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Lösemittel und Weichmacher
Leichter als gedacht zum schadstoffarmen Klassenraum

Kinder sollen in einer schadstofffreien oder zumindest schadstoffarmen Umgebung lernen. Doch immer wird zu viel Schadstoff in Schulen gemessen. Doch es geht auch anders. Das zeigen das Sentinel Haus-Institut aus Freiburg und der TÜV Rheinland in einem besonderen Experiment.

Von Ralph Heinrich Ahrens | 24.03.2015
    Schüler lernen in einem Klassenzimmer an einer Hauptschule in Arnsberg (Sauerland).
    Schüler in einem Klassenzimmer (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    "Das ist der bessere Klassenraum, der gute Klassenraum mit den schadstoffarmen Produkten. Hat auch 'nen bisschen einen charakteristischen Geruch."

    Nach Naturkautschuk, erklärt Walter Dormagen vom TÜV Rheinland. Es sieht hier aus wie in einem kleinen echten Klassenraum. Eine Handvoll Schüler und ein Lehrer haben Platz. Die Wände sind mit schadstoffarmen Materialen gebaut und gestrichen worden. Aus dem Holz der Stühle, Tische und Regale werden wenige Schadstoffe frei. Der zweite Klassenraum direkt daneben wurde mit normalen – also nicht schadstoffgeprüften – Produkten aus Baumärkten gebaut und möbliert. Hier riecht es anders.
    "Ja, das ist eher der chemische Geruch, den wir hier haben. Nebenan haben wir den Geruch, der prägnant ist, aber nicht die Summe der Chemikalien enthält, der Schadstoffe enthält, wie sie hier in dem Raum drin sind."

    Der TÜV misst seit dem Bau der Räume im Dezember letzten Jahres in regelmäßigen Abständen, wie viel an Lösemitteln und Weichmachern aus Farben, Lacken, Klebern, Faserplatten oder Fußbodenbelägen frei werden. Und die Ergebnisse sind eigentlich wie erwartet: In dem Raum, der schadstoffarm gebaut und möbliert wurde, findet der Technische Überwachungsverein immer deutlich weniger.

    Dennoch: Obwohl das Umweltbundesamt bereits 2008 einen Leitfaden für die Innenraumhygiene in Schulgebäuden herausgegeben hat, lassen Kommunen oftmals ihre Schulen, Kindergärten oder Krankenhäuser weder schadstoffarm bauen noch renovieren. Das liege an Vorurteilen, meint Peter Bachmann, Geschäftsführer des Sentinel Haus-Instituts in Freiburg.
    "Wenn wir das Thema auf einer Fachkonferenz vorstellen, und danach sagt der Baubürgermeister oder der Stadtbaudezernent, oh, das Thema finde ich gut. Danach geht er zurück in die Behörde und dann kriegt er von der Rechtsabteilung gesagt, das geht nicht, und vom Kämmerer kriegt er gesagt, das ist zu teuer."

    Beide Gegenargumente lassen sich entkräften, sagt Peter Bachmann. "Wir haben uns in den letzten Jahren sehr intensiv damit beschäftigt auch mit dem Umweltbundesamt, mit Topjuristen. Es ist überhaupt gar kein Problem, es in der Ausschreibung richtig zu implementieren und es ist von den Kosten her marginal – also wir haben Projekte, da liegen die Mehrkosten bei null bis ein Prozent."

    Walter Dormagen vom TÜV-Rheinland ergänzt. "Man muss die richtigen Produkte auswählen. Man muss die schadstoffarmen Produkte auswählen, die preislich in der Regel nicht teurer sind wie andere Produkte. Da geht es wirklich nur um die Auswahl, die richtige Auswahl."

    Schadstoffarmes Bauen und Renovieren: kein Kinderspiel
    "Wenn man nicht gezielt schadstoffarm baut und die Grundsätze des schadstoffarmen Bauens auch in der Verarbeitung nicht berücksichtigt, dann spielt man einfach Roulette dahingehend, dass man nachher das Risiko hat, Schadstoffbelastungen zu haben und dann eben Sanierung machen muss."

    Peter Bachmann vom Sentinel Haus-Institut nennt als Beispiel eine Schulsanierung in der Nähe von Stuttgart
    "Wegen starken Geruchsproblemen und sehr hohen Schadstoffkonzentrationen wurde das Parkett herausgerissen. Dabei wurde der Estrich beschädigt. Der Estrich wurde schnell, schnell repariert mit einem bauchemischen Produkt. Das nächste Parkett kam obendrauf – und danach hatte ich ein schlimmeres Problem als ich es vorher gehabt habe. Dieses Mal nicht wegen dem Bodenbelag, sondern wegen dem reparierten Estrich."

    Die Kommune musste für mehrere hunderttausend Euro erneut sanieren. Solche Fehler lassen sich jedoch durch ein vernünftiges Qualitätsmanagement vermeiden, glaubt Peter Bachman
    "Es braucht einen Fachplaner für Innenraumhygiene, so wie es jemanden gibt, der sich mit Statik, mit Brandschutz, mit Schallschutz auskennt, braucht es jemanden, der sich mit der gesundheitlichen Qualität im Innenraum auskennt."

    Sinnvoll wäre zudem, nach jeder größeren Baumaßnahme die chemische Belastung in den Innenräumen zu kontrollieren, so Peter Bachmann
    "Nach einer Sanierung, Renovierung, Modernisierung, Neueinrichtung einer Schule, eines Klassenzimmers, einer Kita messe ich und kann dann sagen, kann attestieren, jetzt gehen die Kinder und jetzt gehen die Lehrer in einen gesundheitsgeprüften Innenraum."

    Und das ist keine Utopie. Die beiden Städte Köln und Nürnberg seien hier vorbildlich. Dort werden bereits alle öffentlichen Gebäude – Schulen inklusive – schrittweise auf Schadstoffe untersucht.