten ja nicht ahnungslos in Gespräche, sagt Kaster. Deshalb hält er ein verpflichtendes Lobbyregister für überflüssig, die bisherige Praxis für ausreichend.
    "Ich halte das seit 1972 beim Deutschen Bundestag geführte Register für richtig. Wir müssen einen Überblick darüber haben, wen wir alles zu Anhörungen einladen. In diesem Register sind vielfältige Angaben. Für welche Branchen jemand steht, wer die Mitglieder sind, wer der Geschäftsführer ist. Die Verbände sind dort dargestellt."
    Derzeit sind 2.258 Verbände in der Verbände-Liste des Bundestages registriert. Ursprünglich war ein Eintrag die Voraussetzung dafür, zu Anhörungen des Bundestages eingeladen werden zu können. Das ist vorbei. Und auch der Anreiz, mit dem Eintrag einen Hausausweis zu bekommen, mit dem man ohne Anmeldung in die Bundestagsgebäude gelangen kann, sei nicht besonders groß, sagen Kritiker. Weil sich unregistrierte Interessenvertreter einfach von gewogenen Politikern einladen lassen können, sei das Thema Hausausweise sowieso überschätzt, findet Parlamentarier Kaster.
    "Er bekommt ja immer das Gespräch. Egal mit welchem Ausweis. Und das jetzt festzumachen an der Art des Ausweises beim Zutritt des Gebäudes, das hat mit dem Thema überhaupt nichts zu tun."
    Umso wichtiger sei das verpflichtende Lobbyregister, fordert unter anderem Lobby Control. Sogar in der Branche befürworten etliche so ein Register, um endlich aus der Schmuddelecke herauszukommen, Dominik Meier von degepol etwa. Allerdings sagt er auch:
    "Für uns macht ein Lobbyregister nur dann Sinn, wenn alle dabei sind. Rechtsanwälte, Kirchenvertreter, Gewerkschaften. Alle müssen dabei sein."
    Die Union sträubt sich
    Widerstand kommt aus dem Bundestag. Vor allem aus der Union. Hatte sich die SPD noch im Wahlkampf dafür ausgesprochen - in den Koalitionsvertrag schaffte es dieses Thema nicht. Das Problem sieht auch Timo Lange von Lobby Control:
    "Daran merkt man auch, dass die verschiedenen Bereiche der Lobbyregulierung, wie wir das nennen, zusammenhängen. Wenn ich Bundestagsabgeordnete habe, die selber im Nebenjob Lobbyist sind, oder die als Unternehmensberater arbeiten, als Strategieberater, wo die Bürgerinnen und Bürger eigentlich nicht erfahren, wer ist da der Auftraggeber, woher kommt das Geld, das sind Verflechtungen mit Interessengruppen, die durchaus problematisch sind."
    Auf der Reinhardtstraße deutet Christina Deckwirth auf ein cremefarbenes Haus. Darauf in Blau über die ganze Breite der Schriftzug: Marburger Bund. Die Interessenvertretung der angestellten Ärzte.
    "Der Geschäftsführer vom Marburger Bund ist Rudolph Henke, der ist gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender im Gesundheitsausschuss, das heißt, hier haben wir es mit einer Doppelfunktion zu tun. Hier sitzt ein Lobbyist im Bundestag auch noch in dem Ausschuss, für den er inhaltlich zuständig ist."
    Der CDU-Politiker Henke antwortet per Mail: Die Behauptung, manche Abgeordnete blockierten ein verpflichtendes Register, weil sie dort selbst als Interessenvertreter auftauchen würden, sei eine Unterstellung mit dem Ziel, "Stimmung für ein Register zumachen". Auf die Frage, wie er selbst seine zwei Rollen trenne, schreibt er:
    "Ich bin als Arzt schon lange in der Ärzteschaft engagiert. Der Marburger Bund, dessen gewählter Vorsitzender ich bin, erfüllt als Ärztegewerkschaft gesetzliche Aufgaben aus dem Arbeitsrecht, Tarifrecht und Betriebsverfassungsrecht. Die Ärztekammern, zu deren gewählten Präsidenten ich in meinem Bundesland gehöre, erfüllen als Körperschaften öffentlichen Rechts gesetzliche Aufgaben aus den Heilberufsgesetzen. Wer diese Aufgaben übernimmt, der ist kein Funktionär, sondern der erfüllt gesetzliche Aufgaben. Die dabei gesammelten Erfahrungen auch für die Arbeit als gewählter Abgeordneter im Parlament zu nutzen, kommt dem Gemeinwohl zugute."
    "Die Verflechtungen bestimmter Interessenlagen im Parlament und außerhalb, die sollten transparent sein."
    Findet Lothar Binding. Der SPD-Politiker ist unter anderem Gewerkschaftsmitglied, in der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft und auch Mitglied bei Attac. Nicht jede Vereinsmitgliedschaft sei gleich mit einer Lobbytätigkeit gleichzusetzen, sagt er.
    "Aber wenn ich von Verbänden bezahlt werde oder in mehreren Aufsichtsräten bin, und letztendlich mit Entscheidungen im Parlament konfrontiert bin, die dann meine Tätigkeit als Aufsichtsrat oder womöglich als Mitglied eines Vorstands oder eines Verbandes oder einer Stiftung befasst bin, dann merkt man, es gibt eine Interessenkollision."
    Die müsse klar benannt werden, sagt Binding und empfiehlt den Betroffenen, sich an entsprechenden Abstimmungen nicht zu beteiligen.
    Bisher habe es keine Entscheidungen gegeben, bei denen er wegen seiner unterschiedlichen Funktionen in Konflikt geraten sei und deshalb nicht habe mitstimmen können, schreibt Rudolf Henke.
    Tausende Lobbyistenbüros in Brüssel
    Aber wichtiger noch als die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter sind für die Interessenvertreter die Ministerien. Die Bundesregierung spielt nicht nur innenpolitisch die entscheidende Rolle, sondern auch auf europäischer Ebene. Deshalb werde in auch Berlin lobbyiert, um in Brüssel mitreden zu können, sagt Ulrich Müller, geschäftsführender Vorstand bei Lobby Control:
    "Gerade in vielen Fragen von Marktregulierung und auch Produktfragen ist viel nach Brüssel gegangen."
    Die Zahl der dort arbeitenden Interessenvertreter stellt das Personal in den Hauptstädten der Mitgliedsländer längst in den Schatten.
    Vor allem im Brüsseler Europaviertel drängen sich die vielen tausend Lobbybüros. So wie am Schuman-Platz, gegenüber von EU-Kommission und Europäischem Rat: Hier sitzen die großen Verbände wie die City of London oder die US-Handelskammer. Wenig entfernt davon: Businesseurope – die riesige Arbeitnehmervertretung mit 40 Mitgliedsverbänden in 34 Ländern. Daneben auch viele Firmen-Büros: Shell, BP, Daimler, Bertelsmann, BASF: Alle nur wenige Schritte von der Kommission entfernt. Und es werden stetig mehr, meint der Lobbyismus-Experte Olivier Hoedeman:
    "In den vergangenen fünfzehn Jahren haben wir einen wachsenden Lobby-Druck festgestellt. Nahezu alle großen Unternehmen haben nun ihre eigenen Lobby-Büros, auch US-Unternehmen. Das gesamte Lobby-Business boomt."
    Hoedeman hat, zusammen mit anderen Aktivisten, vor achtzehn Jahren die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory, kurz CEO gegründet. Natürlich sollten Unternehmen in der Brüsseler Politik gehört werden, sagt Hoedeman – er kritisiert allerdings Ausmaß, Art und Weise:
    "Eine Methode der Lobbyisten, um die Gesetzgebung des Parlaments zu beeinflussen, sind ihre eigenen Änderungsanträge. Wenn so viele Lobbyisten das machen und so viele Abgeordnete bereit sind, solche Texte zur Abstimmung zu stellen, bekommt man eine absurde Menge an Anträgen, die diskutiert werden. Bei der Gesetzgebung zu den Landwirtschaftssubventionen gab es 8.000 Änderungsanträge."
    Damit steigt nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass gewünschte Formulierungen ihren Weg in die Paragrafen finden. Der ohnehin schon komplizierte Gesetzgebungsprozess wird so unnötig in die Länge gezogen. Organisationen wie CEO schätzen, dass in Brüssel zwischen 15.000 und 30.000 Lobbyisten arbeiten. Genaue Zahlen gibt es so wenig wie in Berlin. Zwar haben Kommission und Parlament vor vier Jahren ein gemeinsames Transparenz-Register geschaffen, doch ist weder der Eintrag Pflicht, noch werden die Daten auf Richtigkeit überprüft. Und der Anreiz, einen Hausausweis für die Registrierung zu bekommen, scheint nur mittelmäßig zu funktionieren:
    EU-Kommission will eine Reform für ein verbindliches Transparenz-Register vorschlagen

    "Die Sanktion, keinen Hausausweis zu bekommen, ist viel zu harmlos. In den USA, auch in Kanada: Wenn Sie als Lobbyist aktiv sind und Sie tragen nicht regelmäßig an die Behörden heran, welche Lobbyaktivitäten Sie gemacht haben, dann zahlen Sie Strafen."
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen.
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen. (imago/ Rainer Weisflog)
    Vergleicht Sven Giegold. Der grüne Europaabgeordnete veröffentlicht auf seiner Webseite all seine Treffen mit Interessenvertretern. Auf die sei er auch angewiesen, gerade wenn es um technische Details im Finanzsektor geht. Anfragen bekomme er aber viel mehr.
    "Man kann sich nicht mit allen treffen. Aber es gibt eine erfreuliche Nebenwirkung: Sobald man es transparent macht, nimmt die Zahl der Nachfragen ab und es kommen auch nur noch die, die wirklich mit einem reden wollen."
    Bis Jahresende will die EU-Kommission eine Reform für ein verbindliches Transparenz-Register vorschlagen. Darin sollen dann auch die Aktivitäten des Rates, also der Vertreter der 28 EU-Mitgliedsstaaten, veröffentlicht werden. Der Erste Vizepräsident der Kommission Frans Timmermans:
    "Wir wollen klar zeigen, was wir tun, und volle Transparenz über unsere Treffen herstellen. Wir wollen Verantwortung übernehmen für alles, was wir in der Kommission tun."
    Seit November veröffentlichen die Kommissare, ihre Kabinettsmitarbeiter und die Generaldirektoren der Kommission – bis auf wenige Ausnahmen – ihre Treffen mit Interessenvertretern. Timmermans sieht die Kommission damit als Vorbild:
    "Es würde mich wirklich freuen, wenn alle Mitglieder des Europäischen Parlaments dasselbe machen würden, damit wir auch sehen, damit die Öffentlichkeit auch sehen kann, mit wem sie reden."
    Weil die veröffentlichten Informationen auf knapp neunzig Webseiten verstreut sind, hat die Organisation Transparency International die Daten mittlerweile übersichtlich und durchsuchbar aufbereitet – ein Fortschritt.
    Umstrittene Seitenwechsler
    Auch bei einem anderen Thema hat man in Brüssel ein klein wenig schneller gearbeitet als in Berlin. Es geht um die sogenannten Seitenwechsler. Politiker, die zu Unternehmen wechseln.
    "Sich ehemalige und noch amtierende Politiker auf die Gehaltsliste zu schreiben, ist eine beliebte Lobbystrategie. Seitenwechsler und Nebenverdiener verfügen über Insiderkontakte, privilegierte Zugänge, sie kennen die Abläufe von innen und sind dadurch sehr attraktiv für Lobbyverbände."
    An der Berliner Reinhardtstraße zeigt Christina Deckwirth auf das Gebäude, in dem der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft seinen Sitz hat.
    "Die Hauptgeschäftsführerin vom BDEW ist seit 2008 Hildegard Müller. Hildegard Müller ist sicherlich vielen aus ihrer Zeit im Kanzleramt noch ein Begriff. Sie war zuvor Staatssekretärin im Kanzleramt, eine enge Vertraute von Frau Merkel, die nahtlos gewechselt ist in eben diesen Lobbyjob beim BDEW."
    Das ist seit diesem Jahr nicht mehr so einfach möglich. Für Mitglieder der Bundesregierung gilt eine Sperrfrist von einem bis anderthalb Jahren, bevor sie in ihrem Themenfeld in die Wirtschaft wechseln dürfen. Dazu konnte sich der Bundestag aber auch erst nach den lauten Protesten über den früheren Chef des Kanzleramtes, Ronald Pofalla, durchringen, der zur Bahn gewechselt ist.
    In Brüssel stand die Kommission schon seit Jahren wegen dieses sogenannten Drehtür-Effekts unter Beschuss. Inzwischen gibt es achtzehn Monate "Abkühlphase", bis ein Lobbyisten-Job angenommen werden darf. Doch es gibt Schlupflöcher, meint Olivier Hoedeman von Corporate Europe Observatory:
    "In der Praxis sehen wir, dass seit dem Herbst viele ehemalige Kommissare Vorstandsposten und andere Industriejobs angenommen haben. Indirekt haben sie dann doch mit Lobbying zu tun, indem sie die Unternehmen dazu beraten. Solange es also für ‚Lobbyismus' keine klare Definition gibt, funktionieren diese Regeln nicht und wir werden weiter viele Kommissare sehen, die dann so eine Karriere einschlagen."
    Auf ihrer Webseite listet CEO auf:
    • Neelie Kroes. Bis Oktober 2014 EU-Kommissarin für die digitale Agenda. Fünf Monate später Beraterin der Bank of America Merill Lynch.
    • Viviane Reding. Bis Oktober 2014 EU-Justizkommissarin. Zwei Monate später Mitglied im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung. Außerdem Mitglied der Verwaltungsräte des Bergbaukonzerns Nyrstar und des Foto-Konzerns Agfa-Gevaert. Weitere Aktivitäten.
    • Silvana Koch-Mehrin. Bis Juni 2014 Europaabgeordnete der FDP. Fünf Monate später Mitarbeiterin der Lobbyfirma gplus Europe.
    Alles ehemalige Kommissare und Abgeordnete, die mit ihrer Expertise und ihren Beziehungen, die sie in öffentlich bezahlten Ämtern erworben haben, in bestbezahlte neue Jobs starten. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.
    Sven Giegold will das ändern. Für das Europaparlament hat er den "Initiativbericht Transparenz" zusammengestellt. Eine seiner Forderungen:
    "Wo entweder in der Kommission oder im Parlament Entscheidungsträger gleichzeitig private Interessen an dem jeweiligen Gegenstand haben, dass das transparent gemacht werden muss und dann auch Konsequenzen haben muss, diese Interessenskonflikte abzubauen. Das ist derzeit nicht der Fall."
    Giegolds Bericht soll im Parlament diskutiert werden. Im März soll es eine gemeinsame Version aller Fraktionen geben. Die EU-Kommission muss sich zwar nicht an diesen Forderungskatalog halten. Den Druck, mehr Transparenz herzustellen, strengere Vorschriften für Lobbyisten zu erlassen, und längere Karenzzeiten für ehemalige Spitzenbeamte und Abgeordnete vorzuschreiben, könnte es aber erhöhen. Weshalb Giegold auch optimistisch ist:
    "Brüssel hat zwar mehr Lobbyisten, als irgendeine andere Stadt in Europa. Aber wir sind, was Transparenz angeht und die Behandlung von Interessenskonflikten, eindeutig weiter als die allermeisten Mitgliedsländer."
    Das bestätigt auch Transparency International. In einem aktuellen EU-Transparenz-Ranking kommen die EU-Kommission auf Platz drei und das Parlament auf Rang fünf. Deutschland landet nur auf Platz vierzehn – von neunzehn untersuchten Ländern.